Zweiter Auftritt.

[167] KEIT ohne den Schuster zu sehen, zwischen den Bäumen hervortretend, singt.

Zerfließend, sich ergießend, windet, bindet –

ECHO.

– Bindet –[167]

SCHUSTER noch immer hinter dem Baume.

Au

KEIT horchend.

Der Gruß den Kuß, der Kuß den Gruß, im Gusse.

ECHO.

– Gusse –

SCHUSTER.

Ro

KEIT überall umblickend.

Es fällt die Welt; doch wenn sie schwindet, findet –

ECHO.

– findet –

SCHUSTER.

Ra

KEIT erstaunt.

Er bieder wieder sie, als Nuß im Kusse.

ECHO.

– Kusse.

SCHUSTER sehr laut.

Aurora!

KEIT entzückt.

Aurora! Wonne! Sonne! Himmelschwimmel!

Karfunkel! Dunkel! Dichterstrom der Ströme!

O Gruß! o Kuß! Gewimmel aller Himmel!

O Welt, die fällt! o Nuß im Kuß! o Böhme!

Wo bist Du?

HANS WURST im Baume.

Oben! unten! hier, und dort –

Im Tanzsaal jener Siedelei, wo Leben

Den Tod begabt, mit alten Zwillingen,

Die nie geboren werden, eh' sie sterben –

Wo die Prinzessin Fisch in Diamanten

Und Gold gehüllt, ein langes Herzogthum

An jedem Ohr, in Ketten betteln geht –

Wo jede Werkelwoch' ist Fastnacht – wo

An jedem dichterischen Montag, Dienstag,

Mittwoche, Donnerstag, Sonnabend, Sonntag,

Man feiert der Vernunft Charfreitag, – auch[168]

Den Freitag selbst nicht ausgenommen; – wo

Die Wurzeln aufwärts wachsen, und die Stämme

Hinabwärts – und wo jeder arme Mensch,

Der ohne Rufer was Geheimes flüstert,

An Gott ein wenig glaubt, ein bischen Tugend

Verstohlen übt, und Hosen trägt, zum Tode

Verdammt wird – in dem Land, wo zwei und zwei

Waldeselinnen neun Göttinnen machen –

Im Reich der lichten Schatten!

KEIT außer sich.

Heil'ges Land!

Holdselig Land! o wundersüßes Land!

Land aller Länder, wo mein Jakob wohnt,

Und wo vermuthlich die Romanze thront!

Ist's weit von hier? Kann man dahin zu Fuß;

Und ohne Flügel, da die Siedler alle,

Einsiedler sicher, dort wohl schweben nur?


Schwärmerisch versunken.


Wie sehnt sich mein Gemüth dahin, von hinnen,

Mit allem Schmachten, Trachten, Minnen, Sinnen!


Zu der Stimme.


O sage mir noch mehr davon! Vollende

Das große Bild! und ohne Maß und Ende

Die Züge, die so wunderseltsam, häufe,

Daß ganz sich meine Seele drin ersäufe!

HANS WURST im Baume, singt.

Kennst Du das Land, wo die Caldron'chen blühn,

An jedem Baum Turlin-Orangen glühn,

Ein rauher Nord aus Süden laulich weht,

Der Mohn die Füll', und hoch das Tollkraut steht?

Kennst Du es wohl?

KEIT.

Dahin! Dahin

Möcht' ich mit Dir, o mein Geliebter, ziehn!

DIE STIMME.

Kennst Du den Berg mit seinem luft'gen Steg?

Das Hexlein sucht auf Besen seinen Weg.[169]

Bring Wasser! ruft des Meisters junge Brut;

Der Besen stürzt – und über ihn die Fluth.

OPITZ.

Nicht übel!

DIE STIMME.

Kennst Du es wohl?

KEIT.

Dahin! Dahin

Möcht' ich mit Dir, o mein Geliebter, ziehn!

DIE STIMME.

Kennst Du das Haus – ein Loch in jedem Fach –

Es flucht der Saal, es wimmelt das Gemach –

Die frommen Nonnen nackt in Fesseln stehn –

Was ist mit Dir, o süße Maid! geschehn?

OPITZ.

Capital!

DIE STIMME.

Kennst Du es wohl?

KEIT mit unaussprechlicher Wehmuth.

Dahin! Dahin

Geht unser Weg! o Vater! laß uns ziehn!


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 167-170.
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