626. Das wütende Heer auf dem Erzgebirge

[417] Auf dem Schreckenberge, dem Scheibenberge und nach dem Kamm des Erzgebirges hinauf hat die wilde Jagd auch ihr Wesen und hetzt mit Hallo, Hörnerblasen und Hundegebell durch Luft und Kluft. Von Wiesenthal wollte eines Abends ein alter Priester frühzeitig nach Annaberg fahren; der Weg führte ihn lange hart an der sächsischen und böhmischen Grenze hin durch lauter Wald bis zum Städtlein Weipert, und der geistliche Herr fuhr zu sehr früher Zeit. Da erhob sich im tiefen Walde ein mächtig Jagdgetön, es schallte und knallte, es sauste und brauste – und waren doch weder Holzleute noch Jäger zu erblicken. Da nun der Priester ängstlich wurde ob des noch nie vernommenen Lärmens und den Fuhrmann fragte, was dieses Getöse sei und zu bedeuten habe, so antwortete dieser: Sorget Euch nicht, hochwürdiger Vater; es ist das wütende Heer, das tut uns nichts, wenn wir in Gottes Namen fahren! Und fuhr redlich hin.

Ein edler Junker des Namens Rudolf von Schmertzing, Erbsaß auf dem Hammergut Dörßel, hatte am Abend zu Annaberg manchen guten Trunk getan, wie Ritter Hermann von Hellerstein bei Treffurt in Creuzburg, und ritt in gleicher Verfassung ganz allein seines Weges nach Hause. Er ließ Buchholz links liegen, Dörßel rechts, ritt durch Schlettau und wollte durch die Unter-Scheibner Räume den Weg nach den Scheibner Mühlen zu nehmen, da hörte er auf den zum Fichtelberge hinansteigenden Höhen Jagdlärm von Hörnern und Hunden und ritt diesem lange nach, bis er endlich verirrt war und sein Pferd in einem Sumpfe stak. Mit Mühe gelang es ihm, sich selbst herauszuarbeiten und ein Vorwerk zu erreichen, wo er Leute gewann, die mit Seilen und Stangen das Pferd aus dem Moraste zogen.

Zu einem Manne, der am Wielenauer Berge mit einem Pferde arbeitete, ist ein angeschirrtes fremdes weißes Pferd ganz plötzlich gelaufen gekommen und hat sich selbst zu dem einen Pferde gespannt, da ging die Arbeit gar merklich rasch vonstatten, aber den Ackermann befiel eine bange Ahnung, und er wußte nicht, was er tun sollte; da es nun Mittagszeit war, so wollte er ausspannen, aber das andere fremde Pferd ging durch und riß das seinige mit sich fort, und rannen auf den nahen Tümpfel zu. Der erschrockene Ackermann rannte mit, hing sich an sein Pferd,[417] fluchte und betete, da riß endlich jenes Pferd sich los und sprang mitten in den Tümpfel hinein, und jener behielt sein Pferd – in großer Bestürzung.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 417-418.
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