Zweiter Auftritt.

[10] COURRIER tritt herein und übergiebt dem Herzog die Depeschen.

Wenn gnädigst –

HERZOG erbricht den Brief.

Wart' Er nur!


Fängt an zu lesen.


»Durchlauchtigster,

Erhabenster, unüberwindlichster

Monarch, mein gnäd'ger Fürst und Herr!« – Nun kömmt's –

Was Teufel? Alles ist chiffrirt! Das muß

Verflucht geheim und wichtig seyn!


Zum Courrier.


Hör' Er!

Versteht Er's dechiffriren?

COURRIER empfindlich.

Gnäd'ger Herr!

Ich bin Gesandschaftsheimlicher –

HERZOG.

Das heißt?

COURRIER.

Der Secretair der Legation.

HERZOG.

Das freut mich;

So komm' Er her, und les' uns das!

COURRIER empfängt die Depeschen und liest.

»Gehorsamst,

Pflichtschuldigst, nach dreivierteljähr'gem Tragen,

Antragen und H'rumtragen, eifervoll[10]

Für meines Fürsten Ehr' und Zwischenseyn

In jeder Zufallsfügung« –

HERZOG unterbrechend.

Halt' Er da! –

Was heißt das Alles, kurz gefaßt!

COURRIER.

Ganz kurz: nach neunmonatlichem Bestreben.

HERZOG. Wozu denn das Uebrige? Sag' Er von mir dem Baron Schnüffelbrenner, er solle sich künftighin kürzer fassen und deutsch ausdrücken. Denn ich will verstehen, was man mir schreibt. Nun weiter!

COURRIER. »Umsichtsvoll zugleich und tiefdurchdrungen vom Bedarf der Aufrechthaltung eines erst im Keim aufstrebenden Vereins; das Zwischenseyn« –

HERZOG unterbrechend. Was sagt Er?

COURRIER. Euer Hoheit Zwischenseyn –

HERZOG. Feldmarschall! versteht Er das?

GENERALFELDMARSCHALL. Habe noch kein Wort verstanden.

COURRIER. Bitt' um Verzeihung! Zwischenseyn heißt so viel als Interesse.

HERZOG. Teufelsdonner! Was ist das für eine Sprache? Kömmt Er mir noch ein einzig Mal mit so 'nem Wort, so sind ihm dreißig sicher, rechn' Er drauf! Nun weiter! aber kurz, hört Er? deutsch und kurz!

COURRIER fortlesend. »Das Interesse der Majestät beständig vor Augen, hab' ich endlich herausgebracht, warum der Harzgesandte die Prise, die der Fichtelberger ihm auffallend höflich bot, und die er lächelnd, auch scheinbar artig, annahm, fallen ließ. Das hübsche Fräulein Schmieder, das nun wirklich[11] Hofdame bei der Kurfürstin geworden, wo der Kurprinz sie alle Wochen sieht, und bisweilen spricht, sagt man, steckt dahinter.« –

HERZOG zum Generalfeldmarschall. Der Schnüffelbrenner, das muß man ihm lassen, hat eine feine Nase. Bravo! das also hat er am Ende herausgerochen!

GENERALFELDMARSCHALL. Was geht uns aber –

HERZOG schnell einfallend. Das sag' Er nicht! Alles, auch das Kleinste, ist bedeutend. Das sind Cabinetsverkehre, worauf Er sich, wie überhaupt im Ganzen auf Staatsraisons, nicht versteht. Auch braucht Er's nicht, als Feldherr. Er hat nur auf das Große zu sehen.

GENERALFELDMARSCHALL. Ich seh' auf den Kamaschendienst –

HERZOG. Da hat Er recht. Mir aber ist auch das Kleine wichtig, denn es liegt das Große im Kleinen, wie der Staat mit allem Räderwerk von Krieg und Frieden in meinem Kopfe. Zum Courrier. Les' Er nur weiter, Gesandtschaftssecretair!

COURRIER fortlesend.»Auf diese Spur einmal gebracht, hab' ich mich unverzüglich bei'm Mundkoch Seiner Excellenz, wo das Begebt-Euch des urkundlichen Körpers, –«

HERZOG. Wessen Körpers?

COURRIER sich corrigirend. Des corps diplomatique« –

HERZOG. Was hat das bei'm Koch zu thun?

COURRIER. Da ist das Rendez-vous seit mehr als einem Monat.

HERZOG. Gut! – Weiter![12]

COURRIER fortlesend. ... »einführen lassen, und die hübsche Tochter desselben, der sie Alle den Hof machen, und die mir, ohne mich zu rühmen, besonders gut scheint, – sie hat viel Geist, und weiß von Allem – steckt mir, was Seine Excellenz ihrem Vater Wichtiges vertraut. Auf diese Weise vernahm ich schon gestern, daß auf eine Weise von mir gesprochen worden, die mich hoffen läßt, noch ehe das Jahr um ist, vorgelassen zu werden. – Was man übrigens hier mit uns vorhat, ist mir bis jetzt auszuspüren unmöglich gewesen. So viel scheint indessen gewiß, daß vor dem Herbste schwerlich die Armee, wohin es auch sey, beweglich werde. Das verbürg' ich Euer Hoheit, daß auch, was uns betrifft, sich Keiner rühmen wird, aus mir in irgend etwas je klug geworden zu seyn. – In der tiefsten Demuth –

HERZOG. Genug!

COURRIER. Der Brief hat noch eine Nachschrift, Gnädigster –

HERZOG schnell. Laß hören!

COURRIER lesend. »Während ich beschäftigt bin, diese Depesche zu chiffriren, wird ganz unvermuthet der Armee der Befehl zum Aufbruch gegen uns ertheilt. Während ich selber ihm auf der Ferse nachfolge, sende ich auf gut Glück den Gesandtschaftssecretair als Courrier. Möge er nur früher eintreffen als der feindliche Trompeter!«


Courrier verbeugt sich und geht ab.


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 10-13.
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