32. Die Hünentochter.

[26] Ehe noch die Wenden nach Meklenburg kamen, wohnten hier im Lande die Hünen, ein Riesenvolk, das aber schon längst ausgestorben ist. Nur ihre Gräber, die Hünengräber, sind noch nachgeblieben. Diese geben uns indes Beweis genug, was für ein mächtiges und starkes Volk es gewesen sein muß, das darunter begraben liegt. Als die Kleinen, ›de Lütten‹, in's Land kamen, war der Hünen Herrschaft zu Ende und sie starben endlich auch nach und nach ganz aus. Zu dieser Zeit geschah es, daß ein Hünenvater seiner jungen Tochter den Auftrag machte, die Schweine hinab ins Holz zu treiben. Vorher hatte das Riesenmädchen noch nie die elterliche Behausung verlassen und so war es also nicht wenig erstaunt, als es zum erstenmale die ihm noch ganz fremde Welt erblickte. Am meisten verwunderte es sich über ein kleines Geschöpf, das nach seiner Meinung wohl Aehnlichkeit mit Menschen hatte, aber doch zu klein war, um Mensch sein zu können, und das hinter einem ebenso winzigen Pfluge, mit zwei niedlichen Oechslein bespannt, herging. Es hatte nichts Eiligeres zu thun, als ›das prächtige Spielzeug‹ mit den Händen zusammen zu fegen und in die Schürze zu thun. Dann eilte es mit vollen Sprüngen zum Vater zurück, um dem auch den guten Fund zu zeigen. Dar Vater aber schüttelte ernst und traurig den Kopf und sprach: ›Dat sünd uns' Verdriwer, Kind; vör dei möt wi wiken!‹ worauf es naiv meinte ›Sal 'k denn nich en Pöölken maken und se dor in versöpen?‹ Das aber gab der Vater nicht zu, indem er meinte, es würde ihnen das zu nichts helfen, denn ›de Lütten krigen uns doch ünner!‹ Und so ist es auch geschehen; und hätten die Hünen[26] nicht die großen Gräber gemacht und die mächtigen Steine allenthalben aufgerichtet, so würde man auch nichts mehr von ihnen wissen.


A.F.C. Crohn bei Niederh. 2, 174 f.; vgl. NS. 43, 107, 126, 1; WS. 132, 198. Schwartz S. 3.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 26-27.
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