574. Ungethüm im Schweriner See.

[413] Als vor vielen Jahren einmal ein Fischer auf dem Schweriner See seine Netze auswarf, gewahrte er plötzlich ein großes behaartes, affenähnliches Ungeheuer bei sich im Kahne, ohne bemerkt zu haben, wie dasselbe dahin und woher es gekommen. Bewegungslos und kaum ein Zeichen des Lebens von sich gebend, hockte das Unthier einige Stunden auf einer Bank in dem Kahn. Der hierdurch in nicht geringe Angst und Furcht versetzte Fischer setzte leise und zitternd seine Arbeit fort und wagte nur ab und zu, verstohlen nach seinem unheimlichen Gast hinüber zu schielen. Da das Ungethüm aber immer noch nicht weichen, noch immer nicht den Kahn wieder verlassen wollte und dem Fischer schon Zeit und Weile lang wurde, so faßte er sich endlich ein Herz, ergriff das Ruder und schlug schnell auf seinen ungebetenen Gesellschafter los. Mit einem gellenden Schrei stürzte sich das Ungeheuer sofort in den See, riß dabei aber den Kahn um, so daß auch der Fischer in das Wasser fiel und sein Leben einbüßte. Von dem also untergegangenen Fischer hat man nie wieder etwas gesehen, denn trotz alles Suchens wollte es nicht gelingen, seine Leiche aufzufinden. Wohl aber behaupten die Leute, in mitternächtlicher Stunde ein Plätschern im Schilfe gehört zu haben, was von dem versunkenen Schiffer herrühre, dem es dann nämlich erlaubt[413] sein soll, in Begleitung jenes Ungethüms an die Oberfläche des Sees zu kommen. Auch soll sich dort im Schweriner See, wo der Fischer untergesunken, noch heute ein heftiger Strudel befinden, der jedes sich nahende Boot umzustürzen und in die Tiefe zu reißen droht.


Niederh. 3, 230 f.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 413-414.
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