667. Bettelnde Hexe.

[471] An der alten Landstraße von Ribnitz nach Rostock zwischen dem Landkrug und Haidekrug hat früher ein Haus, so 'ne Art Capelle gestanden, in dem ein Mädchen gewohnt hat, welches vorüberziehende Fuhrleute um eine Gabe angesprochen.[471]

Einmal fährt ein Bauer aus Klockenhagen nach Rostock. Als er bei der Capelle ankömmt, bittet ihn das Mädchen um einen Schilling. Der Bauer, welcher nur arm ist, antwortet ›Meine Tochter, gern wollte ich dir einen Schilling geben, wenn ich bloß einen in der Tasche hätte;‹ und hiermit fährt er weiter. In der Nähe des Schwarzen Pfostes (ein Wirthshaus nicht weit vom Wege) stehen die Pferde still und gehen, so viel auch der Bauer anpeitscht, nicht vom Fleck. Der Bauer sieht nach, ob vielleicht ein Hinderniß im Wege liegt, kann aber nichts entdecken. Da kommt ein Kärrner des Wegs und ruft dem Bauer zu ›He, Bauer, fahre er aus dem Wege!‹ Der Bauer sagt ›Mein lieber Herr, ich kann nicht weiter kommen.‹ Darauf antwortet der Kärrner ›Vier tüchtige Pferde und ein leerer Wagen und doch nicht weiter kommen; das muß nicht mit richtigen Dingen zugehen.‹

Er zieht nun des Bauern Leinpferd und Sattelpferd so von einander, daß er zwischen beider Ohren in einer geraden Linie durchsehen kann. Da bemerkt er denn, was er und der Bauer so nicht sehen können, daß die Dirne, welcher der Bauer vorher keinen Schilling gegeben hatte, mit einem Wuchtbaum am Rade den Wagen festhält. Der Kärrner zieht seinen buntgestreiften Rock aus, legt ihn auf die Erde und schlägt mit einer Wagenrunge, welche der Bauer hatte ausziehen und ihm hinlangen müssen, so lange drauf los, bis der Rock zu schreien anfängt. ›Soll ich sie (die Hexe) ganz todtschlagen?‹ fragte er den Bauer; und als dieser es verneinte, hört der Kärrner auf zu schlagen und steigt zu Wagen. Nachdem er eine kurze Strecke gefahren war, sieht er am Wege die Hexe sitzen und kläglich wimmern. ›Wenn du infahmte Hexe nicht augenblicklich machst, daß du fortkömmst,‹ sagte der Kärrner, ›dann will ich dich noch ganz anders kriegen.‹ Da macht die Hexe, daß sie fortkömmt.


Arbeitsmann Fretwurst.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 2, Wien 1879/80, S. 471-472.
Lizenz:
Kategorien: