3.

[160] Vor etwa zwanzig Jahren vernahm der Reisende, wenn er in einer stillen Herbstnacht den Weg von Ludwigslust nach Boitzenburg machte und bis in die Gegend südlich von Bresegard gekommen war, ein durchdringendes, ziemlich anhaltendes, im höchsten Tenore gerufenes ›Juch!‹ Sagte er solches, der Meinung, daß es der Hilferuf eines Verunglückten sei, in dem Dorfe Groß-Krams an, so erfuhr er, daß es das Geschrei eines Gespenstes sei, welches schon seit Mitte vorigen Jahrhunderts fast immer, besonders in den stillen Herbstnächten, auf der südlichen Feldmark Bresegards sein ›Juch‹ und andere unverständliche Worte erschallen lasse, und sowohl alle Umwohner als Fremde in Furcht und Schrecken setze. Hunderte von Geschichten wußte man gewöhnlich von diesem Gespenste zu erzählen. Nach der Aussage eines alten Brettsägers, Namens Roß, der es einmal in einer hellen Vollmondnacht in dem Schmachting, einem Haufen Tannen am Wege von Groß-Krams nach Bresegard, gesehen hatte, da es ihm in einer Entfernung von etwa zehn Fuß vorbeigeschritten war, sollte es in der Gestalt eines alten, gebückten Mannes, in gestreifter Kniehose, gestreifter Jacke und weißer Schlafmütze, festen Schrittes durch die Felder eilen und nicht ›Juch‹, wie man gewöhnlich vernehme, sondern ›Huut! hir geit dei Scheid!‹ geschrien haben, und solches so gellend, daß ihm sein Kopf zu platzen gedroht habe. Andere bestätigen dann gewöhnlich diese Aussage, da auch sie ihn in ähnlicher Kleidung gesehen haben wollen. Alle aber pflegten solche Reisenden dann zu beglückwünschen, denn selten soll Einer ungeschoren davon gekommen sein, fast immer hat er sie irre, oft sogar in Sümpfe und Teiche geführt. Besonders soll er diese Tücke gezeigt haben, wenn Reisende oder Andere es versucht hatten, seine Stimme nachzuahmen.

Als einmal beim Flachsbrechen ein sich durch Muthwillen auszeichnender junger Mann, trotz des Abrathens aller Uebrigen, es versuchte, denselben Ton hervorzubringen, den er aus weiter Ferne vom Juchhans gehört, hat Letzterer, nachdem er schon durch sein immer deutlicher und stärker werdendes ›Huut‹ sein Kommen angezeigt[160] hatte, die ganze Gesellschaft auseinander gejagt, den muthwilligen Knecht aber beim Ueberspringen eines Zaunes ergriffen, ihn etlichemale gegen denselben geschleudert und darauf laufen lassen.

Einem mit einem Mehlsack auf der Karre von der Mühle kommenden Tagelöhner, der dem Juchhans auch nachgeschrien, hat er sich auf die Karre gesetzt. Da ihn dieser aber, als er ihn seiner Schwere halber nicht weiter karren konnte, heruntergeworfen, ist er stets hin und her über die Karre gesprungen und hat dieselbe beim Ueberspringen mit umgeworfen, bis ihm endlich ein Kreuzweg dieses kurzweilige Spiel weiter zu treiben verboten hat.

Eine Gesellschaft Kruggäste, der es einmal eingefallen war, ihn muthwilligerweise durch ihr Nachjuchheien heran zu rufen, hat er dafür die ganze Nacht nicht aus dem Kruge gelassen, indem er stets vor Thür und Fenster auf und nieder ging und sein ›Huut!‹ ins Haus hinein kreischte.

Leuten, welche aus den benachbarten Dörfern gekommen sind, ist er oft auf die Schulter gestiegen und hat sich bis zum nächsten Kreuzweg tragen lassen.

Dieser ›Juchhans‹ soll ein Hauswirth in Bresegard im vorigen Jahrhundert gewesen sein und bei einer langwierigen Grenzstreitigkeit zwischen Bresegard und Krams beschworen haben, daß die früher als gemeinsame Weide benutzten Felder zwischen beiden Dörfern dem größten Theile nach zu Bresegard gehörten. Seitdem hatte er keine Ruhe auf Erden und wurde nach seinem Tode zum ›Scheideperrn‹ (Grenze treten) verdammt. Besonders um die Zeit seines Eides, welche auch die seines Todes ist, wandert er über die richtige Grenze und ruft ›Huut! hir geit dei Scheid.‹


J.J.F. Giese bei Niederh. 2, 79ff.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 160-161.
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