631. Der eidbrüchige Schuster.

[452] Zu Parchim lebte vor Zeiten ein Schuster, der sich mit seiner Frau nur schlecht vertragen konnte. Eines Morgens hatte er vor, Schuhzeug zum Verkauf aufs Land zu tragen; er machte sich früh Morgens auf, ehe er aber fortging, erhob sich wieder ein Streit zwischen ihm und seiner Frau, so daß er zuletzt im Zorne sagte[452] ›Gott soll mich strafen, wenn ich je wieder meinen Fuß ins Parchimer Thor setze. Ich geh in die weite Welt, mit dir ist nicht länger zu leben.‹ Damit ist er fortgegangen. Am Abend aber hat er den Streit vom Morgen schon vergessen und auch die zornigen Worte, die er am Morgen gesprochen. Er ist schon vor dem Neuen Thore, das früher ein Doppelthor war, dessen beide Thore durch lange Seitenmauern verbunden waren. Wie er in die Mitte der beiden Seitenmauern kommt, schlägt ihn ein Blitzstrahl, der aus heiterm Himmel kommt, nieder und trifft ihn grade zwischen beiden Augen. An der Stelle war früher ein Steinbild, das ihn darstellte, wie er vom Blitze getroffen auf ein Knie gesunken war, während er eine Hand zum Himmel erhob und mit der andern sich die Augen bedeckte. Als 1833 das Neue Thor beseitigt wurde, ist auch das Bild zerschlagen worden.


R. Bröcker. In anderer Version wird das ›Kreuzthor‹ genannt, und das Bild stellt einen Mann in Feuersgluth dar. Er hatte sich verflucht, nie wieder nach Parchim zu kommen. Nach Niederh. 1, 29 ff., wo die Sage zur Novelle ausgearbeitet ist, war es ein Handwerksbursche.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 452-453.
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