3. Wie der Buhlteufel des alten Richters Seeleauszusaugen sich befing und was solch teuflische Lust für Folgen gehabt.

[274] Solches ist das letzt Geständnis, so am ersten Tag März des Jahres tausendzweyhunderteinundsiebenzig der Priester und Oberpoenitentiarius Hieronymus Hornkraut that, indem er sich aller Würden unwerth erkläret. Hat bey seinem letzten Stündlein Bedrängnis gefühlt, sein Sünden, Missethat und Bosheyt ans Licht zu bringen, zum Rühmen von Recht und Wahrheit und Gott zum Preise, auf daß sein Zerknirschung ihm im andern Leben seiner Sünden Last lindere; wurden zu seynem Sterbebette gerufen Johannes von Haag, Vicarius der Mauritiuskirche, Peter Gerhardt, Seckelmeisters des Capitels und von unserm Herrn Erzbischofe Johannes von Montsoreau bestellet, sein Worte aufzuzeichnen, Ludwig Topf, Mönch zu Marmoustier, bestellet als Beichtvater, alle drey unterstützet von dem hochwohledlen Doktor Wilhelm von Censoris, römischer Erzbischof und gegenwärtig bey uns als Legatus unseres Heiligen Vaters des Papstes. Ferners noch wohneten dem Hinscheyden vermeldeten Hieronymi Hornkraut bey ein groß Zahl Christenleut, darumb daß er begehrete Buße zu thun in Ansehung der Fastenzeyt und die Augen aufzuthun allen, so da bey Wege seynd zur Höllen einzugehn. Und hat dann vor ihn, Hieronymus, so ob seyner großen Schwachheit nit konnt reden, beygeschriebener Ludwig Topf zur härtzlichen[275] Betrübnis der vermeldeten Beyständ das folgende Bekenntnis verlesen:

Meine Brüder, bis zu meinem neunundsiebenzigsten Jahr, das ist, in welchem ich anjetzo stehe, hab ich, ohngeachtet die kleinen Sünden, dergleichen sich auch der heiligste Christenmensch wider Gott zu schulden lässet kommen, vermeynet ein christlich Leben zu führen und mit Rechten den Ruhm zu tragen, so mir zu dem erhabenen Amte eines Oberpoenitentiarius verhalf, dessen ich unwert bin. Nunmehro aber hab ich in schauerlich Bangen vor der Höllen Strafen und der göttlichen Allmacht gedacht in diesem letzten Stündlein meiner Sünden Überlast durch härteste Buße zu lindern. Hätte gern länger mögen leben und vor aller Welt von meinen Brüdern mich lassen verlästern, darumb daß ich die Kirche geschändet und Recht und Gerechtigkeit verraten. So hoffe ich nur noch, daß unser Herr Christus möge Erbarmen mit mir armen verführten und behexten Manne haben, dessen Augen in Thränen zerfließen. So vernehmet denn mit Schaudern, was ich bekenne: Ich ward von versammeltem Capitel bestellet, den Prozeß wider den Dämon in Weibsgestalt anzustellen und zu führen, wider jene abtrünnige und gottverdammte Nonne, so for Satan und Astaroth, der Höllen Fürsten, sollte Seelen fangen und unser Welt in Todsünden stürtzen; so bin ich hochbetagter Richter in solche Schlingen fallen und hab meiner Sinnen baar und treulos meyn in Ehren vertraute Pflichten erledigt. Höret denn des Dämons arge List und bleibet standhaft wider[276] sein geblendt Werk. Gleich bey der ersten Entgegnung des vermeldeten Buhlteuffels ward ich mit Schrecken inne, wie die Ketten an ihren Händ und Füßen keinerley Spur ließen, und bin von ihrer verborgenen Kraft und augensichtlichen Schwäche geblendt worden. So hat mich ohnversehens ihrer Vollkommenheyt teufflich Gewandt verwirret und ihrer Stimmen Wohlklang entflammete mir Kopf und Glieder und hab begehret jung zu seyn und vielbenanntem Dämon in Freuden beyzuwohnen, darumb daß mir selbst die ewige Seligkeyt vor der Liebe Wonnen in solch holden Armen nit gar teuer erschienen. Hab darnach alle Strenge von mir gethan, so dem Richter geziemet, habe beym zweyten Verhör die feste Gewißheit ob ihrer Entgegnisse gehabt, wie ich ein arg Missethat beginge, dardurch daß ich solch arm kleines Geschöpf peinigte und strafte, so als wie ein unschuldig Kindleyn vor mir weinete. Darob ward ich durch ein Stimme von oben verwarnet, meine Pflicht zu thun und daß solcher Stimme Wohlklang und gülden Worte eitel teufflich Blendwerk seynd; daß dieser zarte Leib sich in ein haarig Ungeheuer würde wandeln mit scharffen Klauen, die Augen in Höllenbrände, der Rücken in Schuppenschwanz, der Rosenmund in Krokodilesrachen; und ist mein Willen wiedergekehrt vermeldeten Buhlteuffel auf die Folter zu spannen, bis daß er sein arglistige Sendung gestände. Wie sich aber dieser Dämon nackend vor mir gezeiget, da war ich ohnversehens seyner Macht durch magische Beschwörung verfallen, mein Hirn flimmerte, meyn Herzen[277] kochte in jung-heißem Blut, und durch der Zauberey Wundermacht, so mir in die Augen schleudert worden, zerschmolz der Schnee an meiner Schläfen; konnte fürder kein Kreutz nit schlagen, habe Gottes und des Heylands vergessen; wandelte gebannet durch die Straßen, und hab ihrer Stimme Holdseligkeyt, ihres verdammten Leibes süße Wonnen mir vor Augen gerufen. So hat mich ein arger Hieb von Satans Höllengabel stracks und ohngeachtet meynes Schutzengels, so mich zu unterschiedlichen Malen am Arm gezupfet und wider solche Versuchung verwarnet, zum Kerker gezerret; und da mir die Pfordte aufgethan ward, sah ich fürder keinerley Kerkermauern, darumb daß der Buhlteuffel hatte mit arger Gespenster oder Feyen Hilf und Beystand ein seiden und samtenes Prunkgemach erbauet, voll Blumen und Gedüft, darinnen sie sich verlustieret ohn alle Ketten an Hals noch Füßen, gar köstlich angethan. So ließ ich mich meines kirchlichen Gewandes entkleiden und ward in ein duftend Bad geleitet; ward in sarrazenische Kleider gehüllet und mit köstlichen Speisen und Wein, mit wundersamlichem Gesang und Tonwerk ergetzet, so mein Ohr und Seele umschmeichelten. Und ist vermeldeter Buhlteuffel mir allezeit zur Seiten gewest, und hat sein zauberholde Buhlerey tausend neue Gluten in meine Glieder gegossen. So ist mein Schutzengel von hinnen gangen und hab ich durch der Mohrin schändlich Augenlicht gelebt und ihres Wonneleibes glühes Umfangen eratmet; wollte allezeit ihr roten Lippen verspüren und hab kein Ängsten empfunden vor[278] ihrer Zähne Beißen, so mich immer tiefer in die Höllen lockte. Kurz, ich war fröhlich gleich wie ein Heirater mit seiner Braut, wo doch solche Braut der ewige Tod war; dachte nur an Liebe und ihr holden Weibesbrüste und die Höllenpforte, darein mich zu stürtzen ich glühend begehrte. Wehe, meine Brüder, durch drey gantze Tage und Nächte mußte ich so Buhlerey treiben, ohn meiner Lenden Quellgeström zu erschöpfen, darumb daß des Buhlteuffels Hände gleich zwey Stacheln in mein armes Greisenthum sich eingruben und in mein verdorrete Knochen weiß nicht welcherley Liebessaft träuften; war erst wie linde Milch, dann aufpeitschende Seligkeiten, so mir Knochen, Mark, Hirn anstachelten gleichwie tausend Nadeln; dann entglomm ich in wahrhafft höllischer Glut, darvon meine Gelenke gezwicket wurden und ein ungläubliche, unerträgliche, betäubende Wollust ausgieng, so meines Lebens Bande lockerte. Des Dämons Haar, darein mein armer Leib gehüllet war, ergoß flammende Röte und habe jede Flechte gleich einem rotglühenden Bratspieß verspüret; und sah des vermeldeten Buhlteuffels Antlitz lodern und lachen und tausend lockende Worte sagen; und hat mich der Stachel dieser Zunge, so mein Seele aussog, noch tiefer in die Höllen getrieben, darinnen ich kein Grund fand. Hernachens, da ich kein Tröpflein Blut mehr in den Adern, kein Seel im Leibe hatte und gänzlich erschöpfet war, hat der Dämon frisch-leuchtend und fröhlich wie zuvor mit hellem Lachen zu mir gesprochen: »Armer Narr, daß du mich für ein Dämon hast halten können![279]

Wie denn, wenn ich ittzo heischte, daß du mir dein Seel vor ein Kuß hingäbest, gäbest du's nicht mit tausend Freuden?« – Ich sagte: ›Ja.‹

»Und wenn dir, um weiter solcherart zu buhlen, not thäte, das Blut neugeborener Kindleyn zu trinken, tränkest du es nicht gern?« – Ich sagte: ›Ja.‹

»Und um allezeit ein lustiger Mann in des Lebens Lenz zu seyn und in Freuden zu schwimmen, würdest du nicht Gott verläugnen und Jesus lästern?« – Ich sagte: ›Ja.‹ Da fühlte ich hundert spitze Krallen mein Zwergfell zerfleischen wie von Schnäbeln kreischender Raubvögel; und ward unversehens emporgehoben von vermeldetem Buhlteuffel, der hatte sein Schwingen entfaltet und rief: »Reite zu, mein Reitersmann! Sitz' nur fest auf deiner Stute, pack' sie in die Mähnen, beym Halse! Reite zu, mein Reitersmann! Immer reite!« Und sahe wie im Nebel die Städte der Welt und ward mir gegeben zu sehen, wie ein jeder Mann mit einem weiblich Dämon buhlete und in geyler Luft und Bocksprüngen und tausend Liebesworten und vielerley Kreischen zeugete und eins ward, eingekrampft und verklammert. Und hat mir mein Reitthier mit der Mohrin Kopfe gezeiget, wie die Erde sich mit der Sonne copulieret, daraus ein Samenstrom von Sternen entquoll. Und sah die Welten sich verlustieren und Blitz und Donnerwetter erzeugen, sah weibliche Welten in Liebesrasen mit dem Fürsten der bewegenden Kräfte. Und hat mich der Buhlteuffel in arger List inmitten von selbigem schauerlichen, allewigen Liebesstrom[280] gebracht, und war ich armer Priester darin verloren wie ein Körnlein im Meeressand; und habe zwischen solchem Toben mein katholischen Glauben verläugnet. Und wie ich weiter durch den Glanz der Millionen Himmelssterne ritt und hätte mögen dieser tausend Millionen Geschöpfe natürliche Luft empfinden, da stürzte ich unter so vielem Liebesbegehr zerschmettert nieder und hörte ein Höllenlachen; und fand mich in meinem Bette, daherumb mein Haus-Gesindt stand, so muthvoll mit dem Dämon gestritten gehabt, darumb daß es wider ihn ein Kübel Weyhwasser in mein Bett gegossen, wo ich in lag, und heiße Gebete gesprochen. Ohngeachtet ihres Beystands habe aber doch ein furchtbaren Kampf wider besagten Buhlteuffel müssen kämpfen, des Krallen mein Herz umklammert hielten und mein Quälen endlos machten. Und da ich das heilig Zeichen des Kreutzes wollte machen, saß der Buhlteuffel mir zu Häupten, zu Füßen, allüberall, neckte, lachte, schnitt Fratzen, hielt mir tausend wollüstige Bilder vor Augen und füllte mich mit geylen Wünschen. So ließ in tiefem Mitleiden der Herr Erzbischof des Heiligen Gatianus Reliquien beybringen, davor der vermeldete Buhlteuffel mußte endlich von hinnen weichen; und hat ein Gestank von Schwefel und Höllen hinter sich gelassen, darvon mein Hausgesindt und Freunde sind einen ganzen Tag heiser gewest. So ist Gottes himmlisches Licht in meine Seel fallen, und bin inne worden, wie ich ob meiner Sünden und dieses Kampfes mit dem argen Gespenst nahe daran war zu sterben. Und bekenne am[281] Ende, daß mein Geheiß, vor vermeldeten Dämon das Gericht Gottes in Wasser- und Feuerprobe anzurufen, ist ein arge List gewesen, so mir angedeuteter Dämon eingab, darumb daß er mir vertrauete, er könne dergestalt dem Gerichte entschlüpfen und durch ein anderen Dämon sich vertreten lassen. –

Solches haben alle Beyständ wohl vernommen und wurde durch Johannes von Haag dem Tribunal unterbreitet.

Wir, Johannes von Haag, zum Oberpoenitentiarius neuerlich erwählet und bestellet wider den vielvermeldeten Dämon und Buhlteuffel zu verfahren, haben ein neu Gericht verordnet, um alle Leut der Diözese zu hören, was ihnen über solches bekannt sey. Haben die anderen Verfahren, Verhöre und Widerrufe vor ungültig erkläret und bestimmen, daß dem Anruf eines Gottesurteiles nicht statt zu geben sey, in Ansehung der offenbarlichen teufflichen Verräterey und Bosheit. Solche Verfügung wird allerorten mit Drommetenschall ausgeschrieen werden, wo des verblichenen Hieronymus Hornkraut fälschliche Verfügungen sind kundgethan worden. Mögen alle gute Christen unserer Heiligen Kirche und ihrem Geheiß wohl gehorchen und zur Seiten stehn.


Johannes von Haag.

Quelle:
Honoré de Balzac: Die drolligen Geschichten welchselbige der wohledle Herr von Balzac als Festtagsschmaus für alle Pantagruelskindlein in den Abteien der Touraine sammelte und ans Licht zog. Berlin [o.J.], S. 274-282.
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