1.

[308] Auf dem Berge bei dem Dorfe Neuburg hat vor Zeiten ein Schloß gestanden. Einmal hütete ein Schäfer am Johannistage auf dem Schloßberge seine Heerde. Als die Glocke in Neuburg 12 Uhr Mittags schlug, stand plötzlich das Schloß ganz und neu vor ihm. Aus dem Thore kamen uralte Weiber mit sprenkelkrummem Rücken heraus und Männer, denen der weiße Bart bis auf die Schultern hinabreichte. Alle schauten auf die Landstraße nach Wismar hin; aber es war Niemand da zu sehen. Da riefen sie klagend:


Wedder sünd hen hundert Jor,

Äwers de Prinzess is nich dor.


Dann kehrten sie in die Burg zurück, die Thore fielen zu und das Schloß versank in die Erde.


Lehrer Lübstorf in Raddenfort.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 308.
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