Achter Auftritt.

[99] Graf. Gräfin rechts im Vordergrunde sitzend. Durch die Galerie tritt der Hochzeitszug ein, dessen Musik man schon am Schluß des vorigen Auftritts hinter der Scene gehört: Musikanten. Feldhüter und Nachtwächter mit Seitengewehr. Die niedere Schloßdienerschaft. Junge Bursche und Mädchen in Festkleidern. Unter letzteren Fanchette und ein anderes Mädchen mit zwei Brautkränzen und Schleiern daran. Antonio, Susannen führend. Figaro, Marzellinen führend. Bartholo, mit einem großen Hochzeitsstrauß. Zum Beschluß älteres Landvolk und höhere Schloßdienerschaft. Der ganze Zug defilirt mit Musik vor dem Grafen und der Gräfin, wobei Fanchette und das andere Mädchen ihre Brautkronen dem Grafen überreichen, der sie auf den Tisch niederlegt. Wenn alle stehen, schweigt die Musik. Antonio führt mit komischer Feierlichkeit Susannen zum Grafen. Sie kniet vor ihm nieder. Der Graf setzt ihr die Brautkrone auf. Während dessen zupft sie ihn am Aermel und zeigt ihm verstohlen das Billet. Er erstaunt, faßt sich, nimmt es ihr[99] ab und steckt es ein. Susanne erhebt sich und macht eine tiefe Verbeugung. Der Graf winkt Figaro. Dieser tritt heran und empfängt Susannen aus des Grafen

Händen. Beide küssen dem Grafen und der Gräfin die Hand und kehren auf ihren Platz zurück. Diese pantomimische Handlung wird begleitet von folgendem Chor.


CHOR gesungen:

Lobpreise, junge Braut, den guten, gnäd'gen Herrn,

Der auf sein altes Recht verzichtet hat aus Pflicht;

Was du ihm schuldig warst, erläßt er frei und gern

Und raubt es mit Gewalt dem jungen Gatten nicht.


Tusch am Ende des Chors. Der Graf steht auf, wie um zu danken, und tritt in das Proscenium, um verstohlen das Billet zu lesen. Da er es hervorzieht, sticht er sich in den Finger.


GRAF. Verwünschte Frauen! Ueberall bringen sie ihre Stecknadeln an, sogar als Siegel. Er wirft die Nadel auf die Erde, liest und küßt das Billet.

FIGARO der ihn beobachtet hat, zu Susannen und Marzellinen. Seht da! Ein Liebesbrief, den ihm eins der Mädchen im Vorbeigehen zugesteckt hat. Er war mit einer Nadel zugesteckt, die den gnädigen Herrn tüchtig in den Finger gestochen hat.

GRAF die Adresse lesend. Ich soll die Nadel zum Zeichen der Zustimmung zurückschicken. Ja, wo ist sie nur? Er sucht auf der Erde, findet sie und steckt sie an den Aermel.

FIGARO wie oben. Von der Geliebten ist uns Alles theuer. Jetzt hebt Excellenz sogar die Stecknadeln sorgsam auf! Der Graf setzt sich wieder. Figaro führt ihm Marzellinen zu. Im Augenblick, wo Jener dieser die Brautkrone aufsetzen will, beginnt auf's Neue der Chor, reißt jedoch mitten im Satze ab, wenn der Gerichtsschreiber eintritt.


Quelle:
Beaumarchais [Pierre-Augustin Caron de]: Figaro's Hochzeit. Leipzig [o. J.], S. 99-100.
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