280. Aufhockendes Weib.

[217] Drei Müllergesellen, welche auf der Faulenrost'schen Mühle arbeiteten, gingen einst, nachdem sie Feierabend gemacht, nach dem Kruge zu Rittermannshagen. Als sie spät Abends wieder heimkehrten, und gerade bei einem Kreuzwege angelangt waren, rief der eine Geselle den andern zu ›Kik, dor sitt'!‹ Die beiden andern Gesellen aber, die nichts sehen konnten, fragten ihren Kameraden – der ein Sonntagskind war – was er denn eigentlich sehe. ›Dor bi'n Durnbusch sitt 'n oll Wif,‹ erwiderte dieser, und damit ging er, da er ein beherzter Bursche war, dreist nach dem Dornbusche, um das dort hockende alte Weib einmal anzureden. Kaum aber war er an dem Dornbusche angelangt, so vernahmen die beiden zurückgebliebenen Gesellen einen gellen Schrei. Entsetzen erfaßte sie, und eilends ergriffen sie die Flucht. Einige Stunden später kam ihr College erst auf der Mühle an; er war auf dem ganzen Leibe naß und konnte sich vor Mattigkeit kaum aufrecht erhalten. Am andern Morgen erzählte er seinen Mitgesellen, daß das alte Weib ihm sofort auf den Rücken gesprungen sei und ihm gar jämmerlich zugesetzt habe. Trotz alles Rüttelns und Schüttelns sei es ihm doch erst endlich kurz vor der Mühle gelungen, das alte Scheusal wieder los zu werden, die so fest, als sei sie angewachsen, auf seinem Buckel gesessen. Von nun an konnte der Müllergeselle nie wieder des Abends unangefochten nach Rittermannshagen gehen, denn jedesmal hockte ihm das alte spukende Weib auf den Rücken. Zuletzt kam sie sogar bis zur Mühle und wartete dort auf den Gesellen; oder sie rief ihn auch, wenn er des Nachts mahlte, doch hinaus zu ihr zu kommen usw. Dem also geplagten Müllergesellen wurde endlich die Sache über; deshalb schnürte er sein Bündel, nahm den Wanderstab und reisete in die Welt hinein.


Niederh. 4, 41f.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 217-218.
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