1.

[99] Lustig ging es her zu Kessin; es war Pfingstbier, und es ward getanzt bis in die späte Nacht. Aus entfernten Dörfern waren Knechte gekommen. Um Mitternacht wollte einer von ihnen übers Feld nach Hause; man nöthigte ihn vergebens zu bleiben. Er ging von dannen. Dunkel ward die Nacht; nicht Weg noch Steg konnte er sehen. Und als er nun eine Strecke gegangen war, da ward's helle um ihn, als ob ringsum die Dörfer brennten; da krachte über ihm ein fürchterlicher Donnerschlag. Er aber ging getrost von dannen. Nun ward's ruhig um ihn. Plötzlich sieht er neben sich einen langen Mann wandern. Sie grüßen sich nicht. Als er nun an einen Steg kam, trat der lange Mann näher und sprach ›wie willst du da hinüber kommen?‹ ›Das geht dich nichts an,‹ erwiderte der Knecht, und schritt dreist hinüber. Sie kamen an den Gartenzaun des Bauernhauses. ›Wie willst du da hinüber kommen?‹ fragte der Fremde.[99] ›Das geht dich nichts an,‹ versetzte der Knecht, und stieg unverzagt über die zugespitzten Pfähle des Zaunes. Sie kamen ans Haus; es war verschlossen. ›Wie willst du da hineinkommen?‹ fragte Jener wieder. ›Das geht dich nichts an,‹ antwortete der Knecht, und klopfte ans Fenster. Die Hausmutter öffnete, und Beide traten in die Stube und setzten sich hinter den Tisch. Es ward Licht angezündet. ›Mutter,‹ sprach der Knecht, ›diesem Fremden ist nicht wohl; wir wollen den Prediger rufen, daß er ihn tröste aus Gottes Wort.‹ Da ward der Fremde kleiner und immer kleiner und lief endlich gleich einer Maus zur Thür hinaus. Des freuete sich der Knecht mit der Hausfrau und dankte Gott.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 99-100.
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