656. Der Geist im Erlenbaum.

[465] In alten Zeiten hat zu Bauersdorf in Pommern ein alter Mann wegen Grenzstreitigkeit einen falschen Eid gethan. Als er gestorben, konnte er im Grabe nicht ruhen. Da fand sich ein Geisterbanner, der den Geist in eine ›Pottbuddel‹ einfing. Der also eingeschlossene Geist wurde über die Trebel nach Meklenburg gebracht und ihm im Holm in dem Bobbiner Forst eine Erle übergeben.

Ende der Zwanziger-Jahre dieses Jahrhunderts erhielt ein Tagelöhner in Bobbin vom Gutsherrn die Erlaubniß, sich am Sonntag ein Fuder Brennholz zusammenzusuchen. Als er wohl ein Fuder zusammen hatte, traf er auf eine alte, trocken gewordene Erle (es war dies die Erle, welche dem Geist überwiesen war). Da sagte der Tagelöhner zu seiner ihn begleitenden Frau ›Diese Erle will ich noch abhauen.‹ Die Frau rieth, die Erle stehen zu lassen, weil das Fuder wohl schon voll werden würde. Der Mann aber ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen, sondern sprach ›Ich will sie nur noch in Gottes Namen abhauen.‹ Als er eben mit dem Umhauen[465] beginnen wollte, läuteten im nahen pommerschen Kirchdorfe Nehringen die Glocken zur Kirche ein. Beim ersten Hieb, den der Mann that, prallte die Axt zurück, beim zweiten flog sie ihm gar aus der Hand. Da sagte der Mann im Aerger ›Willst du nicht in Gottes Namen ab, so sollst du in Teufels Namen ab.‹ Jetzt konnte er mit Leichtigkeit die Erle umhauen. Als Nachmittags das Holz angefahren wurde, warf man die Erle oben auf. Sie fiel sogleich wieder herab, und dies geschah unterwegs noch zu wiederholten Malen, doch brachte man sie endlich ans Haus. Gleich in der folgenden Nacht erhob sich auf dem Holzhofe des Tagelöhners ein furchtbares Klopfen und Rumoren. In den folgenden Nächten kam es näher, ins Haus; zuerst in die Kammer, dann in die Stube. Mit dem Toben allein aber ließ der Geist es nicht bewenden, sondern quälte auch den Tagelöhner, so daß derselbe, wenn die Zeiten kamen, laut aufschrie und rief ›Nun fährt er wieder in mich.‹ Der Mann verging wie die Tage und lag zuletzt fast immer zu Bette. Der Gutsherr ließ die Asche und das noch vorhandene Holz von der Erle wieder nach dem Holm fahren, aber der Geist ließ nicht eher von seinem Treiben ab, als bis der Tagelöhner todt war.

Nach Erzählung einiger Leute soll ein Geisterbeschwörer den Geist befragt haben und hätte derselbe geantwortet ›Der Mann hat mich beunruhigt, ich werde auch nicht eher von ihm ablassen, bis er todt ist.‹

Andere berichten, der Geist hätte auch nach des Tagelöhners Tode noch fortgetobt, bis man ihn wiederum in eine Flasche gefangen, nach Pommern zurückgebracht und unter einem Dornbusch vergraben habe.


Lehrer Schwartz.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 2, Wien 1879/80, S. 465-466.
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