396. Die Kapelle im Haßlocher Thale.

[351] In dem Thale, das von Haßloch am Main in den Spessart zieht, sah vor Zeiten ein Graf von Wertheim auf der Jagd einen weißen Hirsch, auf den er schnell anlegte, der aber in demselben Augenblick vor seinen Augen verschwand. Wegen dieser Erscheinung ließen der Graf und seine Frau auf dem Platz eine Kapelle bauen, um deren Trümmer noch, in heiligen Nächten, ihre Geister in glänzenden Gestalten schweben. Zu der Kapelle geschahen, bald nach ihrer Entstehung, Wallfahrten, und es wurde dabei ein Wirthshaus erbaut. Im dreißigjährigen Kriege zerstörten die Schweden beide Gebäude, wobei sie nur die vier Mauern der Kapelle und den Wirthskeller übrig ließen.

Ueber diesem ist jetzt Ackerfeld, er birgt aber, wie der Erdspiegel gezeigt hat, uralten Wein, der nur noch in seiner Haut liegt. Auf dem Acker an der Kapelle, welcher zum benachbarten Hammerwerk gehört, sah eines Tages die Magd einen gelben Draht aus dem Boden[351] hervorstehen; sie zog daran, konnte ihn aber nicht herausbringen. Nachdem sie es ihrem Herrn erzählt, ließ dieser den Acker tief umroden, wobei die Arbeiter, weit unten im Boden, auf einen viereckigen behauenen Stein von ziemlicher Größe stießen. Denselben mußten sie, auf Befehl des Hammerherrn, liegen lassen wie er lag, und als sie am folgenden Morgen wieder hinkamen, war der Stein nicht mehr da. Man glaubt, daß der Hammerherr in der Nacht den Schatz, der unter dem Steine lag, gehoben habe; denn von der Zeit an war er ein reicher Mann.

Acht Männer von Haßelberg, Oberndorf und Altenbuch hatten durch den Erdspiegel erfahren, daß auch unter dem Chor der Kapelle ein Schatz liege. Um ihn zu erhalten, gingen sie nachts auf den Platz und fingen an zu graben. Da kamen ein hochgewachsener Jäger und einige Schindersknechte mit rothen Mützen, welche einen Galgen aufrichteten. Als dies geschehen war, fragte einer der Knechte den andern: »Welchen sollen wir henken?« worauf dieser antwortete: »Den mit der Pelzkappe.« »Ach Jesus, helft mir!« rief voll Schrecken der Mann aus Oberndorf, welcher die Pelzkappe aufhatte, und im Augenblick bekam er von dem Jäger eine fürchterliche Ohrfeige, dieser, die Schindersknechte und der Galgen verschwanden, und die Männer liefen was sie konnten von dannen. Durch die Ohrfeige war der Hals des Oberndorfers so verdreht worden, daß demselben, so lange er lebte, das Gesicht über der einen Schulter stand.

Quelle:
Bernhard Baader: Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 1, Karlsruhe 1851, S. 351-352.
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