657. Wehrwolf im Hohen Dorn.

[466] Bei dem Bauerndorfe Gülzow befand sich noch vor wenigen Jahren ein Wald, ›Hoher Dorn‹ genannt. In diesem Walde hüteten früher die Bauern, als sie noch nicht separirt waren, gemeinschaftlich oft Nachts mit einander ihre Pferde. Schon zu wiederholten Malen waren ihnen bei diesem Hüten Füllen weggekommen, ohne daß sie[466] trotz alles Suchens je eine Spur wieder von ihnen entdeckt hätten. Sie wandten sich dieserwegen an eine alte Wahrsagerin, welche ihnen rieth, sie sollten, wenn sie des Nachts gewahrten, daß Einer von ihnen sich heimlich entferne, ihm durch drei gleichartige Bäume, welche im Kleeblatt ständen, nachsehen. Diesem Rathe folgten sie. Da sahen sie denn, wie der Eine unter ihnen, als sie sich gelagert hatten, ganz leise aufstand und eine Strecke seitwärts in den Wald schlich. Hier spannte er sich einen Wolfsgürtel um, wurde dadurch in einen Wehrwolf verwandelt und verschlang nun das beste Füllen in der Heerde. Nachdem er wieder seine menschliche Gestalt angenommen, kehrte er leise zu den Uebrigen zurück, welche sich aus Furcht verstellten, als wenn sie schliefen.

Am nächsten Morgen sagte der, welcher das Füllen gefressen hatte ›Fi! mi is so wibbel wabbel.‹ Da konnte der Bauer, dem das aufgefressene Füllen zugehört hatte, nicht an sich halten und sprach ›Ja, di möt wol wibbel wabbel tau Maud sin, du hest jo min ganzes Fahlen in'n Liw.‹ Der Füllenfresser antwortete ›Dat füllst du man irer tau mi seggt hebben, denn hadd ik di noch tau in, nu œwer is dorvan, dat ji mi seihn hefft, min Kraft braken.‹


Lehrer Schwartz nach Mittheilung des Großvaters seiner Frau.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 2, Wien 1879/80, S. 466-467.
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