I. Capitul.
Wolffgang und Friderich treffen zu Abstorff bei Herrn Wilhelm einen schönen Altar an. Was Barthel auf der Heide vor ein sauberer Vogel gewesen.

[487] Diese Wasserlust genossen wir auf dem Fischteiche, unter währender Arbeit der fleißigen Fischer, mit guter Vergnügung und mußten uns zugleich über die wunderliche Lebensart Herrn Wilhelmens von Abstorff verwundern, welcher zu seiner Gemütsruhe vor allen andern diesen einsamen Teiche erkieset und auf demselben seinen Gedanken Audienz zu geben gewohnet war. Nachdem er in dieser Verrichtung etliche Stunden mit großem Nutzen hingebracht, führte er uns auf seinem Kobelwagen wieder in das Schlößlein, in welchem wir uns miteinander bei einem guten Stuck Karpfen recht lustig machten. Er schätzte unsere Freundschaft so hoch, daß er durchaus unsere Brüderschaft verlangte, dannenhero schätzten wir uns in diesem Fall recht glückselig, mit diesem wackern Cavalier in so gute Bekanntschaft zu geraten, derer wir hernach, nach Ausweisung dieses Tractats, mit sonderlichem Content, mehr denn tausendfältig genossen haben. Denn dazumal waren die Brüderschaften noch etwas Sonderliches und dahero nicht so gemein wie heutzutage. Man hat solche dazumal vor ein unauflösliches Band einer herzlichen Vereinigung geheißen, da sich die Duzbrüder nicht sowohl mit Worten als mit dem Werk zusammen verbunden und vereiniget haben. Und man hatte auch damals, meistens aber in unserer Landschaft, drei hauptsächliche Punkten, welche wahre brüderliche Freunde mit- und untereinander eingehen mußten. Als erstlich, daß sich[487] jeder seines Orts auf einen recht christlichen, ehrlich- und lobwürdigen Tugendwandel beflissen und sich in seinem Leben also erzeigen soll, damit er das Zeugnis eines frommen Christens von allen Menschen davontragen möchte. Vors andere soll und mußte er sich verbinden, seinem brüderlichen Freund, dafern er ihm in Nöten und andern Unglücksfällen rechtmäßig beistehen könnte, behülfliche Hand zu leisten. Vors dritte war jeder seines Orts verbunden, seinen Bruder von allen solchen Fehlern abzuhalten und abzumahnen, die ihm zum Übel und Nachteil ausschlagen möchten.

Diese drei Punkten, welche erheblich genug sind, eine wahre Freundschaft zu hegen und zu gründen, gingen wir auch vor diesmal untereinander einmütig ein, und wir versprachen Herrn Wilhelmen über dieses, uns bei ehester Zusammenkunft unserer Gesellschaft dahin zu bewerben, damit er als ein wohlanständiges Glied in die Compagnie möchte mit eingebracht und also unser Orden verstärket werden.

Er war dessen überaus wohl zufrieden und versprach gleich anfangs, daß er sich mit einem guten Schmaus bei uns insgesamt trefflich wollte sehen lassen. Wie er mir denn insonderheit, um dieses Vorhaben schleunigst zu befördern, eine schöne Büchse mit acht Zügen, auf dem Schaft mit künstlich geschnittenem Beine eingeleget, verehret hat. Dem Friderich aber präsentierte er eine Halsuhre, welche ehedessen ein großer Fürst im Lande solle gebraucht haben. Also wurden wir durch seine aufrichtige Gutherzigkeit und recht teutsche Treue gezwungen, diesen Tage auf dem Schlosse auszuhalten und dann erst des andern Morgens unsern Wege weiter zu suchen.

Nach verrichtetem Mittagessen gingen wir in seine Schloßkapelle, die an einem einsamen Ort nicht weit vom Wassergraben stund, daselbsten den Altar samt andern enthaltenen Sachen zu besichtigen, weil Friderich an dergleichen Altertum große Vergnügung suchte. Die Grabschriften, welche wir alldorten angetroffen, waren meistens auf diejenigen gerichtet, die ehedessen in diesem adeligen Freischloß gesessen hatten. Daraus wir wohl abnehmen konnten, daß er aus[488] einem sehr alten Geschlechte müsse entsprossen sein. Unter andern wies er uns auf einem Altare ein überaus schönes Bildnis einer Jungfrauen, und »vermeinet ihr,« sprach er, »wessen dieses Bildnis sei?« Wir sahens in der erste vor die Cecilia, hernach aber, als wir etwas genauer hinzugetreten, vor die heilige Barbara an, weil hinter ihr im Dunkeln ein Rad gemalet war, mit welchem Zeichen sie sonst insgemein pflegt abgemalen und vorgestellet zu werden. »Es ist«, sprach Friderich, »allem Ansehen nach die heilige Jungfer Barbara, von welcher man in den Legenden lieset, daß sie wegen ihres angenommenen christlichen Glaubens von ihrem eigenen Vater, der meines Bedünkens ein heidnischer Richter war, erstlich mit dem Rad ist gestoßen, nachdem aber solches in Stücke gegangen, mit dem Schwert ist hingerichtet worden.« – »Es ist dem also,« antwortete Herr Wilhelm, »aber wie gefällt den Herren Brüdern diese Gestalt und Proportion des Leibes?« – »Sie ist«, sagte ich, »überaus schön gestellet, und man muß gestehen, daß der Maler durch seine Kunst in der Vollkommenheit die Natur überstiegen habe.« – »Ja,« sagte er, »es scheinet zwar also, aber die Wahrheit zu gestehen, so ist dieses Bildnis, wie es die Herren vor Augen sehen, ein Conterfey einer adeligen Jungfrauen, welche hier in unseren Landen wohnet. Sie ist eine einzige Tochter einer reichen Witwe und hat nur noch einen Bruder, welcher dermalen auf einer Universität sich enthältet und dem Studieren oblieget.« – »Ich muß mich verwundern,« sagte Friderich, welcher zugleich im Gesichte ganz entfärbet worden, »wie diese Contrafactur an diesen Ort gekommen und aus was Ursach man einen Altar damit bezieren wollen. Der Sache ist zwar an sich selbst dadurch nichts benommen, denn ob die heilige Jungfrau Barbara auf diese oder eine andere jungfräuliche Gestalt gemalen oder geschildert werde, daran ist der Andacht desjenigen wenig benommen, welcher, sie zu verehren, anher kniet und sein Wachslichtlein vor derselben anstecket. Aber wie ist dieses Bild zu solchem Aestim gekommen, und wer hat es hereingebracht?«

»Die Gelegenheit,« sprach Wilhelm, »vermittelst welcher dieses herrliche und wohlgetroffene Stück in diese Kapelle[489] gekommen, will ich kürzlich erzählen.« Als solches Herr Wilhelm geredet, gab Friderich ganz beflissen auf seine fernere Worte Achtung, denn dieses Conterfey war kein anders als die Copie seiner so herzlich geliebten adeligen Dame, von welcher er mir wegen seiner Inclination auf der Reise so viel erzählet und gelobet hatte. Ich wußte es zwar dazumal noch nicht, und ob mir wohl die Verwechslung seiner Farbe ein mehrers Nachdenken verursachen können, ließ ichs doch an seinen Ort bewenden, weil er ein sehr schöner und subtiler Mensch war, daher seine zarte Complexion leichtlich einer solchen Veränderung ohne zufällige Dinge mochte unterworfen sein.

»Es wohnet«, erzählte Herr Wilhelm weiter fort, »ein Edelmann lediges Standes drei Meil Weges von hier in einem abgebrannten Haus, welches er von allen seinen Gütern, derer ehedessen viel zu seinem Erbe gezählet worden, noch einzig und alleine übrigbehalten. Man zweifelt, ob sich ein Dachfähnlein im großen Sturmwetter so oft herumdrehen kann, als oft er seinen Sinn und Mut verwechselt. Er weiß von nichts weniger als von seinem Glauben Rechenschaft zu geben, aber die Nachbarschaft aneinander zu hetzen und sie von einem Proceß in den andern zu führen, ist er ein abgerichteter Lauer und Tausendkünstler. Wenn ihr ihn noch nicht kennet, so habt ihr aufs wenigste vom Barthel auf der Heide reden gehört, welchem mein gegebenes Lob billig zukommet. Eben der Teiche, welchen ich heute morgens gefischet, ist seinem Vater zugestanden, und daß ich mich mit dem unruhigen Kopf nur ohne gerichtlichen Proceß enthalten kann, erzeige ich ihm wider sein Verdienen noch allen nachbarlichen Willen, weil ich sonst kein Mittel ersehe, mit ihm in behaglichem Frieden zu bleiben.

Dieser Barthel auf der Heide ist der Fundator dieses Altars, und sind etwan acht Wochen verstrichen, als er solches von ebendemjenigen Schlosse zu mir gebracht, wo diese Dame ihren Wohnsitz hat. ›Bruder,‹ sagte er zu mir, ›ich bin unglücklich in meiner Liebe. Diejenige Jungfer, so ich willens war, im Original mit mir zu bringen, muß ich leider in der Copie herumführen. Ich kam auf das Schloß, sie durch Beistand[490] etlicher Knechte ihrer Mutter zu entführen, aber sie mag Wind davon bekommen haben, denn sie war in keinem Teil des Schlosses mehr zu finden, und war also nur mein einziges Mittel, mich an diesem Conterfey zu ergetzen, welches ich billig so hoch schätze, daß es an einen solchen Ort gesetzet werde, allwo sie die Person und Bildnis einer heiligen Jungfrau präsentieren soll.‹ Diese Wort redete Herr Barthel mit bestürztem Gemüte hier auf meinem Schlößlein und beredete mich, wie er denn ein meisterlicher Zungendrescher ist, mit allerlei Umständen endlich dahin, daß ich nicht allein einen Maler dieses Rad und andere Figuren noch darzumalen, sondern auch, wie ihr sehet, gar einen Altar daraus formieren lassen. Und seitdem dieses geschehen, kommet er gemeiniglich die Woche zwei- oder dreimal auf seinem Schimmel hiehergeritten und ergetzet sich etliche Stunden durch bloßes Ansehen an dem Bilde, daß ihn alle diejenigen Leute für höchst andächtig halten müssen, die nichts um den Betrug wissen.

Wenn etwas an ihm wäre, das man loben könnte, so wäre sein Exceß, welchen er in diesem blinden Liebeseifer begangen, ihm noch in etwas zugute zu halten, demnach er aber ein Mensch von verrückter Stirn ist und all dasjenige, was er anfängt, einen schlimmen Ausgang nimmet, wird er nicht allein von der adeligen Jungfer, sondern auch von allen unsersgleichens billig geflohen und gehasset.

Er ist sonsten ein Mensch, der auf nichts, als seinen Nächsten um das Seine zu bringen, studieret. Mit Betrug leget er sich zu Bette, mit Betrug stehet er wieder auf, und er ist keinem Volk auf Erden so affectionieret und zugetan als den Advocaten, weil [er] seine ganze irdische Freude–ob er eine ewige glaubt oder nicht, das weiß ich nicht – nur in der bloßen Zanksucht suchet. Ihr werdet bei ihm viel Spielkarten finden, ja, er hat derer so viel beisammen gehabt, daß man gar gewiß weiß, wie er nur allein mit den alten zerrissenen Blättern eine warme Stube machen können. Einsmals ist ihm wegen einer geliebten Jungfer ein Zahn ausgeschlagen worden, denselben Zahn trägt er in Silber eingefasset allenthalben bei sich, und wer zu ihm auf sein Haus kommet,[491] der muß aus dem Willkomm, worein er diesen Zahn wirft, etliche Maß Bier aussaufen, oder er kommet durch die Weigerung dessen in unverhoffte Ungelegenheit, wie ihrer etliche viel Lieder davon zu singen wissen.

Er hat noch einen alten Weinberg, der trägt ihm jährlich so viel, daß er dreißig bis vierzig Eimer vors Geld ausschenken kann, und es darf einer nur den Abend drei Groschen anstehen lassen, so schickt er ihm des andern Morgens schon einen Mahnzettul ins Haus. Seine ganze Bibliothek bestehet in achtundfunfzig Calendern, die sein seliger Herr Vater, der ein stattlicher und wohlvorsichtiger Cavalier war, als ein fleißiger Haushalter die Zeit seines Hausstandes zusammengesammelt und aufeinandergenähet hat. Dieselbigen Calender leget er denen, so ihn besuchen, vor die Nase, damit sie sich in denselben umsehen können, was etwan vor diesem für Zeiten gewesen und was das Korn gegolten habe.

Einsmals schickte er sie zum Buchbinder, daß er einen neuen Überzug darzu verfertigen sollte; aber der Bauer, welchem er diese seine ganze Bibliothek in die Stadt zu tragen anvertrauet hatte, verlor einen auf der Straße. Davor mußte er ihm acht von dem Hagelwetter eingeschlagene Fenster am Schlößlein reparieren und ausflicken lassen, weil der Bauer keinen andern, der mit dem Jahr des verlornen übereintraf, in allen Buchläden zu Kauf bekommen können. Wenn ein Fremder durch sein Dorf reiset, so lässet er sie von den Jungen mit Kot und Drecke werfen. Dadurch machet er seinen eigenen Profit zunichte, weil fast kein Mensch, der um die Leichtfertigkeit Kundschaft hat, hindurchreiset.«

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 487-492.
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