10. Der dumme Krischan.

[491] Ein Bauer hatte drei Söhne, Fritz der Aelteste, Johann der Zweite und Krischan der Jüngste; der galt bei seinem Vater und seinen Brüdern für ein bischen dämlich und hieß deshalb nur ›der Dumme‹. Als nun der Bauer zum Sterben kam, rief er seine drei Söhne an sein Bett und sagte ›Lieben Kinder, wenn ich todt bin, dann soll mein Sarg offen in der Kirche hingestellt werden, und jede Nacht soll Einer von euch bei mir wachen, zuerst Fritz, dann Johann und zuletzt Krischan.‹ Wie er nun gestorben war und der erste Abend herankam, sagte Fritz zu Krischan ›Krischan, mir graut davor, bei Vatern zu wachen; geh du hin und wach für mich.‹ Das that denn Krischan auch. Als die Glocke Zwölf schlug, da richtete sich der Todte auf und fragte ›Fritz, mein Sohn, bist du hier?‹ ›Nein, Vater,‹ antwortete Krischan, ›Fritzen graute vor dir, ich bin Krischan.‹ ›Hier Krischan,‹ sagte der Todte, ›hast du 'ne weiße Flöte (Pfeife). Wenn du Morgens hier weggehst, dann flöt auf beiden Enden und wart ab, was kommt.‹ Das that denn Krischan und blies am Morgen erst auf dem rechten Ende, da stand ein schöner Schimmel, mit schönem Sattelzeug und schönen Kleidern auf dem Rücken, vor ihm. Die Kleider zog er an und setzte sich auf das Pferd und ritt eine Weile herum. Dann stieg er ab und blies auf dem andern Ende, da war der Schimmel weg. Er steckte die Flöte in die Kirchhofsmauer und ging nach Hause.

Am zweiten Abend kam die Reihe an Johann; der sagte zu Krischan ›Mir graut davor, in der Nacht bei Vatern zu wachen; geh du hin und wach für mich.‹ Und Krischan that so, und es ging die Nacht wie die erste, nur bekam er diesmal eine braune Flöte. Und wie er am Morgen drauf blies, stand da ein schöner Brauner, auf dem ritt er ein wenig herum, dann blies er am andern Ende und der Braune war verschwunden. Er steckte auch diese Flöte in die Mauer und ging nach Hause.

Am dritten Abend kam an ihn die Reihe, und diesmal gab ihm der Vater eine schwarze Flöte und sagte, nun brauche Keiner[492] mehr bei ihm zu wachen. Am Morgen pfiff er sich ein schönes schwarzes Pferd her, das er, nachdem er drauf geritten, wieder verschwinden ließ, worauf er die schwarze Flöte zu den andern legte und heimging.

Nicht lange darnach wurde von einer schönen Prinzessin erzählt, die auf einem hohen steilen Glasberge wohne. Der König, ihr Vater, ließ bekannt machen, wer den Berg zu Pferde hinaufreiten könne, solle seine Tochter zur Frau haben. Daran versuchten Viele ihr Glück, aber Keinem gelang es. Da beschlossen auch Fritz und Johann es zu wagen. Als Krischan das hörte, sagte er, sie möchten ihn doch auch mitnehmen. ›Ach,‹ sagten die Brüder, ›dazu bist du viel zu dumm; du bleibst zu Hause,‹ und backten ihm die Pantoffeln an die Strümpfe fest, damit er ihnen nicht nachkommen könnte. Wie sie weg waren, zog Krischan die Strümpfe sammt den Pantoffeln aus, ging barfuß nach dem Kirchhof, nahm die weiße Flöte und flötete, und als der Schimmel vor ihm stand, zog er die schönen Kleider an und ritt stracks nach dem Glasberg. Der Schimmel kam bis an die Mitte des Berges. So weit war noch Keiner gekommen; aber da konnte er auch nicht weiter. Abends, wie seine Brüder nach Hause kamen, war Krischan all da und hatte seine hölzernen Pantoffeln an. Die Brüder erzählten ihm von dem schönen Herrn, der bis zur Hälfte heraufgeritten war, wußten aber nicht, daß das ihr Bruder Krischan mit den hölzernen Pantoffeln gewesen war.

Am andern Tage ritten die Brüder wieder hin und Krischan hinter ihnen, diesmal auf seinem Braunen und diesmal kam er beinahe bis an die Spitze. Abends kamen die Brüder nach Hause und fanden Krischanen schon vor; sie erzählten auch diesmal von dem Herrn auf dem Braunen. Am dritten Tage ritt Krischan auf dem schwarzen Pferde in den schönsten Kleidern nach dem Glasberg und kam bis ganz hinauf, wo er von der Prinzessin gar lieblich empfangen wurde. Er wurde nun König über das ganze Land und hielt Hochzeit mit der schönen Königstochter. Seinen Brüdern aber trug ers nicht nach, daß sie ihn ›den Dummen‹ genannt hatten, sondern holte sie an seinen Hof und hielt sie hoch in Ehren.


Ad. Brandt, nach Erzählung eines Mannes aus der Gegend von Wittenburg.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 491-493.
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