363. Verwünschte Prinzessin bei Alt-Strelitz.

[275] Bei Alt-Strelitz, eine kurze Strecke vom Brandenburger Thor, liegt auf der Chaussée, die nach Woldegk führt, dicht bei den Scheunen die sogenannte Stalenbrücke, eine kleine steinerne Brücke, die über einen breiten Graben führt. Vor vielen Jahrhunderten schwur sich hier ein Prinz mit einer Prinzessin ewige Treue und gaben sich dabei einander die Macht, Denjenigen verfluchen zu können, der von ihnen die Treue bräche. Die Prinzessin brach ihren Schwur und der Prinz verfluchte seine ungetreue Braut und verwünschte sie unter diese Stalenbrücke. Aus dieser Verbannung kann nun die Prinzessin nur ein nicht bekanntes Wort befreien, und dieses Wort muß ein Mensch zu einem andern sagen, wenn sie gerade über die Brücke gehen. Darauf wird alsdann die Prinzessin kommen und bis zum Thore neben dem gehen, der ihr Erlösungswort gesprochen hat; duldet dieser das nun und redet sie nicht an, so ist die Macht des Fluches gebrochen und die Prinzessin erlöset. Einmal muß nun schon das Erlösungswort für die Prinzessin gesprochen sein; denn als eines Tages zwei im angenehmen Gespräch vertiefte Frauen über die Brücke schritten, erschien plötzlich die Prinzessin. Sie trat zu der Frau, welche zuletzt gesprochen hatte und sagte ›Laß mich bis zum Thore neben dir gehen und rede mich nicht an.‹ Das Weib war aber frech und dreist und sagte ›Was soll das[275] bedeuten? Was willst du hier?‹ Da rief, drohend ihre Hand erhebend, die Prinzessin ›Wehe, du böses Weib, warum hast du meine Bitte nicht erfüllt? Nun muß ich wieder da unten hinunter und warten, bis wieder einmal ein Mensch mein Erlösungswort spricht!‹ Bis jetzt soll dieses Erlösungswort nun noch nicht wieder gesprochen sein und die Prinzessin noch immer unter der Stalenbrücke schmachten.


Frau Dr. Niederhöffer bei N. 3, 251 f.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 275-276.
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