Achter Auftritt.

[17] Herzog. Generalfeldmarschall. Kammerherr. Die Herzogin, von Hofdamen begleitet, die sich zu beiden Seiten stellen, nähert sich dem Herzog, ihn unruhig anblickend.


HERZOGIN. Wie steht es, Lieber? – Ist Dir nicht wohl? Hast Du nicht gut geschlafen? Ist etwas vorgefallen? Du siehst so ernsthaft aus.

HERZOG. Das Ding wird auch ernsthaft. Elf- bis zwölfhunderttausend bisher unüberwindliche Krabaten stehen gegenwärtig nur noch ein paar Meilen von Jauer.

HERZOGIN zu dem Generalfeldmarschall sich wendend. Und Sie, Herr Feldmarschall, stehen noch hier? Und Riemand rührt sich?

GENERALFELDMARSCHALL. Freilich, es ist grausam von mir, so lange zu warten, doch Schonung wäre Schwäche, Hochverrath, ja wahre Sünde, Hoheit! Straf mich Gott!

HERZOGIN zum Herzog. Was meint er damit? Was will er sagen?

HERZOG. Daß er mitleidslos sie Alle auf einmal morgen oder übermorgen gräßlich zusammenhauen werde.

HERZOGIN. Gott sey Dank! Aber ist das gewiß?

ALLE HOFDAMEN. Ist das gewiß? Ist das gewiß? gewiß? gewiß? –[17]

GENERALFELDMARSCHALL. Gewisser als gewiß! Unfehlbar! straf mich Gott!

HERZOGIN zum Herzog. Dann bleiben wir, nicht wahr, bis übermorgen hier?

HERZOG. Natürlich. Denn vorwärts können wir nicht, und ich werde in meinem Leben niemals rückwärts gehen.

HERZOGIN. Das Wirthshaus hier ist aber ganz erbärmlich, und es fehlt gänzlich an Platz, zumal da es voll von Fremden ist.

HERZOG zur Herzogin. Was für Fremde? sind's notable Personen?

HERZOGIN. Sehr notable. Ich wünschte herzlich, zu einer andern Zeit, die Einen kennen zu lernen, die Andern fürstlich zu bewirthen. Erstlich ist da der gute alte Werder.

GENERALFELDMARSCHALL. Lebt der noch?

HERZOGIN. Pfui, schämen Sie sich, Herr Generalfeldmarschall! solches nicht zu wissen.

GENERALFELDMARSCHALL. Burgrath, glaub' ich – Pah!

HERZOGIN. Dann Bruno, der berühmte Jordan Bruno aus Nola.

EINIGE HOFDAMEN. O! den wünschten wirken nen zu lernen.

HERZOGIN. Warum gerade Den?

HOFDAMEN. Nur um zu wissen, wie ein Atheist aussieht.

HERZOGIN auf den Feldmarschall zeigend. Da sehen Sie nur Den an, nicht Bruno.[18]

GENERALFELDMARSCHALL. Straf mich Gott! Die Hoheit belieben zu scherzen. Hab' an Theismus in meinem Leben nie gedacht.

HERZOGIN. Und dann Saint-Preux!

ALLE HOFDAMEN vor Freude hüpfend. Saint- Preux! Saint-Preux!

EINE KLEINE UNTER IHNEN. O könnt' ich nur die Spitze seines kleinen Fingers sehen! O mein Saint- Preux!

GENERALFELDMARSCHALL. Wer ist das? Ein Franzos?

HERZOGIN. Dem Namen nach; aber der Sprache nach ein Deutscher, und übrigens ein Mensch –

EINE HOFDAME. Mehr als ein Mensch –

EINE ANDERE. Ein Blumengenius –

EINE DRITTE. Ein Engel –

EINE VIERTE. Ein Geist! –

HERZOGIN. Dann endlich, den Parnaß zu krönen, unser Opitz.

ALLE HOFDAMEN. Der große Opitz! göttlich, göttlich!

GENERALFELDMARSCHALL. Der Herr von Boberfeld? ein artiger Mann, und – straf mich Gott! sehr gescheut.

HERZOGIN. Sie kennen also –

GENERALFELDMARSCHALL. Den Herrn von Boberfeld? Gar sehr.

HERZOGIN. Doch schwerlich den Opitz.

HERZOG. Allerdings sind das notable Personen; vielleicht die[19] notabelsten, die ich in meinen Staaten besitze. Möchte sie gerne einmal um mich versammeln.

HERZOGIN. Willst Du, mein Bester? Es kann geschehen; wir laden sie zu Mittag!

HOFDAMEN hüpfend. Dann haben wir fruchtbringende Gesellschaft.

HERZOG. Ist aber was zu haben hier?

HERZOGIN. Sie werden schwerlich mehr essen, als die sieben Obristen, die heute nicht kommen, und auf die man doch gerechnet hatte.

DIE KLEINE HOFDAME. Saint-Preux ißt nichts.

HERZOGIN. Woher weißt Du das, mein Julchen?

JULCHEN. Er lebt von Maienthau?

HERZOGIN. Närrchen! glaubst Du das?

JULCHEN. Gewiß! ein wenig Honig vielleicht, und dann und wann ein Bischen Salz dazu – wenigstens hab' ich ihn mir beständig so vorgestellt.

HERZOG. Sie trinken aber.

HERZOGIN. Nur Rheinwein.

HERZOG. Den hab' ich leider nicht.

HERZOGIN. Ist unser Rheinwein alle?

HERZOG. Ich fürchte.

HERZOGIN. Bier trank Opitz vor Zeiten gern, ächtdeutsches Bier. Solches ist hier vortrefflich zu haben.[20]

HERZOG. Aber –

KAMMERHERR öffnet die Thür, ein Bedienter tritt herein, und flüstert ihm etwas in's Ohr. Der Doctor Stirn steigt eben ab in diesem Wirthshaus.


Alle, außer dem Herzog und der Herzogin, laufen an die Fenster.


MEHRERE HOFDAMEN. Der ist es! Der ist es! Der mit dem großen Schädel.

JULCHEN. Himmel! was ist das? Ich glaube, er hat sich einen Todtenkopf zum Reisen aufgesetzt.

EINE ANDERE HOFDAME. Wahrhaftig! ich möchte aber gern seinen eigenen Kopf sehn.

JULCHEN. Der liegt noch im Koffer.

HERZOGIN. Was schwatzt Ihr da für Zeug? Seyd Ihr toll, Ihr Mädchen?

GENERALFELDMARSCHALL. Straf mich Gott! ich glaube selbst, es ist nur ein Reisekopf.


Ein Bedienter öffnet wieder die Thür.


KAMMERHERR. Frau Dauphin ist angekommen.

ALLE HOFDAMEN. Madame Dauphin! Dauphine! Gott! Delphine!

HERZOGIN zum Herzog. Ich muß gestehen, Du thätest mir einen großen Gefallen, mein Gemahl! wenn Du mir erlauben würdest, sie alle heute zur Tafel einzuladen.


Die Hofdamen hüpfen.


HERZOG. In Gottes Namen! – Hätten wir nur mehr Local! In diesem jämmerlichen Wirthshause kann man sich ja[21] kaum rühren. – Sind es doch allesammt solche Namen, die zur Hälfte die halbe Welt erfüllen!

HERZOGIN. Gerade solche brauchen wenig Platz.

HERZOG. Es schickt sich noch weniger, Andere so einzuengen, als uns selbst. – Man rufe den Wirth!

KAMMERHERR indem er die Thür öffnet, und einem Bedienten Ordre giebt. Es ist eine Wirthin, Eure Hoheit.

HERZOG. Gleichviel. Zum Generalfeldmarschall. Ist aber nicht noch ein anderes größeres Gebäude hier?

GENERALFELDMARSCHALL. Das Tollhaus.

HERZOG. Ist Er toll?

GENERALFELDMARSCHALL. Das Tollhaus – straf mich Gott! ein hübsch Gebäude: geräumig, Hof und Garten. Man jagt die Tollen heraus sammt dem Inspector.

HERZOG. Die Tollen loslassen! Ist Er toll? frag' ich noch einmal. Sie würden ja gleich das Dorf anzünden, oder –

GENERALFELDMARSCHALL. So schlage man sie todt, um Unglück zu verhüten.


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 17-22.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer
Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon