309. Die Küstergrube in den Cramoner Buchen.

[239] Unweit Hohen-Wangelin in den sogenannten ›Cramoner Buchen‹ befindet sich eine kleine Grube, welche seit geraumer Zeit die Küstergrube, ›Kösterkul‹, genannt wird. Diesen Namen soll sie durch folgendes Ereigniß erhalten haben.

Es waren einmal zwei Brüder, welche zu Hohen-Wangelin und Cramon wohnten. Beide wußten, daß auf der benachbarten Feldmark Liepen ein Schatz vergraben liege. Diesen Schatz zu heben war ihr sehnlichster Wunsch. Allein alle ihre Bemühungen, die sie dieserhalb anstellten, waren fruchtlos. Gelegentlich erfuhren sie, daß sie den Schatz nur dann heben könnten, wenn während ihrer Arbeit der Küster zu Hohen-Wangelin die Betglocke stoße. Sie machten also den Küster mit ihrem Geheimniß bekannt, versprachen ihm einen bedeutenden Antheil des Schatzes, wenn er ihren Wunsch erfülle und in der Nacht, wenn sie wieder beim Ausgraben des Schatzes beschäftigt wären, um 12 Uhr, die Betglocke stoße. Der Küster nahm das Anerbieten an. In der festgesetzten Nacht zog er seine Sonntagskleider an, ging zur bestimmten Stunde in die Kirche und stieß die Betglocke. Kaum war er wieder in sein Haus zurückgekehrt, da wurde er von einer schweren Krankheit überfallen und nach wenigen Stunden war er todt. Nach drei Tagen wurde er beerdigt, aber er fand keine Ruhe im Grabe. Keine Nacht verging, ohne daß er seine früheren[239] Hausgenossen durch furchtbares Toben in ihrer nächtlichen Ruhe störte. Da beschlossen diese, seinem Wiederkommen durch einen Geisterbanner ein Ende zu machen. Durch seine Kunst gelang es ihm, den Küster in ein nahes Erlenbruch zu verbannen. Nach etlichen Jahren wurde dies kleine Gehölz ›abgewadelt‹, wodurch die Behausung des verbannten Küsters gestört wurde. Als man eines Tages das Holz ins Dorf schaffen wollte, setzte sich auf einen Wagen eine Krähe, welche sich durch ihre Gestalt von den wirklichen Krähen wesentlich unterschied. Die Leute suchten die Krähe vom Wagen zu scheuchen; aber vergebens. Sie blieb auf demselben und wurde mit ins Dorf gefahren. Hier nahm sie ihren Aufenthalt im Hause dessen, dem das Holz gehörte. Schon in der ersten Nacht trieb der gebannte Küster (denn dieser war die Krähe) sein Unwesen in dem Hause. Aufs neue wurde ein Banner herbeigerufen. Durch seine Beschwörungen wurde er in ein sogenanntes Lechel getrieben; darauf wurde dasselbe verschlossen und von dem Banner in die Cramoner Buchen getragen, wo ihm eine Grube zur Behausung angewiesen wurde. Zugleich gab ihm der Banner den Befehl, sich nicht eher wieder in der Nähe von Menschen blicken zu lassen, bis er sämmtliche Wurzeln der Buchen gezählt habe. Bis jetzt hat er diese Aufgabe nicht gelöst; denn gesehen ist er seit der Zeit noch nicht wieder.


Seminarist C.W. Hackbusch.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 239-240.
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