26.

[23] In der Umgegend von Grabow erzählt man sich viel von ›Fru Gaur‹. Sie wird als eine Frau gedacht, die auf einem hölzernen Schlitten, wie man sie noch jetzt bei den Landleuten findet, von Hunden (Wölfen) gezogen, durch die Lüfte fährt. Eine Menge Hunde umkreisen das Fuhrwerk, indem sie fortwährend bellen und dadurch einen dem Geschrei der Nachtvögel ähnlichen Lärm verursachen. Gesehen hat sie Niemand, und daher weiß man von ihrer Gestalt und Kleidung nichts zu sagen. Um die Weihnachtszeit, in den ›Zwölften‹, fährt sie mit Hundegebell durch die Luft, segnend und strafend. Dann verschließt der Bauer seine Hausthür mit Dunkelwerden; Knechte und Mägde tragen Wasser, Geräthe und dgl., was sie des Abends gebrauchen, vorher in's Haus, damit Keiner mehr nach der Dämmerung draußen zu thun hat; denn Fru Gaur straft die Nachlässigkeit und Faulheit des Gesindes. Während der Zwölften verbietet sie den Mädchen und Frauen das Spinnen, und gibt ihnen überhaupt nur bis Fastnacht Frist dazu. Wenn der Flachs am Fastelabend nicht aufgesponnen ist, kommt Fru Gaur und zerreißt den Spinnrocken. Fragt nun Fastnachts die Bäuerin ihre Nachbarin, ob sie schon anfängt zu weben, und wird diese antworten, daß sie noch nicht kann, weil sie ihren Flachs noch nicht aufgesponnen hat, so gilt das noch heute als ein Zeugniß der Faulheit.

Eines Abends kommt Fru Gaur zu einem Bauer in Spornitz, steigt auf seinen Boden und wirft alle zum Feste gebackenen Brote herunter, welche die Hunde schnell verzehren. Der Bauer steht furchtsam dabei, er wagt es nicht, das Vorhaben der Frau zu hindern. Als die Hunde alles Brot aufgefressen haben, sagt Fru Gaur zu dem Bauer, er solle ihr nun sein größtes Stück Acker zeigen. Der Bauer denkt ›das alte Weib ist nicht klug, was will sie von meinem Acker wissen?‹ Weil er sich aber fürchtet und wünscht, sie sobald als möglich los zu werden, führt er sie in den Hof (Garten) und zeigt ihr gerade[23] sein kleinstes Ackerstück. Fru Gaur tobt nun mit ihren Hunden auf diesem Stück auf und ab, so daß keine Stelle nachbleibt, wohin sie nicht gekommen. Darauf verschwindet sie. Als nun die Erntezeit kommt, da gibt des Bauern Hofstück zehnmal so viel Roggen als sonst. Da ärgert sich der Bauer, denn er weiß nun, daß es Fru Gaur gewesen, und er sie zu dem größten Stück hätte führen müssen.


Seminarist F. Jaap in Neukloster.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 23-24.
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