XI. Capitul.
Sie werden bei dem Wetterbild abscheulich betrogen.

[542] Dazumal fiel eine große Hitze ein, und weil es bald darauf Ernt war, hatte man allenthalben im Land gutes Wetter zu hoffen. Beschleunigten demnach unsere Heimreise in einem schnellen Galopp, willens, auf dem Schloß Oberstein so lang auszudauern, bis der dritte Tag des nächst einlaufenden Monats erschienen, weil sich an solchem das Wetterbild absonderlich hören sollte lassen. Der Student, welcher in dem Bauernsturm mit den Pechkränzen beschäftiget war, bekam gleich uns eine Lust, sein Heil zu versuchen und zu sehen, ob er noch lange sein Brot mit der langweiligen und kalmeuserischen Information suchen oder aber sich auf eine andere Weise applicieren müßte, wo er wollte zum Doctor oder Licentiaten werden. Derowegen bestellte er sich ein Bauernpferd, uns dahin Gesellschaft zu leisten, und konnte die Zeit unserer Abreise vor großer Begierde kaum erwarten, weil ihm von des Bildes sonderbarer Beschaffenheit nit allein von uns, sondern auch von andern unterschiedliche Historien erzählet worden.

Unterdessen wurde die Zeit auf dem Schlosse mit allerlei Discursen und andern Unterredungen passieret, weil die Hitze und das warme Sommerwetter keine andere Kurzweil auf dem Land oder Felde zulassen wollte. Als mußte demnach ein Gläslein Wein bei einem hübschen roten Schinken samt einem Glas Bier das Beste tun, und unsere Leibesbewegung bestund entweder in Probierung der Pallester, oder daß man sich mit wohlgemachten Kegeln in dem Hofe die Zeit verkürzet.

In solcher Vergnügung kam der bestimmte Tag allgemach heran, an welchem man entschlossen war, das oftbenannte Wetterbild aufs neue zu besuchen, und alsdann wollte jeder seinen Weg wieder zu den Seinigen gehen, wie noch vor der Abreise abgeredet worden. Ich und der Herr Friderich aber waren willens, auf sein Gut nacher Ichtelhausen abzureisen, daselbst, wie unser ehemaliger Vorsatz gewesen, seine Sachen aufs beste anzurichten und seine Haushaltung in eine[543] gute Ordnung zu bringen, auf daß er daselbst nach vollzogener Hochzeit wohl vergnügt mit seiner Amalien einziehen und wohnen möchte.

Hiermit machte man die Pferde fertig, und Philipp hatte schon in der geheim bestellet, daß man seinem Præceptori das allerunbändigste Pferd gäbe, welches dermaßen mit ihm in dem Feld hin und wider gelaufen, daß ihm nicht allein der Zaum öfters abgerissen, sondern er noch darzu bald da, bald dort in einen tiefen Graben hineingeworfen worden. Itzt verlor er seinen Degen, wiederum die Handschuhe, bald seine Paruque, und also war das Gelächter über die Maßen groß, so wir wegen seiner wunderlichen Posturen verübten. Damit auch keiner mit dem Umsehen sein Vornehmen verderbte, mußte der Student vor uns allen hinreiten und dannenhero so viel öfter vom Pferd fallen, je weniger er ehdessen auf den Reitschulen gewesen ist.

Des folgenden Tages führte uns der vorbeschriebene Kirchner in dem Dorf zu Grundstett vor das Wetterbild, und unerachtet gleichwie zuvor zwei Pistolschüsse hintereinander auf der Straße gehöret worden, sah sich doch niemand um, und hofften dannenhero eine klärere Antwort als vorhin zu erhalten. »Ihr müsset«, sprach das kleine Männlein zu uns, »wohl Achtung geben, daß keiner zu dem andern, es sei in was Sprache es wolle, ein einziges Wörtlein rede. Was Ihr zu tun oder sonsten untereinander zu verrichten habet, das könnet Ihr zwar mit den Händen und Winken bedeuten, aber beileib kein Wort sagen, bis Ihr wieder aus der Kirche seid. Dieser Tag, wie auch alle dritte in allen Monaten durch das ganze Jahr, sind ansonderlich glückselig, darum ist es der Gebrauch und sehr ratsam, daß Ihr vor Eurer Frage eine gute halbe Stund mit dem Angesicht auf der Erde ausgestrecket liegen bleibet und keiner den andern bis nach verlaufener halben Stunde ansehe. Alsdann, so dies geschehen, so stehet auf, und verrichte jeder dasjenige, um wessen Ursache er zu diesem Wunderbild hergereiset ist. Ich will Euch über dieses und zur Verhütung eines großen Tumults die Kirche zuschließen, damit das vorwitzige Volk Euch in Eurem Vornehmen nicht verhindere noch sonsten verstöre.«[544]

Als er dieses gesagt, neigte er sich mit einem lateinischen Reverenz, ging hinweg und versperrete uns, wie er gesagt hatte. Es hatte keiner das Herz, den Worten des Kirchners zuwiderhandeln, und war unter allen der Student der erste, welcher sich auf die Erde niedergeleget. Diesem folgete ein jeder unter uns, und ich kann nicht sagen, wie hart mich dieses Lager angekommen, weil ich es nicht allein sehr ungewohnet war, sondern noch darzu die Ziegelsteine dermaßen stanken, daß nichts darüber. Der geneigte Leser kann sichs viel mehr einbilden, als ich beschreibe, in was für einer lächerlichen und närrischen Positur er uns dazumal würde angetroffen haben.

Nach etwan einer Viertelstunde rufte eine Stimme zum Kirchenfenster hinein und sprach: »Sie sind schon fort!« Diese Stimme hielt jeder bei sich selbst für eine Versuchung, daß wir uns umsehen sollten, dannenhero verrückte sich keiner von demjenigen Plätzlein, wohin er sich geleget hatte. Nach diesem rufte es noch einmal: »Hört ihrs nicht? Sie sind schon fort!« Nichtsdestoweniger blieb man in der vorigen Positur, und jeder gedachte seinen Teil vor sich. Zum drittenmal fing es laut an zu lachen und sprach: »O ihr Narren! O ihr Narren!« Damit höreten wir nichts mehr und verlangten, die Uhr zu hören, welche nunmehr bald würde herumgelaufen sein. Je länger man aber wartete, je weniger wollte sich solche hören lassen, und weil jeder bei sich selbsten wohl abnehmen konnte, daß er länger als eine Stunde auf der Nase gelegen, hebte sich einer nach dem andern empor und deuteten also ohne Eröffnung des Mundes, welcher der erste zu der Frage sein sollte. Es wurde aber hierzu der Student gleichsam genötiget, weil sich jeder, die Wahrheit zu gestehen, der erste zu sein geforchten hat. Nichtsdestoweniger wollte der Student durchaus nicht dran und machte mit seinem Deuten so wunderliche Mienen, daß wir bei einem Haar zu lachen angefangen hätten. Endlich zogen wir ihn mit Gewalt zu dem Rohr, allwo er mit einem großen Seufzer die Lefzen angesetzet, ohne allen Zweifel mit Ausgießung einer innerlichen Andacht, dieses heilige Oraculum um seine Zustände zu begrüßen. Nachdem er nun eine ziemliche[545] Zeit gefraget und ohne allen Zweifel eine hochwichtige Sache vorgebracht hatte, sah er sich zurück nach dem Bilde, von demselben mit einem gleichmäßigen Seufzer [Antwort] zu vernehmen. Aber das Bild schwieg still, dadurch nicht allein der Student, sondern wir alle bestürzet worden.

Er fragte das zweite Mal, aber es antwortete ihm so wenig als zuvor, und er war so scheu, daß er sich lieber ins Wasser stürzen als das dritte Mal fragen wollte, weil er ehedessen in vielen alten Rittergeschichten gelesen und also genugsam erfahren hatte, wie denjenigen mitgefahren worden, die das Abenteuer das dritte Mal anzufallen sich frevelhaftig belieben lassen. Solche Grillen staken dem guten Præceptor annoch häufig in der Memori, dannenhero ging er ganz erblasset zurück, und uns war allen nicht gar wohl, und wußte keiner, aus was Ursachen das Bild, wider seine gewöhnliche Art, dem Studenten die Antwort versaget.

Das allerübelste war, daß sich keiner getrauete, der nächste zu sein. Dannenhero kam es auf das Würfelspiel, und als einer nach dem andern seinem Los gefolget, bekam doch einer so wenig als der andere eine Antwort, und mußten ebenso unbescheiden als der Student vor dem Wetterbilde stehen bleiben. Weil nun keine Hoffnung übrig war, zu unserem Zweck zu gelangen, noch eine Antwort von dem Bilde zu erhalten, ruften wir dem Kirchner, daß er uns die Tür eröffnete. Aber er antwortete so wenig als das Bild. Es fing einem nach dem anderen merklich an zu schwanen, daß wir vielleicht in diesem Handel blind angelaufen und ziemlich wären betrogen worden. Zu solchem Argwohn half die gehörte Stimme, und konnte nichtsdestoweniger keiner etwas Gewisses davon schließen.

Wir rissen endlich die Tür mit Gewalt auf, und dorten sahen wir, daß nicht allein die Uhr war aufgezogen, sondern all unsere Pferde waren davongeritten worden.

Wie sehr einer den andern dazumal ausgelachet, ist unmöglich zu beschreiben. Einer hatte diesen, der andere einen andern Argwohn, und der Student fing fast an zu weinen, weil er nicht allein so vergeblichen Schrecken in der Kirchen eingenommen, sondern noch darzu sein entlehntes Bauerpferd[546] so unversehens eingebüßet und verloren. »Ihr Herren,« sprach Philipp, »schweiget still und sehet, wie wir mit Manier von dem donnerischen Hagelwettersbild kommen. ›Sie sind schon fort‹, sagte die Stimm. Ja, ich glaube es, sie sind fort, nämlich unsere Pferde, und wer will uns die Sättel heimbringen? O wie recht hat uns der Bärnhäuter, wers auch gewesen ist, Narren geheißen! Sind wir nicht Narren? Glauben einem alten Hosen-Purgierer, einem landfahrenden Wahrsager, gehen einen so weiten Weg und lassen uns hie die Pferde stehlen! Wo ist nun der Kirchner hin? Hui, daß uns der abgerichtete Fuchs so hübsch mit dem Niederlegen beschwätzet und noch darzu die Uhr aufgezogen hat! Es ist nichts anders. Aber lasset uns vor diesmal unsern Widerwillen bergen, ich habe schon einen Anschlag, hinter die Sprünge zu gelangen, es mag auch anstehen, solang es will. Sehet, hier sind die Pferde hingeritten worden, aber dieses ist wider uns, daß wir hier kein Pferd im Dorfe antreffen, der Spure nachzureiten, und wer weiß, ob derjenige, so uns den Possen getan, nicht schon lange über die See gefahren ist? Hei, das heißt gefoppet und zu dem Wetterbild auf Grundstett gereiset! Hätte ich meine Pistolen, wie wollte ich dem angemalten Wettervieh ins Gesicht hineinpuffen. Aber wohlan! was heute nicht geschieht, kann morgen geschehen. Ihr Herren, ein jeder folge mir, lasset den Kummer fahren, nehm ein jeder seinen Sattel und marschiert.«

Damit ergriff jeder seinen Sattel, welche der Pferddieb, auf daß er mit seinem Raub sicherer durchkommen konnte, dagelassen hatte, und es ist nicht zu sagen, wie schrecklich einer den andern auf der Straße durch die Hechel gezogen. Absonderlich aber mußte der Student herhalten, welcher als ein studierter Theologus die Sache billig besser sollte verstanden haben. Darum gab ihm bald dieser, bald jener einen Filz, und er wurde endlich so zornig, daß man ihm wenig gute Wort dörfte gegeben haben, seinen Sattel hinwegzuwerfen und auf offener Straße davonzulaufen. Denn er war einer unter diesen, die ganz keinen Scherz vertragen noch verstehen können, sondern alle Vexierwort wie Gift in sich verschlucken, dadurch sie nicht allein eine unnötige Galle[547] erregen, sondern noch darzu für großem Zorn in tausend Torheiten verleitet werden. Wir aber, als welche untereinander von Philipp auf unterschiedliche Meinungen wegen dieser Begebenheit geführet worden, ließen es dahingestellet sein, bis sich ein und andere Gelegenheit ereignen würde, unsere Scharte wieder auszuwetzen.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 542-548.
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