84. Unterirdische in der hohen Nonne.

[65] Hart an der alten Landstraße von Güstrow nach Schwerin, da wo die Witziner und Mustiner Feldmark sich berühren, liegt ein kleiner kegelförmiger Berg, die ›hoch Nunn‹ genannt. Der südliche Abhang derselben ist mit Tannen, der Hügel selbst mit Moos und Wachholdersträuchen bestanden. In seinem Schoße birgt er der Sage nach die goldene Wiege eines Wendenfürsten. Kein Mensch aber kann den kostbaren Schatz erlangen, denn Tag und Nacht wird er von den Unterirdischen gehütet. Vor etwa 50 Jahren war auf der Spitze des Hügels ein tiefes Loch, das seitdem mit Steinen gefüllt ist; wurde da ein Stein hineingeworfen, so hörte man einen tiefen metallenen Ton.

Einst brachte ein Bauer aus Mustin eine Fuhre Weizen nach Bützow. Er hatte sich zeitig auf den Weg gemacht, um Abends nicht zu spät wieder zu Hause zu sein. Wie er in die Nähe der hohen Nonne kommt, bemerkt er, daß der Berg von vier gewaltigen Stützen getragen wird. Er traute kaum seinen Augen, aber täuschen konnte er sich nicht, denn der Mond schien so hell und klar. Mit etwas schwerem Herzen fährt er weiter; als er an der Seite des Berges ist, wird er plötzlich von einem Unterirdischen angerufen ›Heda, Bauer! wohin willst du mit deinem Korn?‹ Als der Bauer ihm Bescheid gegeben, bittet der Unterirdische, der Bauer möge ihm das Korn abstehen.[65] Nach langem Bitten geht der Bauer darauf ein. Er fährt in den Berg hinein und schüttet seine Säcke aus. Als er seine Bezahlung fordert, thut der Unterirdische in den einen der Säcke etwas hinein und übergibt ihn dem Bauer mit der Weisung, ihn erst bei seiner Ankunft zu Hause zu öffnen. Der Bauer fährt weg; unterwegs aber kann er der Neugier nicht widerstehen, öffnet den Sack und findet darin Pferdedung. Zornig schüttet er mit den Worten ›Dat kannst du di werre halen‹ den Dung aus. Als er nach Haus kommt, wirft er die Säcke vom Wagen; da fühlt er denn, daß der eine Sack schwerer ist als die übrigen, und wie er ihn auf die Erde wirft, vernimmt er auch einen Klang. Bei näherem Zusehen findet er ein paar Goldstücke darin, die Reste des inzwischen in Gold verwandelten Dunges. Schnell reitet er nach der Stelle zurück, wo er ihn ausgeschüttet hatte; aber es war nichts mehr zu finden, der Unterirdische hatte sich's wirklich wiedergeholt.

Ein andermal kommt ein Müllerknecht aus Roten an der hohen Nonne vorbei. Da bittet ihn ein Unterirdischer, er möge doch in der Roter Mühle ansagen, Prigelken Pragelken sei todt. Als der Knecht am Abend zurückkommt und die Anzeige macht, hört man in der Mühle ein jämmerliches Wehklagen, das die ganze Nacht anhält. Der Müller und sein Gesinde durchsuchten die ganze Mühle, konnten aber nicht entdecken, woher das Winseln kam.


Seminarist G.P. aus Zarrentin. Andere Aufzeichnung von Seminarist F.H. Lüth in Neukloster. Darnach ist es ein Bauer aus Witzin, der nach Güstrow fährt. Als Lohn empfängt er einen Beutel, den er erst zu Hause öffnen soll.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 65-66.
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