564. Die Brücke in Jäthensee.

[406] Im Jäthensee, nicht weit von Mirow, liegt beim Dorfe Roggentin eine Insel, der Jäthenwerder, dem Schulzen zu Babke gehörig. Neuerdings ist der See auf der Roggentiner Seite etwa 18 Fuß weit ausgetrocknet und zur Wiese geworden. Vom Wiesenrande bis zur Insel ist etwa ein Zwischenraum von 32 Fuß. In dieser ganzen Strecke von 50 Fuß steht, theils im Wasser, theils in der Wiese, eine Reihe von Pfählen. Darüber geht in Roggentin folgende Sage.

Ein Schäfer hütete am See seine Schafe. Da kam ein kleiner schwarzer Mann zu ihm. Der Schäfer zog immer am Ufer herum und sah nach der Insel hinüber. Da fragte ihn der kleine Mann, warum er so sehnsüchtig und traurig aussehe. Der Schäfer sagte ›Auf[406] der Insel steht so schönes Gras, da möchte ich gern hinüber.‹ Da fragte der kleine Mann, ob er sein werden wolle, wenn er ihm eine Brücke hinüber baue. Der Schäfer bejahte es, aber unter der Bedingung, daß die Brücke fertig sei, ehe der Hahn krähe. Kaum hatte er es gesagt, da ward es ihm leid. Traurig und verstört kam er nach Hause. Seine Frau fragte ihn, was ihm fehle, und er sagte ihr, was er gethan. Da sagte die Frau ›Wenns weiter nichts ist, das wollen wir schon kriegen.‹ In der Nacht vor der Zeit, wo der Hahn kräht, zieht sich die Frau lederne Hosen an, stellt sich vor den Hühnerstall, klopft mit den Händen auf die Hosen und kräht wie ein Hahn. Da fangen alle Hähne zu krähen an, der Teufel aber war noch nicht fertig und so blieben allein die Pfähle stehen.


Seminarlehrer Joh. Neubert.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 406-407.
Lizenz:
Kategorien: