183. Der Wehrwolf von Klein-Krams.

[148] In der Nähe von Klein-Krams bei Ludwigslust gab es in früheren Zeiten ausgedehnte Waldungen, die so reich an Wild waren, daß die Herzöge oft in diese Gegend kamen, um große Treibjagden zu halten. Aus diesen Jagden ließ sich fast jedesmal ein Wolf blicken, der, wenn er auch in Schußnähe kam, doch nie von den Schützen erlegt werden konnte; ja letztere mußten es sogar mit ansehen, daß er vor ihren Augen ein Stück Wild raubte und – was ihnen höchst merkwürdig war – damit ins Dorf lief. Nun geschah es einmal, daß ein Ludwigsluster Husar durch das Dorf reiste und hier zufällig in das Haus eines Mannes Namens Feeg kam. Beim Eintritt in dieses Haus stürmte aus demselben eine Schaar Kinder mit[148] heftigem Geschrei und eilte auf den Hof hinaus. Diese, von ihm nach der Ursache ihres tollen Treibens befragt, erzählten ihm, daß, außer einem kleinen Knaben, von der Feeg'schen Familie Niemand zu Hause sei, und daß dieser, wie gewöhnlich, wenn Niemand von den Seinen anwesend wäre, sich in einen Wolf verwandelt habe, vor dem sie fliehen müßten, weil er sie sonst beißen würde. Bald darauf erschien auch der gefürchtete Wolf; aber nun hatte er seine Wolfsgestalt abgelegt. Der Husar wandte sich alsbald an das Feeg'sche Kind, damit es ihm über das Wolfsspiel Aufschluß gebe; der Knabe aber wollte nicht mit der Sprache heraus. Doch der Fremde ließ nicht nach und endlich gelang es ihm denn auch, den Knaben zum Sprechen zu bringen. Dieser erzählte ihm nun, seine Großmutter habe einen Riemen, wenn er sich den umschnalle, dann wäre er augenblicklich ein Wolf. Der Husar bat nun den Knaben freundlich, er möge doch einmal als Wehrwolf erscheinen. Der Knabe weigerte sich anfangs, doch endlich sagte er, er wolle es thun, wenn der fremde Mann zuvor auf die Hilde stiege, damit er vor ihm gesichert wäre. Der Husar verstand sich hierzu und zog zur Vorsicht die Leiter, mittelst der er auf die Hilde gestiegen war, hinauf. Als dies geschehen, läuft der Knabe in die Stube und kommt bald darauf als junger Wolf heraus, der Alle, die sich auf der Diele befinden, zum Hause hinausjagt. Nachdem nun der Wolf wieder in die Stube gelaufen und als Knabe wieder herausgekommen war, stieg der Husar von seiner Abseite und ließ sich von dem Feeg'schen Kinde den zauberischen Gürtel zeigen, woran er aber nichts Besonderes entdecken konnte.

Derselbe Husar kam darauf auch zu einem Förster in der Nähe von Klein-Krams, dem er das in dem Feeg'schen Hause Erlebte mittheilte. Der Förster, der auf den großen Treibjagden bei Klein-Krams immer gewesen war, denkt bei dieser Erzählung sogleich an jenen unverwundbaren Wolf. Er meint nun den Wehrwolf erlegen zu können und spricht darum bei dem nächsten Treiben zu seinen Freunden, indem er eine Kugel von Erbsilber in den Lauf seiner Flinte schiebt. ›Heute soll mir der Wehrwolf nicht entgehen!‹ Seine Gefährten sehen ihn verwundert an; er aber erzählt nichts weiter. Darauf beginnt das Treiben, und es währt nicht lange, so zeigt sich auch wieder der Wolf. Viele von den Jägern schießen auf ihn; aber[149] er bleibt unverwundet. Endlich kommt er in die Nähe des Försters und dieser streckt ihn zu Boden. Der Wolf ist verwundet, das sehen Alle; aber bald darauf springt er wieder auf und läuft ins Dorf. Die Jäger verfolgen ihn; allein der Wehrwolf kann noch schneller laufen und entschwindet ihnen auf dem Feeg'schen Hofe. Beim Nachsuchen kommen sie denn auch in das Haus und finden hier in dem Bette der Großmutter den Wolf, den sie an dem unter der Bettdecke hervorragenden Schwanze erkennen. Der Wehrwolf war niemand Anderer als Feeg's Großmutter. Sie hatte in ihrem Schmerze vergessen, den Riemen abzulegen und so verrieth sie selbst das Geheimniß.


Seminarist G. Diehn; vgl. Giese bei Niederh. 2, 11 ff. NS. 258.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 148-150.
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