465. Schön Hannchen.

[340] Vor mehr als hundert Jahren lebte im Dorfe Wamekow bei Sternberg ein alter Bauer, Namens Rhode, der eine einzige Tochter, Hannchen, hatte. Sie und der Sohn ihres Nachbars liebten sich gegenseitig, und als er in die Fremde zog, wurde verabredet, nach seiner Rückkehr sollte die Hochzeit sein. Als die Zeit nahte, stieg Hannchen täglich auf einen nahen Berg. Und als ihr Liebster immer nicht kam, weinte sie bitterlich und so unablässig, daß ihre Thränen am Fuße des Berges sich zu einem Teich ansammelten. Da kam eines Tages ein Fremder ins Dorf und erzählte, er habe Hannchens Liebsten gesehen, der sei längst verheiratet und habe sie vergessen. Da ging Hannchen wie gewöhnlich auf den Berg, aber diesmal kam sie nicht wieder, sondern fand in dem Teiche ihren Tod. Er heißt noch heute ›Hannchens-Soll‹, und der Busch, unter dem man ihre Leiche fand, der ›Spöke-Busch‹, weil dort des Nachts Hannchens Geist manchmal umherwandelt. Der unglückliche Vater hielts in dem Dorfe nicht mehr aus, er ging und ging, bis er an einen Teich kam, in dem er gleichfalls sich das Leben nahm: dieser Teich heißt der ›Rhoden-Soll‹. Nach vielen Jahren kehrte der Liebste zurück; als er von Hannchens traurigem Ende hörte, stürzte er sich, von Gewissensbissen gefoltert, in ein Wasser, welches jetzt ›de Schwinęgel‹ heißt, weil die Leute, als sie von seinem Tode hörten, sagten ›Dor ging de Schwinęgel rin.‹


Niederh. 3, 88 ff.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 340-341.
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