Erster Auftritt.

[57] Der Herzog vor einem kleinen Tische sitzend. Der Tollhausinspector neben ihm stehend.


HERZOG.

Wie viel Wahnsinn'ge sind denn wohl zur Zeit

Hier unter Seiner Aufsicht, Herr Inspector?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Zwölf Jauersche Studenten, Eure Hoheit,

Aus Fichtelberg, worunter drei Magistri

Legentes – ein schwabmünchner Apotheker –

Ein fränk'scher Kohlenbrenner – drei Reichsjuden –

Ein böhm'scher Schuster – ein hannöverscher

Ex-Postillion – ein nürembergscher Maler –

Ein hallischer Trompeter – und ein Schock

Einsiedler – die für ganz unheilbar heillos

Gehalten werden – dann ein Dutzend tolle

Sonst art'ge Mädchen, wovon drei zum Binden –

Zweihundertsechzig Andre noch, die meistens

Blutjunge, kaum angehende Gelehrte,

Von denen man nur wenig Hoffnung hat –[57]

Nebst einem einzigen Gescheiten. Macht

In Allem just dreihundertfünfundsechzig,

So viel als Tag' im Jahr; und Alle sämmtlich

Gebor'ne Landeskinder Eurer Hoheit!


Er verbeugt sich.


HERZOG notirt in ein auf dem Tische liegendes Etui.

Sie sind mir alle theuer – Herr Inspector,

Als Fürst und Landesvater; denn es ist

Jetzt ungefähr die Hälfte meiner eignen

Getreuen Unterthanen, die seit letztem

Vandalenkrieg noch übrig. Zwar das halbe

Roman'sche Reich gehört mir heute noch,

Doch steht es auf dem Spiel – obgleich mein Feldherr

Die beste Hoffnung giebt. Drum möcht' ich sie

Der Reihe nach genauer kennen lernen:

Wo möglich im Detail. Ich unterrichte

Mich gern in höchster eigener Person

Von jeder Kleinigkeit in meinen Staaten.

TOLLHAUSINSPECTOR.

So thaten's alle großen Landesväter

Im glücklichen Romanien von jeher!

Eur Hoheit ist bekannt als das Plus-ultra

Der allerhöchsten Jauerfürsten Weisheit.

HERZOG bietet dem Inspector eine Prise Tabak.

Schweig davon, Herr Inspector! Was ich kann,

Das thu' ich, trotz den Besten; aber ungern

Hör' ich mich loben.

TOLSHAUSINSPECTOR nachdem er ehrfurchtsvoll die Prise genommen.

Weisester!

HERZOG ihm die Dose zuschiebend.

Behalt' Er nur

Die Dose!

TOLLHAUSINSPECTOR gerührt.

Gnädigster![58]

HERZOG.

Laß gut seyn! Merk' Er's

Sich wohl! kein Lobspruch mehr! Ich will nur Wahrheit.

TOLLHAUSINSPECTOR.

O, was ist wahrer als das Lob des größten

Des weisesten, des besten aller Fürsten

Des glücklichen Romaniens!

HERZOG.

Ich sag' Ihm,

Herr Oberhofinspector! nichts davon!

Nichts mehr davon! Ich werde böse.

TOLLHAUSINSPECTOR.

Großer,

Unendlich guter Fürst! Sie nannten mich –

Geruhten mich zu nennen – Ober – hof –

Inspector – darf ich allerunterthänigst

Mich unterstehn, zu wähnen –

HERZOG.

Hab' ich Ihn

Genannt, so ist Er's.

TOLLHAUSINSPECTOR wirft sich zu des Herzogs Füßen.

Sprachlos – –

HERZOG ihm die Hand reichend.

Steh Er auf!

Ich bin Ihm sehr affectionirt. Doch jetzt

Erzähl' Er mir nur weiter von den Tollen:

Freimüthig, ohne Scheu!

TOLLHAUSINSPECTOR.

Der braucht es nicht!

In Eurer Hoheit Deroselbstregierten

Glücksel'gen Staaten läßt sich gar kein Elend

Berichten, woran die Regierung Schuld.

HERZOG steht auf, geht zu einer Commode und zieht eine Schublade heraus.

Ich setze meine Schlafmütz' auf.


Er setzt die Schlafmütze, die er aus der Commode genommen, auf den Kopf, und setzt sich wieder.


Nun sprech' Er[59]

Mit mir, als wär' ich Seinesgleichen, als

Wär' ich der Aeltre nur und Er der Jüngre,

Vertraulich, ungenirt. Auf diese Weise

Wird Er berichten unverblüfft, und ruht

Auch meine Majestät ein wenig aus,

Die von dem ew'gen Imponiren müde.

TOLLHAUSINSPECTOR die Mütze anblickend.

Ach, Eure Hoheit imponiren so

Nur imposanter noch! die Majestät

Des Blicks, des Tons, der Miene, der Gestalt

Verbirgt dem treuen Diener keine Mütze.

Die Herzogskrone macht den Herzog nicht –

Das Herz, das große, gute, macht den Herzog!

HERZOG.

Hol' Er sich einen Stuhl und setz' Er sich!


Der Tollhausinspector holt einen Stuhl.


Hier! näher! – hier! ganz nah'! Und sprech' Er nur

Rein von der Leber weg! Wir sind ja doch,

Wenn Herzog ich, Er Oberhofinspector,

Im Grunde beide Menschen. Lass' Er sich

Durch meine Fürstenmiene gar nicht stören!


Der Tollhausinspector setzt sich dicht neben den Herzog.


Er nannte, däucht mich, unter den dreihundert

Und fünfundsechzig Tollen einen Klugen?

Wie kommt das? Wer ist der? Wie geht das zu?

Warum hat man den eingesperrt?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Er ist

Der ält'ste Sohn vom Hause Berlichingen;

Die Mutter, eine Weißlingen vom Rhein,

Heirathete nach seines Vaters Tode

Den böhm'schen Grafen Strafmichgott, mit dem

Sie Zwillinge sogleich bekam. Die Söhne

Der ersten Ehe sind im Türkenkrieg

Geblieben. Dieser ward unsel'gerweise

Nur leicht verwundet, und, gleich nach der Schlacht,

Auf Cabinetsbefehl hieher geschickt.

Es hieß, er sey im Hirn erschüttert worden,[60]

Und müss', als völlig rasend, gleich in Ketten

Geschlossen werden – was denn auch geschah.

Ich schloß ihn selber ein; versichre aber

In tiefster Ehrfurcht Euer Hochdurchlauchten,

Der junge Mann ist so gescheit, gesund,

Und unverletzt, als ich – und übrigens

Ein durchaus sittlicher und sanfter Mensch.

Doch, wenn ich unterthänigst bitten darf,

Nicht meine Worte wieder; denn der Graf,

Sein Stiefpapa, der Herr von Strafmichgott,

Soll ein sehr mächt'ger Mann bei Hofe seyn.

HERZOG.

Was, Donnerblitz! erzählet Er mir da

Für 'ne Sappermentsgeschichte? – Strafmichgott?

Es ist mein Generalfeldmarschall eben,

Mein rechter Arm, mein treuster Unterthan.

TOLLHAUSINSPECTOR.

Bitt' allerunterthänigst um Verzeihung

Eur Hoheit, daß der Graf, Sein' Excellenz,

Der Generalfeldmarschall – – Welch ein Bock!

HERZOG.

'S ist ja nicht seine Schuld, daß er es ist.

Ich werd' es untersuchen.


Notirt in das Etui.


Und die zwölf

Studenten, unter welchen drei Magistri

Legentes, wenn ich richtig mich besinne –

Worin – sag' Er nur frei und offenherzig,

Und ohne Rückhalt, keck – worin besteht

Ihr Irrthum? Welches Schlags ist ihre Tollheit?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Sie ist dreifach, Eur hochfürstlichen Hoheit,

Und doch, einfach zugleich, rein philosophisch –

Theils metaphysisch, theils poetisch, theils,

Wie mir hauptsächlich auffällt: chronologisch.

Zwei, drei von ihnen bilden fest sich ein,

Gewunderhörnt zu seyn – obgleich an Stirne

So glatt wie neugeborne Kälber, und

Dazu noch Junggesellen. Andre haben[61]

Sich in den Kopf gesetzt, daß sie steinreiche

Gemüthsbesitzer sey'n, und sowohl Schafzucht,

Als Schweinerein, in's Große treiben können.

Die Meisten halten sich für Etwas, oder

Für Alles gar; nur immer für was Andres,

Als was sie sind. Der Erste glaubt, Spinoza

Der Zweite, Fichte (der mir übrigens

Historisch unbekannt) – der Dritte, Plato

Der Vierte, Shakspear selbst zu seyn. Der Fünfte

Erklärt sich für den Vater des berühmten

Professor Kant in Königsberg. Der Sechste

Verdammt sich drauf, er sey der Theophrastus-

Bombastus-Paracelsus- und was weiß ich?-

Von Hohenheim – und ist vielleicht es auch;

Denn er ist wirklich unter diesem Namen

Hier aufgenommen worden.

HERZOG notirt.

Bombast heißt er?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Ja, Bombast, Eure Hoheit – B, o, m, Bom

B, ast, Bast.

HERZOG corrigirend, mit Lächeln.

B, a, s, t! muß Er sagen –


Schreibt.


So richtig! – Und der bild't sich, sagt Er, ein,

Sich selbst zu seyn?

TOLLHAUSINSPECTOR.

So scheint's, mein gnäd'ger Fürst!

Der Himmel weiß –

HERZOG.

Und jetzt der Apotheker?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Bild't ebenfalls sich ein, Bombast zu seyn –

Was macht, daß sie einander in die Haare

Gerathen – und das giebt oft blut'ge Nasen.

HERZOG.

Das glaub' ich! Aber welcher ist der wahre?[62]

TOLLHAUSINSPECTOR.

Ich weiß nicht, Eure Hoheit, ob sie beide

Sich irren, oder ob sie beide recht –

Nur zwei der Tollsten sind's in jedem Falle.

HERZOG.

Heißt denn der Apotheker Bombast auch?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Nein, gnäd'ger Herr! sein wahrer Nam' ist Höchner.

HERZOG notirt.

Der also irrt sich.

TOLLHAUSINSPECTOR halb vor sich.

Himmel, welch ein Blick!

HERZOG.

Was sagt Er?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Ich bewundre still' in mir

Bei jedem Fall, wo schwer ist zu entscheiden,

Wie Eure Hoheit, selbst im Kleinsten, gleich

Den rechten Fleck im Mittelpunkte treffen,

Und was mir, der ich doch in diesem Wirrwarr

Zu Hause, dunkel ist, den Augenblick,

Als wär's Höchstdero tägliches Geschäft,

In's Reine bringen. Ohne solchen Blick

In's Kleine wär's wohl sicher auch unmöglich,

Das Große zu regieren!

HERZOG.

Hofinspector!

Ich kann nicht Lob vertragen; doch hier trifft Er

Gerade das, was ich vertragen kann,

Weil ich's vielleicht verdiene. So 'nen Blick

(Man nennt's coup d'oeil trau' ich mir zu; und 's freut mich,

Daß Er mir's abgemerkt; denn es verbürgt mir,

Er sey nicht selber ohne.

TOLLHAUSINSPECTOR.

Könnte blind seyn,

Mein gnäd'ger Fürst, und doch, was mir die Augen

Durchbohrt, vernehmen![63]

HERZOG.

Höchner heißt mir also

Der Apotheker. Und der Kohlenbrenner?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Heißt Keit, und der ist ganz und gar verkehrt.

Er bild't sich ein, katholisch werden wollen,

Und der altfränk'sche König Ludovic

Der Heilige zu seyn. Nebst dem gemeinen

Modernen Trieb nach gothischen Antiken

Hat er noch die besondre Leidenschaft

Für alte schwäbische Nachtwächterlieder

In böhm'scher Tonart. Mir kommt wenigstens,

Was alles er in Es- und Bemoll singt,

Als lauter böhm'sche Dörfer vor. Die andern,

So toll sie sind, gebehrden sich verständig,

Mit ihm verglichen. Bei dem Kohlenbrennen

Soll er in Jakob Böhm's berühmten Schriften

Ganz toll studirt sich haben – und ist jetzt

Nicht bloß wahnsinnig, sondern übersinnig,

Unsinnig, widersinnig, tiefblödsinnig,

Und gar dabei halbsinnig auch. – Er beißt.

HERZOG.

Blitz Donnerwetter! Beißt er? Und sein Biß

Ist tödtlich, wird man sehn, Herr Hofinspector!

TOLLHAUSINSPECTOR.

Das doch nicht, Eure Hoheit; man wird nur

Allmälig toll davon. Er hat schon Ein'ge, die

Nur halb unsinnig waren, angebissen,

Und die sind allerdings ganz rasend worden.

HERZOG.

Das ist ein Teufelskerl! Wie nennt Er ihn?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Keit, Eure Hoheit!

HERZOG notirt.

Richtig, Keit! – Zum Teufel!

Er scheint mir eine wahre Pest zu seyn –

Im Institut. Er muß heraus, Inspector![64]

Herr Oberhofinspector! sag' ich! h'raus!

Wie viele hat er toll gebissen?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Sechzig

Bis Dato nur.

HERZOG.

Das ist genug. Er muß

Heraus! Er beißt mir sonst die übrigen

Zweihundert alle vollends toll.

TOLLHAUSINSPECTOR.

Dreihundert – will die Hoheit sagen. – Doch

Ich bitte für den armen Kauz. Er meint's

Mit allem dem nicht bös'. Es ist unmöglich,

So sehr er beißt, ihm nicht recht gut zu seyn.

HERZOG.

Das Beißen ist meschant; das leid' ich nicht.

'S hat was Satyrisches – und so ein Kerl

Ist boshaft, sag' ich Ihm

TOLLHAUSINSPECTOR.

Nicht immer, großer

Und guter Fürst! Ich bitt' auf meinen Knieen,

Ihn uns zu lassen. Er ergötzt uns alle

Mit seiner Engelslaune; wär' er nicht,

Das Haus verginge ganz vor Langerweile –

Selbst die von ihm Gebissenen sind froh,

Daß er sie toll geküßt, und kosen ihm.

HERZOG.

Das Herz ihm also sitzt am rechten Fleck?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Das ist es, Eure Hoheit!


Legt seine Finger auf die Stirn.


Hier nur ist's

Verkehrt. Nicht daß der Kopf nicht auch vortrefflich;

Allein, ich weiß nicht wie – Wer ist vollkommen?

Wer hat nicht hier zu wenig, oder dort

Zu viel?

HERZOG.

Das ist was Andres! Hätt' Er mir[65]

Das gleich gesagt. »Wenn's Herz nur schwarz ist«, sag' ich

Mit dem kulörten Küster. Gott und ich,

Wir sehn auf's Herz, und nicht auf schwarze Hosen.

TOLLHAUSINSPECTOR.

Dann werd' ich selig hier und dort, trotz meinen

Beinkleidern voll hellrothem Sammt, Eur' Hoheit!

HERZOG lacht.

Das hat er gut gesagt. – Der Gute bleibt

Denn also trotz dem Beißen. – Zu den Juden!

Was machen sie?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Die Zellen schmuzig – glauben

Sich Christen übrigens – der größte Wahnsinn,

In welchen Juden fallen können. – Nur

Der Aelteste von ihnen macht sonst was.


Die Thür geht auf.


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 57-66.
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