1409.

[271] Man findet an vielen Orten in Meklenburg die Sitte in den Familien, daß dasjenige Familienglied, das am ersten Pfingstmorgen am spätesten aufsteht, mit dem Namen ›Pingstekarr‹ benannt wird, welcher Schimpfname dem Langschläfer gilt.

In ganz besonderer Weise beschimpfen die Hirtenjungen in dem Dorfe Loissow den Jungen, der an dem ersten Pfingstmorgen am spätesten mit den Kühen aus dem Dorfe treibt. Es ist jedoch nicht der Pingstekarr an diesem Tage die einzige Persönlichkeit, die am Abend dieses Tages die Augen der ganzen Jugend, ja selbst die der Erwachsenen auf sich zieht, sondern unter den Hirten wird je nach der Zeit des Austreibens der eine Doogschlęper (Thauschlepper), König, Adjutant und Mückenjäger genannt. Diese vier Namen sind aber keine Schimpfnamen, sondern Ehrennamen.

In der ersten Pfingstnacht stehen die Hirten nicht selten schon um 1 oder 2 Uhr auf, nehmen ihre Peitsche, gehen auf die Straße und knallen, um die übrigen Hirten zu wecken. Wenn sie so eine Weile auf der Straße zugebracht und von allen Seiten Antwort erhalten haben, gehen sie nach Hause und wecken das Mädchen, das jetzt schon die Kühe melken muß. Nachdem nun der Junge sein Morgenbrot, das schon am Abend vorher bereitet ist, verzehrt hat, treibt er die Kühe, nicht selten schon in der Dämmerung, hinaus. Der erste nun, der aus dem Dorfe treibt, ist der sogenannte Doogschläper, diesen Namen bekommt er, weil er den Thau von dem Grase abschüttelt, und den übrigen Hirten gleichsam einen trockenen Weg bereitet. Der zweite Hirte, der aus dem Dorfe treibt, bekommt die Königswürde, und der dritte wird sein Adjutant genannt. Der vorletzte ist der sogenannte Mückenjäger und der letzte der Pingstekarr. Der Mückenjäger hat es auch mit dem Könige zu thun, und zwar muß er des Abends beim Umzuge im Dorfe ihm die Mücken mit einem Busche abwehren.

An diesem Tage ist es den Hirten erlaubt, schon um 10 Uhr Morgens das Vieh in die Ställe zu treiben, auch gestatten ihnen die Bauern, nach Mittag eine Stunde später auszutreiben. Diese Mittagszeit benutzen nun die Hirten, um die nöthigen Vorbereitungen zu dem Abendumzuge zu machen. Sie verfertigen aus Feldblumen einen Kranz für den Pingstekarr, der die größte Aehnlichkeit mit[272] einem Bienenkorbe hat. Die Blumen werden mit Zwicken (Klappen) zusammengebunden, die die Hirten zusammenbringen, den Pingstekarr jedoch ausgenommen. Außer diesem Kranze wird noch aus Papier ein dreieckiger Königshut gemacht, sowie zwei Schärpen aus Weidenbast und zwei hölzerne Säbel mit Koppeln, letztere ebenfalls aus Weidenbast bestehend. Mit den Schärpen und Säbeln wird der König und sein Adjutant am Abend geschmückt. Noch ist zu erwähnen ein großer Birkenzweig, der auch schon am Mittag herbeigeschafft wird. Ist nun der Abend gekommen, so versammeln sich alle Hirtenjungen, sowie die ganze Dorfjugend vor dem Hause des Pingstekarr. Jetzt werden alle Standespersonen geschmückt, wobei zu bemerken ist, daß dem Doogschlęper der große Birkenzweig an den linken Fuß gebunden wird. Nachdem nun Alles in gehöriger Ordnung ist, zieht der König seinen Säbel und befiehlt den Abmarsch. Der Zug setzt sich nun in folgender Weise in Bewegung: Vorauf der Doogschlęper, dann kommt der Pingstekarr und diesem folgt der König, umgeben von seinem Adjutanten und dem Mückenjäger. Während nun der Doogschlęper und der Pingstekarr nur daran denken, ihre Last fortzubringen, ist der König in der besten Laune. Seine größte Freude besteht darin, seinem Adjutanten das Leben so sauer wie möglich zu machen, ihm zu zeigen, daß er sein Diener ist. Kaum hat der Zug sich in Bewegung gesetzt, so stößt der König seinen Hut ab, den der Adjutant ihm wieder aufsetzen muß. Dieses Experiment mit dem Hute wiederholt der König alle zehn Schritte, so daß der Adjutant in fortwährender Bewegung zur Erde sein muß. Vergißt er es einmal, den Hut wieder aufzunehmen, so erinnert ihn der König mit einem Säbelhiebe an seine Pflicht. Hat nun der Zug sich durch das ganze Dorf bewegt, so wird vor dem Hause des Pingstekarr Halt gemacht und jede Standesperson trägt die Ehrenzeichen nach seinem Hause.


Aus Loissow bei Ludwigslust. Seminarist Offen.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 2, Wien 1879/80, S. 271-273.
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