Fünfter Auftritt.

[69] HERZOG seine Schlafmütze, die wegen der Finanzen in Unordnung gerathen, zurecht drehend.

Wo blieben wir?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Bei'm Juden, Eure Hoheit!

HERZOG.

Recht! bei'm Juden,

Der Hexenverse macht. – Bei'm Reich, dies Tollhaus

Interessirt mich! Weiß Er wohl, Herr Toll- –

Herr Oberhofinspector, wollt' ich sagen –

Daß mix sein Referat ganz ungemein

Gefällt. Ich wollt', Er wäre mein Minister

Des Innern – und des Aeußeren zugleich –

Sein Vortrag ist präcis, und doch daneben

Zerstreuend, unterhaltend, munter – kurz,

Nach meinem Herzen.

TOLLHAUSINSPECTOR sich krümmend.

Weil ich mich erkühne,

Wohl kennend meines Herzogs Herzog-Herz,

Ein Echo seiner muntern Bonhommie,

– Wenn auch ein schwaches nur – zu seyn.

HERZOG lächelnd.

Nicht wahr?

Je suis bon homme? n'est-ce pas?[69]

TOLLHAUSINSPECTOR.

Verstehe

Französisch, leider! nicht genug.

HERZOG.

Was? sprach ich

Französisch? Curios! wie die Erziehung

Selbst über die Natur geht! – Wollte sagen:

Ich bin ein guter Mann, so recht ein biedrer

Kreuzbraver Kerl, der mit sich spaßen läßt.

Zur Zeit, versteht sich, nicht zur Unzeit! – Und

Das hat Er nicht verstanden? –

TOLLHAUSINSPECTOR.

Hab's gefühlt,

Ohn' zu verstehn, mein guter, gnäd'ger Herzog!

HERZOG.

Doch jetzt zu unsern Tollen wieder! – Also

Der Betteljude macht nur laus'ge Verse –

Hex – Hexenmetre – war's nicht so?


Lacht.


Ha, ha!

Das werd' ich Werdern heut' erzählen! – Jetzt


Im Etui nachsehend.


Kömmt unser böhm'scher Schuster. Was macht der?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Nur Schuh für die Versfüße höchstens – aber

Ganz mystische. Sein Nam' ist Jakob Pilz;

Er war vorher Schuhflicker lang' in Pilsen,

Und nährte redlich sich mit Frau und Kind;

Bis eines Sonntags in die kleine Werkstatt

Der Blitz einschlug, so wie er saß und sohlte,

In Jakob Böhm vorlesend. Seit der Zeit

Glaubt er sich selber Jakob Böhm zu seyn.

HERZOG.

Da fällt mir auf, der Jakob Böhm – der hat

Mir schon den Guten – den der beißt – wie hieß er –

TOLLHAUSINSPECTOR.

Keit –

HERZOG.

Toll gemacht. – Lebt der verruchte Kerl

In meinen Staaten?[70]

TOLLHAUSINSPECTOR.

Er ist lange todt.

HERZOG schnell.

Warum verbietet man nicht seine Bücher

Im Meßcatalogus?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Sie werden, glaub' ich,

Sogar darin befohlen – wenigstens

Empfohlen werden sie bei jeder Messe.

HERZOG.

Das soll man bleiben lassen! – Will mir's merken!


Notirt.


Und der nürnberger Maler, wie heißt der?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Pinsel, Eur' Hoheit! Ich weiß eben nicht,

Worin gerade seine Tollheit steckt,

Wenn nicht im Malen. Ein erbärmlicher

Strohpinsel ist er allerdings.

HERZOG.

Und jetzt

Der kurhannöversche Ex-Postillon?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Heißt Dietrich – sonst der dicke Faust genannt –

Ein ganz unbändig grober Kerl – vierschrötig,

Steinplump, und baumstark, wie ein Auerochs.

Er flucht beständig, und muß immer eine

Knallpeitsche haben in der rechten Faust,

Sonst ist er ganz und gar nicht zu regieren.

Er hat sich in den Kopf gesetzt, er sey

Der Kubus des Barons von Boberfeld,

Der, dreimal mit sich selbst multiplicirt,

Sein Facit, als vollkommner Opitz, macht –

Den übrigens er Faust nennt, und nicht selten

Mit dem reichsfürstlichen Correspondenten

Und Superintendenten Fust verwechselt,

Wie mehrmals ich bemerkt. Die Sach' ist die

(Nach allem, was bis jetzt ich schließen kann):[71]

Die Pferde sind ihm einmal in der Haide

Bei Schafstall durchgegangen, und seitdem

Hat er den Koller selbst bekommen – wähnend,

Der Herr Geheimerath von Foßt zu seyn,

Für den er fuhr – und der, nach viel gelehrten

Nachspürungen in allen deutschen Blättern

Des Herren Tollhausbibliothekars,

Ein mecklenburgischer Stallmeister Fotsch,

Der etwas über edle Pferdezucht

Geschrieben hat, gewesen seyn soll. Alle

Die andern Tollen halten ihn doch meistens

Für einen Bastard des berühmten alten

Schwarzkünstlers, oder wenigstens für Opitz

Drei, vier Studenten etwa ausgenommen,

Die den unsterblichen Geheimenheimlicher

In Breslau oft mit eignen Augen selbst

Gesehen haben sollen.

HERZOG.

Dieser scheint

Mir vollends der verrückteste von allen,

Und der impertinenteste zu seyn.

Ist er gefesselt?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Alle diese sind

In eisernen Schloßketten, Eure Hoheit –

Doch so, daß jeder Arme, Bein' und Zunge

An Sonn'- und andern Feiertagen frei

Bewegen darf. Papier, und Dint' und Feder

Muß ich indeß tagtäglich Allen lassen,

Sonst würde gar zu wüthend ihre Wuth.

HERZOG.

Es ist doch, hör' Er, eine kurr'ge Sache

Mit der Schreibfreiheit! Wäre diese nicht,

So gäb' ich meinen Unterthanen gern

Die Preßfreiheit, wonach sie alle schrein.

TOLLHAUSINSPECTOR.

Ja freilich, Eure Hoheit. Nur den Tollen

Muß man durchaus doch diese höchst gefährliche[72]

Schreibfreiheit lassen – wenn sie nicht noch toller

Als toll am Ende werden sollen.

HERZOG.

Also das

Besänftigt sie?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Sie gießen dann die Wuth

In ungenirter genial'scher Hülle

Bald lyrisch, bald dramatisch, stets romantisch-

Barbarisch auf's Papier. Denn an Genie

Fehlt's den Krabaten nicht; es sind fast lauter

Höchstseltne Köpfe – würden auch im Durchschnitt

Unsäglich viel Verstand drin haben, wenn sie

Ihn nicht verloren hätten. Jetzt, zum Beispiel,

Arbeiten sie – und zwar die allertollsten,

Hauptsächlich, im Verein an einem großen

Lust-Trauerspiel in Versen.

HERZOG lächelnd.

Gar in Versen?

In Hexenmetern – in den Bettelversen –

Nicht wahr? Das werden königliche seyn!

TOLLHAUSINSPECTOR.

Bitt' um Verzeihung, Gnädigster! die hassen

Sie vielmehr. Reime halten sie weit höher.

HERZOG.

Die mag ich auch am liebsten – nächst der Prosa.

Ich reime selbst bisweilen was sub rosa.

TOLLHAUSINSPECTOR.

Doch reden Eure Hoheit meist in Jamben,

Wie unterthänigst ich bisher bemerkt.

HERZOG.

Da weiß ich nichts von. Sind sie gut? Was nennt Er

Injamben?

TOLLHAUSINSPECTOR.

Ganz vortrefflich, Eure Hoheit!

Sind kurz' und lange Fuße.[73]

HERZOG.

Das muß hinken

Doch, mein' ich, etwas?

TOLLHAUSINSPECTOR begeistert.

Ja, wie Tamerlan

Und Alexander hinkten. Alle Helden

Und große Fürsten: Göthe's, Schiller's Helden,

Und selbst der weise Nathan hinkten so. –

– Jetzt sprach ich auch in Jamben, Eure Hoheit!

HERZOG halbverdrießlich.

Das klang recht gut. Doch mag ich lieber, wenn

Er ganz in Prosa spricht. Man giebt sich doch

In Jamben – wie Er's nennt – so einen Ton –

Ich mag's vornehme Wesen nicht. Ich bin

Kein Held – will auch nicht, daß man mir trompete.

Doch à propos, der hallische Trompeter


Die Thür wird geöffnet.


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 69-74.
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