205. Der spukende Bürgermeister von Dömitz.

[166] Vor vielen Jahren lebte in Dömitz ein Bürgermeister, dessen Name den älteren Bewohnern noch sehr wohl bekannt ist, weil mit demselben die Mütter ihre Kinder, wenn sie schrien, einschüchterten;[166] er hieß Behler. Er hatte den Befehl gegeben, daß jeder Bürger, dessen Haus in Flammen aufginge, erhängt werden sollte. Nun geschah es, daß die einzige Tochter des Bürgermeisters an einem Palmsonntage confirmirt wurde. Ein großer, schöner Braten stand in der Küche über dem Feuer. Plötzlich faßte dieser Feuer, das sich schnell über das ganze Haus verbreitete, es in Asche legte und dazu noch die halbe Elbstraße, in welcher der Bürgermeister wohnte. Der Bürgermeister war gerade in der Kirche, als ihm diese Hiobspost gebracht wurde. Vor Verzweiflung wurde er wahnsinnig und starb bald darauf1. Aber er fand im Grabe keine Ruhe, sondern ließ sich oftmals in seinem Hause, auf dem Rathhause und in den Straßen, auf einem Schimmel reitend, sehen.

Vor Allem aber war es der Nachtwächter, der am meisten von ihm zu leiden hatte. Sobald dieser in die Elbstraße kam, hatte er gleich seinen Begleiter, den Bürgermeister, bei sich; und wollte er die Stunden der Nacht mit dem Horne verkünden, dann stand der Spuk vor ihm, so daß er keinen Ton hervorbringen konnte.

Da beschlossen die Einwohner, den Geist fortzubringen. Allein, es getraute sich Niemand, ihn zu bannen. Endlich erbot sich ein verwegener Soldat, ihn gegen eine Belohnung auf den Mittelwerder, der rings von Wasser umgeben ist, zu bringen.

Des Bürgermeisters Lieblingsspeise war seine Lebtage Pfannkuchen gewesen. Der Soldat nahm deshalb einen Pfannkuchen und einen großen Sack, in den er den Geist zu locken suchte. ›Krup unner, krup unner,‹ sagte der Soldat; worauf der Spuk fragte ›Wohin, wohin?‹ ›In die weite Welt,‹ war die Antwort, ›in den Sack.‹ Als der Geist gefangen im Sacke war, wurde er auf einem Kahne nach dem Mittelwerder gefahren2, der südlich von der Stadt in der Elbe liegt. Hier angekommen, schüttete der Soldat den Spuk aus. Bei dieser Arbeit aber war er nicht vorsichtig genug zu Werke gegangen;[167] denn es gelang dem Geiste, ihm beim Herausschütten einen Finger abzubeißen. Noch lange Zeit hindurch hat der Geist hier auf dem Mittelwerder sein Wesen gehabt.


Seminarist H. Offen; andere Aufzeichnung (von L. Kreuzer in Parchim) bei Niederh. 3, 63f.

1

Nach K. begibt er sich auf die Flucht, von dem wüthenden Pöbel verfolgt, und stirbt unterwegs durch einen Unfall.

2

Nach K. sind es zwei Bürger, die ihn dahin bringen. Unterwegs stellt sich der Geist sehr ungeberdig, daher muß einer von ihnen mit einem Knüttel auf den Geist im Sack losschlagen, wobei jeder dritte Schlag auf den Schlagenden zurückprallt.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 166-168.
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