1.

[469] »Als ich vor einigen Jahren mit Gudrun bekannt wurde, war der vordere Theil des Gedichtes, der in Irland spielt, mir völlig neu, und ich erinnere mich auch nicht, früher jemals von dem Inhalte desselben etwas gehört zu haben. Anders aber war es mit dem Haupttheile: die Erzählung selbst, die vorkommenden Namen, die einzelnen Scenen, Alles erschien mir eigenthümlich bekannt, wie etwas, das ich längst gewußt. Nach einigem Besinnen erinnerte ich mich endlich, daß ein Mädchen, welches 1826-1828 in Hagenow, im Hause meiner Eltern diente, den Inhalt des genannten Gedichtes im Volksdialecte zuweilen zur Unterhaltung in der Kinderstube erzählte. Ich habe als wirkliche und bestimmte Erinnerung nur drei Momente daraus im Gedächtniß behalten. Erstens: ›Dor kümt de oll War (Wad') von Stormland‹. Diese Worte wurden jedesmal mit gehobener Stimme und mit demjenigen Nachdruck gesprochen, mit welchem man eine bedeutende Persönlichkeit in die Erzählung einführt. Zweitens ›Dor kamen se an up dem Wulpensann‹. Drittens, erinnere ich mich deutlich, wie die Scene geschildert ward, als Gudrun und ihre Gefährtin am frühen Morgen, ehe sie zum Meeresstrande gehen, sich in das Vorzimmer der bösen Herzogin schleichen und dort an der Thür lauschen, ob dieselbe schon erwacht sei und sie ihr die Bitte vortragen können, Strümpfe anziehen zu dürfen.«


Fräulein A. Krüger in Rostock; vgl. Germania 12, 220-224.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 469.
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