Kitzliche Reden dreier Pilger.

[444] Damals, als der Papst sein liebes Avignon verließ, um sich in Rom niederzulassen, wurden einige Pilger, die in[444] jene Grafschaft gewallfahrt waren, in die betrübliche Notwendigkeit versetzt, nun auch die Hochalpen zu übersteigen, um nach Rom zu gelangen, allwo sie für ihre vielfältigen Sünden das remittimus einheimsen wollten. So erblickte man denn viel Volkes auf jenen Landstraßen und in den Gasthäusern, das teils den Orden der Kainsbrüderschaft, teils die Blumen der Reue trug, eine ganz üble Gesellschaft von Schandkerlen im übrigen, die es gelüstete, ihre aussätzigen Seelen in dem päpstlichen Fischteiche rein zu baden und die nun Gold und Geschmeide herbeischleppten, um ihren Missetaten Vergebung zu erkaufen, den Ablaß zu bezahlen und die Heiligen zu beschenken. Ihr könnt sicher sein, daß sie zwar auf dem Hinwege Wasser tranken, dafür aber auf der Rückreise um so mehr Weihwasser aus dem Weinkeller haben wollten.

So kamen auch drei Pilger in die Stadt Avignon; aber das war ihr Unglück, denn die Stadt war ihren Papst bereits los. Daher wollten sie das Rhonetal entlang, um auf diesem Wege die Küste des Mittelländischen Meeres zu erreichen. Von diesen drei Pilgersleuten schleppte einer seinen zehnjährigen Sohn mit. Aber eines Tages blieb er mit diesem zurück, und als er in Mailand wieder seine Gefährten einholte, da hatte er seinen Sohn nicht mehr bei sich. Um das Wiedersehen zu feiern, begannen die drei nach der Vesper ein großes Gelage. Die anderen hatten nämlich geglaubt, ihr Kumpan habe seine Buße aufgegeben, weil er den Papst in Avignon nicht mehr angetroffen hatte. Einer der drei Romfahrer kam aus[445] Paris, der andere aus Deutschland und der dritte, der seinem Sohn wohl bei dieser Gelegenheit die Welt hatte zeigen wollen, stammte aus dem Herzogtum Burgund, allwo er ein Lehen besaß. Er war ein jüngerer Sohn des Hauses Spaltstadt (Villa in Fago) und hieß Fehlkorn. Der deutsihe Freiherr hatte den pariser Bürgersmann in Lyon getroffen, und diese zwei waren dem Herrn Fehlkorn vor den Toren von Avignon begegnet.

In diesem Gasthause also ließen die drei ihren Zungen freien Lauf und vereinbarten, zusammen weiter zu pilgern, damit sie gegen Raubzug, Nachtvögel und ähnliches Gesindel gesichert seien, davon die Wallfahrer alle Zeit bedroht waren. Man konnte da leicht alles Überflüssige los werden, bevor man beim Papste seiner Sünden ledig wurde. Nach dem Essen plauderten die drei bei vollem Becher, und da der Wein die Zungen zu lösen pflegt, so gestanden bald alle drei, daß die Ursache ihrer Reise ein Weib gewesen sei. Worob die Magd, die ihnen beim Trinken zusah, erklärte: auf hundert Pilger, die hier in diesem Gasthofe halt machten, wären neunundneunzig aus dem gleichen Grunde unterwegs. Die drei stellten alsbald Betrachtungen darüber an, welch verderblichen Einfluß doch die Frau auf den Mann ausübe. Dann zeigte der Freiherr eine gewichtige Goldkette, die er unterm Panzerhemd trug, um sie dem Heiligen Petrus darzubringen, und erklärte dabei, sein Vergehen sei so schlimm, daß er wohl für zehn solcher goldenen Ketten sich doch nicht loskaufen könnte. Der Pariser zog seinen Handschuh[446] aus, ließ so einen Diamanten sehen und sagte, seine Sünden seien wohl hundertmal so viel wert. Und dann nahm der Burgunder seine Kappe ab und brachte zwei wunderbare Perlen zum Vorschein, die sich wohl an den Ohren unserer Lieben Frauen von Loretto gar prächtig ausgenommen hätten; aber er gestand, daß es ihm lieber wäre, wenn er sie am Halse eines Weibes prangen sähe. Worob die Magd meinte, ihre Sünden müßten wahrhaftig ärger gewesen sein als die der Visconti. So erwiderten die Pilger, ihre Sünden seien so schrecklich schlimm gewesen, daß sie gelobt hätten, ganz abgesehen von den Bußen, die der Papst ihnen auferlegen würde, nie wieder eine Frau zu besitzen, und wenn sie auch das schönste Weib der Welt sei.

Die Magd war baß erstaunt, daß alle drei just das gleiche Gelübde abgelegt hatten und so erzählte der Burgunder, daß gerade dies sein Gelöbnis der Grund seines Zurückbleibens gewesen sei, denn er habe in Avignon eine Mordsangst bekommen, sein Sohn könnte trotz seiner Jugend auf Abwege geraten, und sein Gelöbnis besage, daß er auch sein Haus mit Vieh und allem, was dazu gehöre, vor der Sünde der Wollust bewahren müsse. Als sich hierob der Baron über seine Erlebnisse erkundigte, da erzählte der Wackere folgendes:

»Ihr wißt, daß die gute Gräfin Johanna von Avignon einst für alle Dirnen die Verfügung erließ, sie müßten in den Vorstädten wohnen, und zwar in Bordellen, die sich durch wohlverschlossene, rotgestrichene Fensterläden[447] kenntlich machen. Wie wir nun alle zusammen durch diese verdammte Vorstadt pilgerten, da wurde mein Sohn auf diese Häuser mit den verschlossenen roten Fensterläden aufmerksam, und da seine Neugierde erwacht war (ihr wißt ja, wie diese verflixten Bengel alles merken), so zupfte er mich am Ärmel und setzte mir so lange zu, bis er heraushatte, was das für Häuser wären. Kurz und gut, ich sagte ihm, um die Flagerei abzuschneiden: Knaben hätten in dieser Gegend nichts zu suchen und es wäre ihnen bei Todesstrafe verboren, dorthin zu gehen; denn es sei der Ort, wo Männer und Frauen gemacht würden und es bestände für diejenigen, die mit der Sache nicht sehr genau Bescheid wüßten, die große Gefahr, wenn sie so in aller Unschuld dort hineingerieten, daß ihnen eine Krabbe oder sonst ein ekles Getier ins Gesicht flöge. Darob bekam er eine Mordsangst und er kam schlotternd mit mir ins Gasthaus, ohne weiter einen Blick auf diese Häuser zu werfen. Während ich nun im Stalle war, um mir anzusehen, wie die Pferde untergebracht seien, kniff der Bengel aus und die Magd konnte mir auch nicht sagen, wo er hin war. Da fielen mir wieder die Huren ein und ich war in großer Sorge. Aber ich sagte mir, daß es ja streng verboten war, so junge Knaben einzulassen und darüber beruhigte ich mich. Zum Abendessen erscheint der Schlingel wieder auf der Bildfläche, aber so selbstbewußt, wie unser lieber Heiland im Tempel unter den Schriftgelehrten nicht unbefangener hätte sein können.

›Woher kommst du?‹ fragte ich.[448]

›Von den Häusern mit den roten Fensterläden.‹

›Warte, du Galgenstrick, du sollst die Peitsche besehen!‹

Darob fängt er an zu heulen und zu gnauzen und ich sage endlich: wenn er alles offen beichten wolle, dann sollten ihm die Prügel geschenkt werden.

›Ach,‹ schluchzte er, ›ich habe mich ja gehütet hineinzugehen, aus Angst vor den Krabben und dem anderen Viehzeugs. Ich habe nur durch die Fensterritzen geguckt, um zu sehen, wie Menschen gemacht wer den.‹

›Was hast du denn da gesehen?‹ fragte ich.

›Ich sah eine schöne Frau, die beinahe fertig war. Es fehlte nämlich nur noch ein Bolzen, den ein junger Arbeiter mit sehr viel Eifer eintrieb. Sowie sie fertig war, hat sie sich bewegt, gesprochen und ihren Arbeiter geküßt.‹

›Jetzt iß!‹ befahl ich.

Und dann ging ich über Nacht mit ihm nach Burgund zurück und übergab ihn seiner Mutter, damit er nicht in der nächstbesten Stadt auch versucht, einen Pflock in irgend ein Mädchen einzurammen.«

»Ja, Kinder geben manchmal spaßige Antworten,« meinte der Pariser. »So enthüllte der Sohn meines Nachbarn dessen Hahnreischaft durch folgende ahnungslose Bemerkung: Eines Abends will ich ihn über seine Kenntnisse ausfragen, die er im Religionsunterricht erworben hatte. Darum frage ich: ›Was ist die Hoffnung?‹ Und er antwortet ohne Zaudern: ›Das ist ein dicker königlicher Schütze, der immer ins Haus kommt, wenn Vater weg[449] ist.‹ Wirklich stellte sich heraus, daß der Hauptmann der königlichen Armbrustschützen von seinen Leuten so genannt wurde. Mein Nachbar war natürlich wie aufs Maul geschlagen und als er, um sich Haltung zu verleihen, in den Spiegel schaute, konnte er wirklich sein Geweih nicht wahrnehmen.«

Darob bemerkte der Freiherr, die Antwort des Bengels sei gar nicht so übel, denn die Hoffnung sei eine Dirne, mit der wir schlafen gingen, wenn die Wirklichkeiten des Lebens uns enttäuschten.

»Ist ein Hahnrei nach Gottes Bilde gefertigt?« fragte der Burgunder.

»Nein!« rief der Pariser, »denn Gott war weise genug, kein Weib zu nehmen, und darum wird er glücklich sein bis in alle Ewigkeit.«

»So sind die Hahnreie also nur Gottes Ebenbilder, solange sie noch kein Geweih tragen,« faßte die Magd zusammen.

Alsbald huben die drei Pilger an, auf die Frauen zu schimpfen, und schrieen: alles Unheil dieser Welt stamme einzig und allein nur von ihnen.

»Ihr Schoß ist tief wie mein Helm!« rief der Burgunder.

»Ihr Herz ist krumm wie eine Sense!« erklärte der Pariser.

»Warum sieht man so viele Pilger und so wenig Pilgerinnen?« fragte der deutsche Freiherr.

»Weil nicht sie, sondern ihren Schoß die Schuld trifft, und der sündigt nicht!« brüllte der Pariser. »Er kennt weder[450] Vater noch Mutter, noch Gottes oder der Kirche Gebote; keine himmlischen noch irdischen Gesetze, weder Doctrine noch Ketzereien, und darum kann man ihm nichts zum Vorwurf machen. Er fühlt sich immer schuldlos, lacht immer, begreift nichts und darum kann ich nur mit Haß und tiefem Abscheu daran denken.«

»Gerade so geht es mir,« grunzte der Burgunder. »Und ich beginne darum jetzt den tiefen Sinn der Auslegung verstehen, die ein Schriftgelehrter der biblischen Schöpfungsgeschichte gab. Diese Auslegung nämlich, die wir daheim eine Weihnachtslegende nennen, besagt, daß in ihr die Unvollkommenheit des Menschweibes gegenüber allen Tierweibchen erklärt sei. Denn einzig bei jenem ist der Durst nach dem Manne nie zu stillen, weil höllische Gluten in ihm brennen. Die Legende erzählt, daß Gott einen Augenblick seinen Kopf weggedreht habe, um einen Esel anzuschauen, der zum ersten Male im Paradies sein I-ah-Geschrei anhub. Und da Gott gerade mit der Gestaltung Evas beschäftigt gewesen sei, so habe der Teufel diesen Augenblick benutzt, um seinen Finger in dies zu vollkommene Geschöpf hineinzubohren. Alsbald habe der Herr die entstandene glühende Wunde wieder geschlossen und daher gäbe es Jungfrauen. Dank diesem Umstande könnte die Frau immer unberührt bleiben und die Kindlein zur Welt bringen wie Gott die Engelein schuf; sie würde darüber eine Seligkeit empfinden, die so hoch über alle fleischlichen Wonnen erhaben wäre, wie der Himmel über die Erde. Der Teufel aber sei über diese Verheilung[451] der Wunde in Wut geraten, denn so wäre ja sein Eingriff zunichte geworden. Darum packte er Adam, der gerade schlief, bei der Haut und zerrte daran herum, bis er ein Ding geformt hatte, das dem Teufelsschwanze glich. Aber da der Vater unserer Menschheit auf dem Rücken lag, so sei dies Anhängsel vorn hingekommen. Und nun hätten nach dem göttlichen Gesetze der Anziehungskraft, wie es für den Lauf der Welten festgelegt war, diese zwei Teufelsschöpfungen den glühenden Wunsch, zusammen zu kommen, und daraus entstand der Sündenfall und das ganze Unglück der Menschheit; denn als Gott dies Teufelswerk erblickte, da wollte er gern auch sehen, was daraus wohl kommen mochte.«

Hierauf bemerkte die Magd, an all diesen Reden sei manches nicht so unrichtig, denn die Frau sei ein boshaftes Tier und sie kenne gar manche, die wohl besser unter die Erde gehöre, statt auf ihr die Welt unsicher zu machen. Nun erst fiel den Pilgern auf, daß dies Mädel bildhübsch war, und ihnen wurde gar bange, auf Abwege zu geraten. Darum gingen sie schleunigst schlafen. Die Magd aber ging zu ihrer Herrin, berichtete ihr, was für Ketzer unter ihrem Dache schliefen, und erzählte die Ansichten, welche die drei über Frauen geäußert hatten.

»Ach«, meinte die Wirtin, »was scheert es mich, was diese Kunden für Ansichten mit sich herumtragen, wenn nur ihre Beutel voll genug sind.«

Als dann aber die Magd die Schmucksachen schilderte, da rief sie tiefbewegt aus: »Oho, das geht alle Frauen[452] an und darum muß man ihnen Vernunft beibringen. Ich werde das bei den Edelleuten besorgen und du magst den Bürger übernehmen!«

Die Wirtin war nämlich das verhurteste Frauenzimmer des ganzen Herzogtums Mailand. Eilends schlich sie in die Stube, darinnen der Herre von Fehlkorn und der deutsche Freiherr schliefen, und sprach ihnen sogleich ihren Glückwunsch zu ihrem Gelübde aus. Aber, meinte sie, wahrscheinlich verlören die Frauen dabei nicht viel, und im übrigen gehöre es zur Erfüllung eines solchen Gelöbnisses, daß man die Probe mache, ob die Herren auch jeglicher Versuchung widerstehen könnten. Deshalb also bot sie ihnen an, bei ihnen zu schlafen, um sich zu überzeugen, ob ihr nicht dabei das gleiche widerführe wie in allen Fällen, wo sie mit einem Manne in einem Bette geschlafen habe.

Am nächsten Morgen beim Frühstück trug die Magd den Ring am Finger, die Wirtin aber hatte die Kette umhängen und die Perlen blinkten an ihren Ohren. Die drei Pilger blieben etwa einen Monat in dieser Stadt, und als sie all ihr Geld verbracht hatten, da waren sie sich darüber einig, ihr wildes Geschimpfe auf die Frauen habe nur darin seinen Grund gehabt, daß sie die Mailänderinnen noch nicht gekostet hatten.

Als der Freiherr nach Deutschland zurückkam, da ward er inne, daß er eigentlich weiter keine Schuld auf sich geladen hatte als die, schon wieder daheim zu sein. Der pariser Bürgersmann kam mit einer schweren Menge[453] Pilgermuscheln heim und fand sein Weib bei der ›Hoffnung‹. Der Burgunder Edelmann aber fand seine Gemahlin so voller Lebenssucht vor, daß er sich geradezu umbrachte, um sie nur zu trösten. Und darüber ging auch sein Gelübde flöten. Darum merkt euch: in Gasthöfen soll man immer schön fein den Mund halten.

Quelle:
Honoré de Balzac: Die drolligen Geschichten welchselbige der wohledle Herr von Balzac als Festtagsschmaus für alle Pantagruelskindlein in den Abteien der Touraine sammelte und ans Licht zog. Berlin [o.J.], S. 444-454.
Lizenz:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon