49. Das Uebelthal.[40] 1

In dem dritthalbstündigen Thale, welches von Burg hinauf gegen St. Märgen zieht, war vor Zeiten keine Kirche. Da hieraus für die Bewohner viel Beschwerden entstanden, so beschlossen sie, sich eine Kirche zu bauen; allein sie konnten über deren Platz nicht einig werden. Die Leute des obern Thales wollten sie dort, die des untern sie bei sich haben, und jeder Theil fällte schon Bauholz und führte es an die von ihm gewünschte Stelle. Bei einer gemeinschaftlichen Berathung schlugen einige[40] vor, in die Mitte des Thals zu bauen, aber sie wurden von den Reichen, welche meistens an dessen Enden wohnten, überstimmt, und die Versammlung trennte sich spät in der Nacht mit dem Entschlusse: gar keine Kirche aufzuführen. Am nächsten Morgen lag das Bauholz nicht mehr an seinen Stellen, sondern beisammen auf einem hohen Berge in der Mitte des Thales. Jeder streitende Theil hielt dies für einen Streich des andern, ohne zu bedenken, daß dieser unmöglich in einer halben Nacht das Holz hinaufschaffen konnte, zu dessen Herabbringen beide Theile zusammen einige Tage bedurften. Als sie hiermit fertig waren, kam in der folgenden Nacht all das Holz wieder auf den nämlichen Berg. Nach dem Rathe der Klostergeistlichen von St. Peter, bei denen man die Sache angezeigt, wurde nochmals das Holz ins Thal geschafft, und dabei ein Zimmergesell als Nachtwache aufgestellt. Um ja nicht einzuschlafen, fing derselbe an zu rauchen, aber trotz dessen fielen ihm die Augen zu, und als er sie wieder aufschlug, lag er, die brennende Pfeife im Munde, mit allem Bauholz auf dem Berge. Da überdies auf dem Platze ein großer Lindenbaum stand, der Tags zuvor noch nicht dagewesen, erkannte man endlich den Willen Gottes und baute dort die Kirche Maria-Linden, jedoch ohne dabei einen Geistlichen anzustellen. Wegen dieses Mangels mußte der Gottesdienst von St. Peter aus versehen werden, was so manche Unbequemlichkeit hatte, daß die Kirche nach einigen Jahren fast gar nicht mehr besucht wurde. Zur Strafe hierfür brachen drei Jahre nacheinander in dem Thale Seuchen aus, die zuerst alles Hornvieh, dann die Pferde und zuletzt die Schweine und Schafe wegrafften. Größer noch wurden die Drangsale, als man die Kirche abgebrochen und[41] deren Geräth mit dem Gnadenbild der Muttergottes verkauft hatte. Verheerende Brände nahmen überhand, eine Menge taubstummer und krüppelhafter Kinder kam zur Welt, und ansteckende Krankheiten wütheten so heftig, daß viele Häuser gänzlich ausstarben. Wegen dieser Trübsale bekam die Gegend den Namen Uebelthal, und die meisten Bewohner zogen von da weg nach dem Dorfe Espach. Weil dieses das Gnadenbild und das Geräth von Maria-Linden für seine neue Kirche gekauft hatte, ward es auch mit Strafen heimgesucht. Sieben taubstumme Kinder wurden dort in einem Jahre geboren, und viel solche Geburten kamen so lange vor, bis die Espacher, auf den Rath ihres Geistlichen, Maria-Linden wieder aufbauten und alles, was sie daraus gekauft, dahin zurückgaben. Da hörten die Leiden Espachs und des Uebelthals mit einem Male auf, und der Name des letztern wurde nachher in »Ibenthal« umgeändert.

Fußnoten

1 In dem Büchlein: Heylbringender Linden-Baum etc. von Philipp Jakob Steyrer, Freiburg 1741, findet sich nichts von dieser Sage.


Quelle:
Bernhard Baader: Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 1, Karlsruhe 1851, S. 40-42.
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