2. Ein Siegfried-Märchen.

[474] Ein armer Mann hatte zwei Söhne, mit denen er sich vom Besenbinden kümmerlich nährte. Eines Tages brachten sie ihm aus dem Walde statt der Reiser einen Vogel mit, dessen Flügel hatten goldene, die Brust silberne Farbe. Auch sang er so schön, daß es eine Freude war, ihn zu hören, und daß der Alte bald nichts lieber auf der Welt hatte, als seinen Gesang. Da ritt einst ein Graf am Hause des Besenbinders vorüber. Er hörte den Vogel singen und hielt sein Roß an; da sah er, daß unter den Flügeln des Vogels zu lesen stand ›Wer mein Herz ißt, der wird einst König werden.‹ Da bot der Graf dem Alten viel Geld für den Vogel, und als der Alte nicht einwilligen wollte, versprach ihm der Graf, ihn und seine Söhne auf sein Schloß zu nehmen, wo sie gute Tage haben sollten. Aber der Graf hielt nicht Wort; der alte Mann mußte täglich Holz hacken und seine Söhne es in die Küche tragen, wobei sie mehr Schläge als Brot bekamen. Den Vogel aber ließ der Graf rupfen[474] und sein Herz braten, damit er einst König werde. Wie nun der Koch grade damit beschäftigt war, kam der jüngere Sohn des Besenbinders in die Küche, und da ihn sehr hungerte, nahm er in einem Augenblick, wo der Koch bei Seite gegangen, das gebratene Herz vom Teller und verzehrte es. Der Koch war gewaltig erschrocken, denn der Graf hatte ihm höchste Sorgfalt anbefohlen; er jagte den Jungen unter der Drohung, dem Grafen Alles zu sagen, vom Hofe, nahm das Herz einer Taube und setzte es dem Grafen gebraten vor.

Der Junge hatte seinem ältern Bruder sein Leid geklagt und beide beschlossen, zu entfliehen. Sie wanderten immer weiter und weiter, bis sie in einen dunklen Wald kamen. Sie legten sich ermüdet unter eine Eiche und schliefen ein. Als sie erwachten, stand vor ihnen ein Jäger; der sah sie scharf an und fragte, wer sie seien und woher sie gekommen. Die Knaben zitterten, und der Jüngste, dem sein Gewissen schlug, erzählte sein Schicksal. Da wurde der Jäger freundlicher und sagte, sie sollten mit ihm kommen, er wolle tüchtige Jäger aus ihnen machen. Sie gingen mit ihm. Wie nun ihre Lehrzeit vorüber war, sagte er ›Ihr müßt nun in die Welt hinaus; vorher aber bittet euch drei Dinge von mir aus.‹ Da baten sie ihn Jeder um ein Pferd, einen Hirschfänger und um einerlei Kleidung für Beide. So trabten sie von dannen, bis sie an einen Scheideweg kamen. Da sprach der Aeltere ›Hier wollen wir uns trennen und unsere Hirschfänger aufhängen; wer von uns zuerst wieder herkommt und sieht des Andern Hirschfänger gerostet, der mag wissen, daß es ihm schlecht geht oder er gar todt ist.‹ Drauf trennten sie sich; der eine ritt rechts, der andre links.

Dem Jüngsten kam nicht lange drauf ein Löwe in den Weg gelaufen. Er wollte seine Büchse anlegen; da erhob der Löwe seine Stimme, er solle ihn leben lassen, er wolle ihm auch in jeder Noth und Gefahr beistehen. ›Nun dann,‹ sprach der Jäger, ›so wende dich hinter mich.‹ Bald darauf kam ein Fuchs gelaufen, mit dem ging es ebenso wie mit dem Löwen, und zuletzt ein Hase. Als nun der Jäger mit den drei Thieren weiter zog, kam er in eine Stadt, die mit schwarzem Flor umzogen war. Er vernahm, daß ein Drache in der Gegend hause, der alljährlich eine Jungfrau verlange. In diesem Jahre sei die Reihe an des Königs Tochter und darum trauere[475] Alles. Der König habe sie Demjenigen zur Frau versprochen, der den Drachen tödte. Am andern Morgen machte sich der Jäger nach dem Orte auf, wo der Drache hauste. Schon hielt der Wagen des Königs dort, in dem die Königstochter saß. Nicht lange, so kam auch der Drache hergefahren, er hatte einen langen Schweif und sieben Köpfe. Da sprach der Jäger zu seinen Thieren ›Nun allesammt, und reißt, was ihr könnt.‹ Die Thiere packten den Drachen an, und der Jäger schlug wacker drauf los, daß der Drache bald todt dalag. Todtmüde ruhte der Jäger am Boden, da nahm der Kutscher der Prinzessin das Schwert und schlug dem Jäger den Kopf ab und sagte zur Prinzessin ›Wenn du mir nicht schwörst, mich als Den zu bezeichnen, der den Drachen getödtet hat, so tödte ich dich.‹ Da schwur ihm die Prinzessin, was er verlangte.

Die Thiere standen traurig bei ihrem todten Herrn. Da sprach der Fuchs zum Hasen ›Dort im Walde wohnt eine alte Frau, die hat eine Salbe; lauf so schnell wie möglich hin und bringe sie her.‹ Das that der Hase und brachte die Salbe; der Fuchs nahm des Jägers Kopf, setzte ihn auf den Rumpf, bestrich die Wunde mit der Salbe und der Jäger war wieder lebendig.

Nach einem Jahre kam er wieder in die Stadt; jetzt war sie mit rothem Flor umgeben. Er erfuhr, daß heute die Prinzessin mit ihrem Befreier, dem Kutscher, Hochzeit halte. Da nahm der Jäger einen Korb, legte einen Brief hinein, in dem er Alles erzählte, hing ihn dem Fuchse um den Hals und hieß ihn laufen. Der Fuchs lief in des Königs Palast, wo die Prinzessin mit ihrem Bräutigam oben an der Tafel saß und legte seinen Kopf sammt dem Korbe in ihren Schoß. Die Prinzessin erschrak zuerst, dann nahm sie den Brief und las ihn. Drauf sprach sie zu dem Könige und seinen Räthen ›Was hat der verdient, der so und so gethan hat?‹ und erzählte die Geschichte. Da sprachen Alle ›er ist werth, in eine Tonne, mit Nägeln ausgeschlagen, gesteckt und vom Berge herunter ins Wasser gerollt zu werden.‹ Da sprach die Prinzessin ›So muß das meinem Bräutigam geschehen.‹ Und so geschah es auch; der Jäger aber machte mit der Prinzessin Hochzeit.

Er konnte aber vom Jagen nicht lassen. Einst verfolgte er auf der Jagd eine Hirschkuh, die ganz weiß war. Immer tiefer kam er[476] in den Wald, daß es dunkelte. Da gelangte er zu einer Hütte, vor der eine alte Frau mit einer Ruthe in der Hand stand. Die bat er um Herberge. ›Ja,‹ sagte sie, ›die wolle sie ihm wohl gewähren; aber mir graut vor deinen Thieren, laß sie mich mit meiner Ruthe berühren.‹ Das erlaubte ihr der König, sie strich einmal mit der Ruthe über ihn und die Thiere: da wurden sie Alle zu Stein.

Indeß war der ältere Bruder nach mehrjähriger Wanderung zu der Eiche gekommen, wo sie sich getrennt hatten. Da sah er seines Bruders Hirschfänger verrostet und machte sich auf, ihn zu suchen. Er kam in den Wald, in dem sein Bruder zu Stein verwandelt war, und kam auch zu der Hütte der alten Frau. Diese wollte ihn mit ihrer Ruthe berühren, da spannte er seine Büchse und drohte sie niederzuschießen, wenn sie ihm nicht sage, wo sein Bruder sei. Da bat die Frau um ihr Leben, führte ihn zu den Steinen, berührte sie mit der Ruthe und der Bruder und seine Thiere wurden wieder lebendig. Sie zogen in des Königs Schloß und lebten fröhlich bis an ihr Ende.


Ein Seminarist in Neukloster.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 474-477.
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