148. Der Spinnberg.

[127] Südlich vom Burgwall liegt an der Ausgangsschleuse des Elde-Canals in der Fahrenhorst ein Berg, welcher der Spinnberg genannt wird. In diesem Berge will man regelmäßig in der Morgen- und Abenddämmerung ein Geschnurre gleich dem des Spinnrades hören. Es geht die Sage von diesem Berge und von dem Geschnurre in demselben also.

Zu Daschow brachte die Frau eines Edelmannes, welche eine Hexe gewesen, die Müllergesellen, die in der dortigen, dem Edelmann gehörigen Mühle gearbeitet, alle um, und zuletzt wollte kein Müllergeselle bei dem Herrn mehr dort arbeiten. Nachdem nun die Mühle lange Zeit still gestanden, meldet sich einmal wieder ein Müllergesell bei dem Herrn und spricht um Arbeit an. Dieser macht ihn auf die große Gefahr aufmerksam. Aber der Geselle, Grünberg-Harm, erwidert, er habe keine Angst und zeigt dabei auf einen Degen, welchen er unter seinem Jöppchen hervorzieht. Abends zieht er mit der Spitze seines Degens einen ziemlich weiten Kreis um die Mühle. Darauf[127] macht er sich innerhalb dieses Kreises ein Feuer an, bläst dreimal geheimnisvoll darein und zündet sich drob gemüthlich seine Pfeife an. Als er nun so rauchend mit übergeschlagenen Beinen dasitzt, hört er leise Tritte; er blickt in die Höhe, und eine große, schwarze Katze stiert ihn mit feurigen Augen an. Kauernd duckt sie sich und schickt sich wie zum Sprunge an. Sie schnellt sich in die Höhe. Doch plötzlich, wie vom Donner gerührt, stürzt sie miauend zurück, die magische Kreislinie hat ihre Wirkung gethan. Höhnend spricht jetzt unser Grünberg-Harm ›Kätzchen, komm heran und wärme dich,‹ worauf die Katze erwidert ›Spricht Müllergesell Grünberg-Harm zu mir.‹ Dieses wiederholt sich an drei Freitagabenden.

Am dritten Abend wird die Katze so dreist, daß sie mit einer Pfote über die Kreislinie langt, um mit ihren Krallen den sie neckenden Müllergesellen zu packen. Da, ehe die Katze es sich versieht, zieht dieser seinen Degen und haut der Pfote zwei Zehen ab. Schreiend rennt die Katze davon. Grünberg-Harm besieht sich die Zehe jetzt näher und sieht, daß es der kleine und der Goldfinger einer Frauenhand ist. Auf dem Goldfinger steckt ein Ring mit einem Diamant. Neugierig besieht er denselben näher und findet darauf den Namenszug der gnädigen Frau. Er steckt die beiden Finger in die Tasche und geht am andern Morgen auf das Schloß. Die gnädige Frau ist krank, liegt im Bett und hat die linke Hand mit einem Tuche umwunden. Der Forderung des Gesellen, die linke Hand hervorzuziehen, widersetzte sie sich. Da zieht Grünberg-Harm die Finger mit dem Ringe aus der Tasche und zeigt sie dem Herrn. Diesem aber wird unheimlich zu Muthe, es graut ihm vor seiner Frau, und er bittet den Grünberg-Harm, ihn von derselben zu befreien. Grünberg-Harm peitscht und treibt sie mit Zauberruthen in ein Bierlegel, worauf er dem Edelmann erklärt, daß, wenn seine Frau nicht wiederkehren und noch ärger hausen solle, als sie bisher gethan, sie über ein fließendes Wasser gebracht werden müsse. So trägt jetzt Grünberg-Harm das Bierlegel mit der Hexe über die Elde nach dem Orte, welcher jetzt noch der Spinnberg heißt, und der damals von allen menschlichen Wohnungen am weitesten entfernt lag. Hier hängte er das Bierlegel an eine Buche. Da fragt sie ihn ›Welches ist meine Stelle, wenn die Buche gefällt wird?‹ ›Der Stamm.‹ ›Und welches[128] ist meine Stelle, wenn der Stamm gerodet wird?‹ ›Die Stammstelle.‹ ›Und welches ist meine Arbeit?‹ ›Spinnen.‹ Es wird ihr nun noch von Grünberg-Harm ein verzaubertes Spinnrad gebracht, worauf sie jedoch nicht bei Tage, sondern nur während der Abend- und Morgendämmerung spinnt.


Von einem Seminaristen in Neukloster.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 127-129.
Lizenz:
Kategorien: