366. Schlangensagen aus Ahrensberg und Userin.

[277] In Ahrensberg bei Wesenberg lebte einst ein Tagelöhner mit seiner Frau, die hatten ein Kind, ein kleines Mädchen, das immer bleich und elend aussah, dabei fast nichts als Milch und Brot essen wollte; und sobald sie das Erbetene erhalten hatte, ging die Kleine gleich damit vor die Schwelle des Hauses. Die Eltern beobachteten sie eines Tages und sehen mit Entsetzen, wie eine Schlange mit aus dem Napfe frißt, das Kind aber, unzufrieden, daß die Schlange blos Milch lecke, sie ohne Furcht mit dem Löffel auf den Kopf schlägt und dazu die Worte spricht ›Kœt, fät ok Bocken!‹ Da springt denn der Vater hinzu und tödtete die Schlange; das Kind aber siecht seitdem langsam dahin.

Das Gold, was der Schlangenkönig und seine Gemalin auf ihren Häuptern als Kronen tragen, soll das feinste auf Erden sein. Die Schlangenherrscher sind aber um den Verlust ihrer Kronen sehr besorgt und wissen den muthwilligen Räuber hart zu züchtigen; anderseits verschenken sie ihre Kronen bisweilen auch zur Belohnung.[277] Folgende Sagen aus Userin bei Neu-Strelitz berichten davon. Eines Tages begegnet der Schlangenkönigin eine Frau, während sie in vollem Schmucke einherstolzirt. Erschrocken flieht die Schlange in ein Gebüsch. Da ruft ihr die Frau nach ›Ik doo di jo niks; ik will blot din schön' Kron beseen!‹ Und auf diesen tröstlichen Zuspruch erscheint auch noch der Schlangenkönig, und beide lassen sich in ihrer Pracht bewundern.

Um die Mittagszeit pflegen sich die Schlangen zu sonnen und ihre Kronen abzulegen. Das wußte auch ein Reiter, der am Wege sein weißes Taschentuch ausbreitete, und als er so listig zu der Krone des Königs gekommen war, eilig mit seinem Raube davonfloh. Kaum aber hatte der König seinen Verlust wahrgenommen, als er alle Schlangen seines Reiches um sich versammelte. Mit ihnen folgte er dann schleunigst dem Räuber, der zu seinem nicht geringen Schrecken die Leiber der Schlangen sich steil vom Boden erheben und in weiten Bogen fortschnellen sah. Sein schnelles Roß trug ihn jedoch bald zu seinem Hof, und dankbar klopfte er den Hals desselben mit den Worten ›Sü, du hest mi doch tru bistan!‹ Da aber wird er von einer Schlange gestochen, die im Schweife des Pferdes sich unbemerkt versteckt hatte.

Einst hüteten Bauernkinder Gänse, und da sie viel von dem Schlangenkönig gehört hatten und seine Vorliebe für weißes glänzendes Zeug, waschen sie ihre Schürzen im See und breiteten sie dann nebeneinander in der Sonne aus, damit der Schlangenkönig darauf seine Krone ablege. Ein armes Mädchen aber, das nur eine grobe hedene Schürze trug, wollten sie in ihrer Reihe nicht dulden, und zwingen sie ihre Schürze für sich allein ›butenan‹ zu legen. Der Schlangenkönig aber ging über all' diese feinen Schürzen hinweg und schenkte gerade diesem armen Mädchen seine Krone.


Fr. Latendorf bei Niederh. 4, 129 ff.; vgl. Müllenhoff S. 355.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 277-278.
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