372. Säugling spricht.

[283] Um Schlösser und Thürme fest zu bauen und gegen Sturm, Wetter und Kriegsgefahr zu schützen, herrschte vor Alters der grausame Brauch, Säuglinge in dem Fundament mit einzumauern, die man um schweres Geld ihren Müttern abgekauft. So sollte auch einst eine solche Zwingburg im Stargardschen erbaut werden; ein Säugling ist schon erhandelt. Da reden die Maurer, die zu dem Bau bestimmt sind, ehe sie Hand an das grausame Werk legen, noch untereinander ›Wat is wol söter as Muttertitt?‹ Und aus dem Munde des Säuglings erschallt ihnen die Antwort ›Die Gnade Gottes!‹ Bestürzt legen die Arbeiter ihr Geräth fort und weigern sich, weiter an dem ruchlosen Bau fortzufahren. Die Burg blieb unvollendet.


Fr. Latendorf bei Niederh. 4, 196 f.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 283.
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