2.

[61] Ein im Dorfe Kritzemow wohnender Tagelöhner, welcher fast das ganze Jahr Arbeit in Rostock fand, pflegte den Weg dahin immer sehr früh des Morgens zu machen, um zu rechter Zeit an die Arbeit gehen zu können. Als er nun eines Tages in der Morgendämmerung sich noch nicht weit von seinem Dorfe entfernt hatte, gesellte sich zu ihm ein kleines Männchen und erkundigte sich, weshalb er schon so früh ausgegangen sei. Der Tagelöhner erwiderte, er sei sehr arm und müsse deshalb sehr zeitig in Rostock eintreffen, um seine Arbeit und seinen Tagelohn nicht zu verlieren; er kehre darum auch Abends immer erst spät nach Hause zurück. Das Männchen lobte seinen Fleiß und Eifer, gab ihm auch beim Abschiede den Rath, er solle heute Abends auf dem Heimwege das Erste, was er finden würde, mit nach Hause nehmen. Der Tagelöhner behielt diese Worte in seinem Herzen, und aufmerksam sah er vor sich und um sich auf[61] dem Wege, der ihn nach seinem Dorfe führte. Aber er hatte schon über die Hälfte des Weges zurückgelegt und noch immer nichts gefunden. Schon hielt er sich für gefoppt, als er seitwärts in einem Graben ein todtes Pferd liegen sah. Nun glaubte er erst sicher, daß er geneckt sei und ging unmuthig weiter. Doch bald besann er sich. ›Kann ich auch das ganze Pferd nicht mitnehmen, so kann ich doch einige Stücke davon in meinen Brodbeutel packen und nach Hause tragen!‹ Damit kehrte er um, schnitt aus den Keulen ein paar tüchtige Stücke heraus und schleppte sie im Beutel nach Hause. Als er ankam, fragte ihn seine Frau, was er im Beutel mitbringe; er aber warf den Beutel in eine Ecke und sagte ›Oh nichts!‹ Als auf ihre wiederholte Frage immer dieselbe Antwort erfolgte, öffnete endlich die Frau aus Neugierde den Beutel und siehe da, das Fleisch war in lauter schönes Silbergeld verwandelt. Nun erzählte der Mann, wie er dazu gelangt sei; die Frau aber rieth ihm, schnell zurückzukehren und noch mehr, soviel er tragen könne, von dem todten Pferde zu holen, was er auch that. Allein, obgleich er den Graben ganz genau kannte und soviel er in der Dunkelheit auch suchte, das Pferd war verschwunden und er mußte sich mit dem begnügen, was er zuerst mitgenommen hatte.


J.G.C. Ritter bei Niederh. 4, 39 f.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 61-62.
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