4. Wie die Mohrin sohurtig entschlüpfte, daß sie nur mit großer Müh der Hölle zum Trotz verbrannt und lebend gebraten wurde.

[282] Solches ward im Monat May eintausenddreyhundertundsechzig testamentariter niedergeschrieben:[282]

Mein sehr theurer und vielgeliebter Sohn, wenn du dieses liesest, ruhe ich, dein Vater, im Grabe; so erflehe ich deine Gebete und bitte dich, dein Leben wohl nach den Worten dieser Schrift in weiser Fürsorge for dich und die Deinen zu führen; darumb daß ich in einer Zeit schreibe, da mein Vernunft und Sinn durch der Menschen allmächtige Ungerechtigkeyt eben ist betroffen worden. Wollte in meines Lebens Blüte in eitlem Ehrgeiz in der Kirche Dienst treten und hohe Ämter erklimmen; habe zu dem Ende lesen und schreiben gelernet und mit viel Mühe Gelehrsamkeyt erworben; trat als Schreiber und Kanzlist in das Martins-Capitel und hoffte dorten hohen Herrn zu Diensten zu seyn und mit ihrer Vergunst in einen Orden zu treten und endlich Bischof, Erzbischof, was weiß ich, zu werden. Dies glühende Verlangen hat mir Gott als argen Ehrgeiz erwiesen, und ist Johann von Omerstädt, der nachero Kardinal wurde, an meiner Statt ernennet worden und ich selbst verworffen und zerschmettert. In solchem Unglück stand mir der gute alte Hieronymus Hornkraut bey, von dem ich euch so oft erzählt: dieser teure Mann hat mich mit sanftem Zuspruch bestimmet for das Mauritius-Capitel Schreiberdienst zu thun, darumb daß ich als Schreiber wohl gerühmet war. Im gleichen Jahre, da ich dorten eintrat, nahm der berühmte Prozeß wider den Teuffel der ›heißen Straße‹ seyn Anfang; so vermeynete ich, das könne für mein Streben wohl von Vortheil seyn, indem das Capitel mir etliche Würden könnt verleihen, und ließ mich von meinem[283] getreuen Meister bestimmen, alles niederzuschreiben, so in dieser argen Sache zu verzeichnen sey. Gleich zu Anbeginn beargwöhnte Herr Hieronymus Hornkraut, der an die achzig Jahre alt und voll Gerechtigkeyt, Billigkeyt und Scharfsinn war, daß hinter dieser Sache etliche Bosheyt könne stecken. Liebete Dirnen und Hurenweiber mit nichten noch hat in seinem Leben ein Weib erkennet; und war ihm gleich nach den Zeugenangaben und der armen Dirn Aussagen helllichterklar, daß zwar dies minniglich Weib ihr Klostergelübde gebrochen, aber von jeder Teuffeley unschuldig sey, und nur ihren Feinden und etlichen Leuten, die ich klüglich nicht will nennen, nach ihrer reichen Habe gelüstete. Denn ein seglicher hielt sie for reich genug die ganze Grafschaft Tour zu kaufen, und tausend Lügendinge und Verläumdungen sind über das arm Ding gesagt und in die Welt gesetzet worden. So hat Meister Hieronymus Hornkraut erkennet, daß kein Dämon in der Dirn stecke, es sey denn der Geist der Liebe; und wie etliche wackere und reiche Kriegsleut ihn beredt haben, daß sie alles wollten thun jene zu retten, da hieß er sie ins geheim von ihren Anklägern das Gottesurtheil zu erheischen und obendrein ihr Habe dem Capitel zum Geschenke zu machen. Solcherart sollte die holdeste Blüte, so jemals der Himmel unserer Erde bescheeret, vor dem Scheyterhaufen bewahret seyn. Aberhat der wahrhafftige Teuffel in Mönchsgestalt seine Klauen in die Sache gesteckt: Ein gewaltiger Feind der Tugend, Biederkeyt und Heiligkeyt unseres Herren Hieronymus Hornkraut nämlich,[284] Johannes von Haag mit Namen, hörte, das arme Ding sey im Kerker gleich einer Königin gehalten, und erhob voller Bosheit Klage wider den Oberpoenitentiarius, er sey mit ihr im Einverständnis und ihr Knecht, darumb daß sie ihn jung, liebeheiß und glücklich mache; so sagte der arge Priester, und ist der arme Greis darob vor Gram versterbet, in Ansehung, daß Johannes von Haag sein Untergang verschworen hatte und seiner Ehren gelüstig war. In Wahrheit hat unser Herr Erzbischof den Kerker besucht und ist vermeldete Mohrin an einem gefälligen Ort funden worden, auf bequemer Lagerstatt, ohn Eysen noch Ketten, darumb daß sie hat können ein Diamanten an einem Orte bergen, da niemand vor möglich gehalten hätt, und hat des Kerkermeisters Milde erkaufet. Lag damals der wackere Hornkraut im Verscheyden, und hat auf Betreiben des Johannes von Haag das Capitel vor nötig befunden, sein Untersuchung und Verfügungen zu vernichten, und hat Johannes von Haag, dermalen simpler Vikarius, erzeiget, daß hierzu ein Bekenntnis des Mannes auf seinem Sterbebette genügend sey. So ist von den Herren des Capitels und den andern der Sterbende gepeynigt und bedränget worden, zum Wohle der Kirche zu widerrufen, was der gute Mann nicht hat mögen zugeben. Wurde aber dem zum Trotz mit tausend Listen seyn öffentlich Geständnis zu Weg gebracht, darob sich ein kaum gläublich Schrecken und Verwirrung erhob. Wahrheyt aber ist, daß mein guter Meister Hieronymus damals Fieber hatte und Kühe hat in[285] der Stuben gesehen und nach demselben Anfall der arme Heilige härtzlich geweynet, als er von mir solchen Handel gehört. Und ist in meinen Armen verschieden und mit des Medicus Beystand, voll Verzweiflung ob dieses Mummenschanzes, und sagte, daß er sich wolle Gott zu Füßen werfen, auf daß solch Ungerechtigkeit nicht geschehen möge, darumb daß er von der Mohrin Thränen und Reue war härtzlich gerühret worden und ihr die Beichte hatte abgenommen und sich solchermaßen ihre göttliche Seel ihm enthüllet als ein Diamant, der wohl werth sey Gottes heilige Krone zu zieren. Wisse denn, mein Sohn, daß ich nach all diesen argen Reden über das arm Weib und des Dinges Gang auf Rat des Medicus Meister Hangest hab ein Krankheyt vorgeschützet und solchen Dienst gelassen, darumb daß ich nicht hab wollen mein Hand in unschuldig Blut tauchen, so noch immer schreyet und wird immerdar schreyn bis zum jüngsten Gericht. So ward der Kerkermeister verbannt und vor ihn kam ein Henkersknecht, so gar unmenschlich die Mohrin in ein Kellerloch geschmissen und Eysenketten von fünfzig Pfund ihr angelegt, ohngerechnet den Holzkragen. Ward peynlich verhöret, die Dirn, und gefoltert und ihr Knochen gebrochen und verdrähet. Hat dann vor argen Schmerzen bekennet, was der Johannes von Haag wollte wissen, und ward verdammet, daß sie sollte im Schwefelhemd vor der Kirchthür gestellet und hernachens zu Saint-Etienne auf dem Landgute verbrennt, ihr Habe eingezogen werden et caetera. Solches Urteil tat männiglich Aufruhr und[286] Waffengetümmel in der Stadt aufheben, darumb daß sich drey junge Rittersleut des Tourerlandes hatten verschworen, vor das arm Mägdelein zu sterben oder es auf alle nur mögliche Weise zu befrein. Zogen mit ein Tausend Gesindel, alte Landsknecht, Kriegsleut und solcherley Menschen in die Stadt und schauten in die Hütten, wem das Weib alles könnte Guts gethan haben. So sind sie, von der vermeldeten Herren Kriegsleuten beschirmet, eines Morgens in hellen Haufen vor des Herrn Erzbischofs Kerkerhaus kommen und haben geschrien, daß man ihnen die Mohrin solle ausliefern, gleich als ob sie solche wollten zu Tode bringen, in Wahrheit aber, darmit sie sie könnten entweichen lassen. Es heißt auch, daß in diesem erschröcklichen Sturm seynd mehr denn zehntausend Leut um des Erzbischofs Gebäu bis zur Brücken gewimmelt, ohngerechnet alle, so auf Häuser und Dächer geklettert dem Auflauf haben zugesehn; und sind in dem Gedräng sieben Kinder, eilf Weiber und acht Männer bis zur Ohnkenntlichkeit zerstampfet worden. Und war ein Geschrey, gleich als ob Leviathan hätte sein Rachen aufgethan, und schrieen: »Zum Tode der Buhlteuffel! Heraus mit ihm! Sein Fell will ich! Sein Haar! Sein Kopf! Sein Luftzauber! Ist er rot? Wird er braten? Schlaget sie tot!« und so jeder sein Sprüchlein. Und ist der Schrey: »Schlagt sie tot!« so scharff worden, daß einem Ohr und Herz davon hätte bluthen mögen. So ist dem Herrn Erzbischof beygefallen, um den Sturm zu beschwichtigen, in großem Pompe mit der Hostie aus der Kirche zu schreiten und hat solchermaßen[287] das Capitel vor sein Untergang errettet. Alle sind durch solche Kriegslist gezwungen worden, sich zu zerstreuen und aus Mangel an Lebensmitteln heymzukehren. Ist fortan von einer riesigen Zahl Krieger wider alle Angriffe Wache gehalten und obendrein den drey Rittersleuten durch Herrn Harduin von Netzen der Kopf zurecht gesetzet worden, daß sie nicht um ein bißchen Weib sollten das Tourerland in Feuer und Blut tauchen.


Des Buhlteufels Flucht
Des Buhlteufels Flucht

So hat das Capitel in aller Freiheit zu des Mägdelein Hinrichtung können schreiten, und sind zu dieser Kirchenfeier von zwölf Meilen in der Runde die Leut herbeygeströmt, und haben deren gar viele vor der Stadt in Zelten müssen nächtigen, und ist an Lebensmitteln Mangel gewest, darumb daß es so viele waren. Die arme Huldin war halbtot, ihr Haar waren bleich worden, und war in Wahrheit nur mehr ein Skelett ohne Fleisch, so der Henker an ein Pfahl band, um sie in ihrer Schwächen zu stützen. Ohnversehens aber ist ein Kraft über sie kommen: hat ihre Ketten von sich gestreift und ist in der Kirche entwichen, allwo sie in Gedächtnis ihrer vergangenen Künste hurtig die Geländer und Pfeiler emporklomm. Wäre auch über die Dächer entronnen, wenn nicht ein Kriegsknecht mit der Armbrust hätt nach ihr geschossen und in den Fußknöchel getroffen. Ohngeachtet ihres zerschmetterten Fußes lief das arme Ding blutend weiter, so groß Angst hat es vor des Scheyterhaufens Flammen gehabt. Endlich ist eingefangen, gebunden, auf den Karren geschmissen und zum Scheyterhaufen geschleppt worden, und[288] hat allerweilen geschrieen; und ihre Flucht hat das gemeine Volk glauben helffen, daß sie der Teuffel sey und wäre durch die Luft geflogen. So hat sie der Henker in die Flammen geschmissen und ist sie zwey, dreymal erschröcklich gesprungen und dann in des Scheyterhaufens Grund gefallen, so Tag und Nacht brannte. Und bin ich tags darauf hingangen sehen, ob von dem lieblich Geschöpf etwas verblieben sey, und fand nur ein arm Stücklein Kinnlade, so trotz des Feuers war feucht geblieben, und habe wie etliche sagen gezittert wie ein Weib im Liebesgenuß.

Ich könnte Dir, mein theurer Sohn die ohnvergleichlich schwere Trübsal nicht sagen, so während zehn Jahren auf mir gelastet hat. Mußte diesen von Boseit zertretenen Engel sehen, sein Augen und kindliche Lieblichkeit und Unschuld und vor ihn in der Kirche beten, allwo er ist gemartert worden. Konnte nicht ohne Zittern und Zagen den Oberpoenitentiarius Johann von Haag erblicken, so von Läusen zerfressen gesterbet ist; der Aussatz hat den Fogt gerichtet, und alle, so zu dem Scheyterhaufen hatten ihren Beystand geliehen, haben es mit Flammen gebüßt. So habe ich der Kirche Dienst verlassen und eure liebe Mutter geehelicht. Und mit ihr, so mich zärtlich betreute, Gut und Leben getheilet, wie auch die folgenden Lehren: daß man soll, um glücklich zu leben, den Dienern der Kirche ferne bleiben, in Bescheidenheit sein Leben führen, kein andre Sprache sprechen noch seinen Stand ändern, so wie alle Wendemunds sind Tuchmacher gewest[289] und sollen es alle Zeit bleiben, dann werden die Wendemunds nicht verbrannt noch geschlagen für jemandes Vorteil, werden heimlich Geld haben und Freunde und wider alles gesichert seyn. Solches halte in Deiner Familie hoch und wenn Du verscheidest, soll es von Deinen Erben als ein Evangelium verwahret werden.

(Dieser Brief ist im Nachlaß Franz Wendemunds, Herren von Veretz und Kanzlers des Kronprinzen gefunden worden, als selbiger ob seines Aufruhrs wider den König vom Parlamente ist verurteilt worden: ihm das Haupt abzuschlagen und seine Güter einzuziehen. Solches Schreyben ist als geschichtliche Merkwürdigkeit dem Statthalter der Touraine übergeben und den Akten des bezeichneten Prozesses beigelegt worden durch mich: Peter Walter, Schöffe und Obmann der Geschworenen.)

Quelle:
Honoré de Balzac: Die drolligen Geschichten welchselbige der wohledle Herr von Balzac als Festtagsschmaus für alle Pantagruelskindlein in den Abteien der Touraine sammelte und ans Licht zog. Berlin [o.J.], S. 282-290.
Lizenz:

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