371. Im Paradiese.

[281] In Glienke, bei Neu-Brandenburg, erzählt man sich folgende Sage. Zwei Knechte dienten zusammen bei einem Herrn. Sie waren sehr gute Freunde und versprachen, wenn sie sich trennen müßten, doch gegenseitig auf ihrer Hochzeit sich zu besuchen. Nach einigen Jahren machte der eine Knecht Hochzeit und lud seinen Freund dazu ein und sie waren sehr lustig mit einander. Der Verheiratete kam aber bald in Noth und ließ sich dadurch zum Stehlen verleiten. Er wurde gleich beim erstenmal ertappt und nach kurzem Proceß am Galgen aufgehängt. Um diese Zeit machte sein Freund auch Hochzeit. Einige Tage vorher ging er in die Stadt um einzukaufen und sein Weg führte ihn am Galgen vorüber. Er gedachte seines Freundes, der immer so brav gewesen und daß gewiß nur die Noth ihn zum Unrecht verleitet. Dabei betet er ein Vaterunser für ihn und sagte ›Auf deiner Hochzeit bin ich so vergnügt gewesen und du hast mir versprochen auf meine zu kommen und kannst nun nicht kommen.‹ Auf einmal hört er vom Galgen her deutlich die Worte ›Ich werde doch kommen!‹ Am Hochzeitstage theilte der Bräutigam dem Pastor mit, welchen Gast er noch erwarten dürfe und bat, wenn er wirklich käme, ihn zwischen Pastor und Küster setzen zu dürfen. Richtig kam der Gehenkte mit dem Strick um den Hals, setzte sich schweigend an den bezeichneten Platz, aß und trank und entfernte sich dann schweigend. An der Thür winkte er dem Bräutigam, ihn zu begleiten, und als sie vors Dorf gekommen, sagte er ›Durch dein Vaterunser hast du mich erlöst, habe Dank!‹ Sie gingen noch eine Strecke zusammen, und im Gehen merkt der Bräutigam, wie die Gegend verändert ist. Sie sind in einem großen herrlichen Garten. ›Willst du nicht umkehren?‹ fragt der Todte, ›man wird dich vermissen.‹ ›O laß mich bleiben! es ist hier so schön!‹ ›Du sollst wissen, daß wir im Paradiese sind; du darfst aber nun nicht weiter mitgehen. Lebe wohl!‹ Und damit verschwindet er. Der Bräutigam kehrt nach seinem Dorfe um, aber erst am dritten Tage kommt er dahin; er findet Alles verändert, er fragt nach seiner Braut, Keiner kennt sie und[282] ihn. Da geht er zum Pastor, auch das ist ein ganz fremder Mann. Auf seine Mittheilung, daß er vor ein paar Tagen hier getraut worden, schlägt der Pastor im Kirchenbuche nach, immer weiter zurück, und da findet sich, daß vor 150 Jahren ein Mann dieses Namens getraut worden. Da bittet er den Pastor, ihm das Abendmahl zu reichen, und als er es genommen, sinkt er als ein Häufchen Asche vor des Pastors Füßen zusammen.


F.C.W. Jacoby bei Niederh. 3, 2 ff.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 281-283.
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