XII. Capitul.
Friderich findet sein Gut zu Ichtelhausen in schlechtem Zustand. Exempel der Verleumdung.

[548] In einem solchen Zustand kamen sie dermalen auf Oberstein, allwo die Frau Philippin an einem Fenster stund und für großem Gelächter die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Es wußte keiner unter ihnen, was dieses bedeuten sollte, noch viel weniger konnte man sich einbilden, daß sie um den Handel einzige Wissenschaft hätte, weil es unmöglich schien, daß sie eine solche Zeitung noch vor der Ankunft auf das Schloß mochte erhalten haben. Nichtsdestoweniger fuhr sie in ihrem heftigen Gelächter ohne Unterlaß fort und war doch auf keine Weise zu bereden, daß sie die Ursach dessen eröffnet hätte, daraus man wohl abnehmen konnte, daß etwas mehrers hinter ihrer so heftigen Bewegung müsse verborgen sein. Im Fall aber sie noch nichts wegen dieser Beschimpfung wüßte und aus einer anderen Kurzweil zu einem solchen Gelächter verursachet würde, als schwuren sie heimlich untereinander zusammen, diese spöttliche Abweisung aus Grundstett keinem Menschen zu offenbaren, darzu man den Studenten nicht groß nötigen dörfen, weil er dadurch gute Hoffnung hatte, seiner bisher gelittenen Aushöhnung abzukommen und also gleich mit den andern unter verborgener Decke zu liegen. Jedennoch machte die Frau Philippin allerlei Argwohn, denn ob sie wohl nicht unter die Weiber zu zählen war, die nichts verschweigen, sondern vielmehr, was sie gesehen oder gehöret haben, wieder auszuplaudern pflegen, so machte sie nichtsdestoweniger solche wundersame und eigentliche Mienen, aus welchen man nichts anders schließen konnte, als daß sie um die Andacht[548] und Abfertigung bei dem Wetterbild gute Wissenschaft hätte. Denn sie fragte nicht einmal, wo die Pferde geblieben, lachte auch nicht darum, daß sie die Sättel am Halse heimgetragen, darum wußte sich keiner deswegen aus dem Traum zu helfen.

Dessen aber unerachtet wurden allerlei Gelegenheiten ersonnen, diese Reise zu beschönen, und weil man sich nicht besser zu entschuldigen wußte, mußte man sagen, als wäre man unter die annoch in Wäldern verborgene Bauren geraten, welche sie bis auf die Sättel beraubet hätten. Also blieb es vor dieses Mal so dabei, und ich machte mich mit dem Friderichen gen Ichtelhausen auf sein Gut, daselbst die bishero unterlassene Bewohnung aufs neue anzurichten. Nahmen derowegen zu Oberstein Urlaub und wendeten uns nach unserer Straße. Wilhelm aber samt Gottfrid und seinem Bruder ging wieder zurück nach Abstorff, wovon die beiden Brüder heimzureisen entschlossen und daselbst bis zu des Friderichs bevorstehende Hochzeit, welche bei der alten Frauen zu Ocheim sollte gehalten werden, verziehen wollten.

Also wandte sich eine Partei zum vordern, die andere zum hintern Tor hinaus, und nahmen beiderseits etliche Schloßknechte mit, welche Herren Philippen seine Pferde, die er uns geliehen hatte, wieder zurückreiten sollten. Ich muß bekennen, daß es dazumal sehr widrig und wegen der heftigen Hitze sehr übel zu reisen war, und also wurde zwischen den Reisenden wegen staubigen Wetters wenig geredet noch erzählet, sondern mußten vielmehr die warmen Mäntel und große Reisekappen eröffnen, aus welchen man sich auswickelte und gleichsam ganz nackicht entblößte.

Was aber auf offenem Feld verabsäumet worden, das brachte man in den Dorfschenken abends wieder ein. Dahero kamen wir bald zur Auslegung des Gelächters, welches die Frau Philippin so abscheulich getrieben hatte. »Es ist«, sprach ein Knecht, »von Oberstein ein alter Mann, und zwar ebenderjenige, welcher ehedessen auf dem Schlosse gewesen und sich für einen Wahrsager ausgegeben, mit etlichen Pferden an das Tor kommen und hat geschwinde mit der Frauen zu[549] sprechen verlanget. Sie ließ ihn zu ihr ins obere Zimmer kommen, und nachdem er etwan eine Viertelstunde darinnen gewesen, eilete er, was er konnte, mit großem Gelächter die Treppe herunter und ritt mit seinen Pferden dergestalten davon, daß der Staub hinter ihm aufgegangen. Und diese Pferde waren ebendiejenigen, so Ihr kurz vorhero aus dem Schlosse geritten habet. Von demselben Augenblick an hatte die Frau ein großes Verlangen, Euch zu sehen, weswegen sie ohne Unterlaß an dem Fenster gestanden und auf Euer Zurückkunft gesehen hat.«

Diese Rede des Knechts, ob sie gleich nicht dunkel war, so war sie doch auch nicht allerdings so klar, daß man etwas Gründliches hätte daraus schließen können. »Wisset Ihr mehr von dieser Sache,« sprach der Friderich, »so offenbaret es uns im Vertrauen.« – »Nein,« sprach der Knecht, »dieses und weiter nichts ist mir von der Frauen bekannt, denn ich weiß nicht, geht mich auch nichts an, was sie in ihrem Zimmer mit dem Graubart mag gesprochen haben. Aber gewiß ists, daß ich sie all mein Lebtag, ob sie gleich sonsten nicht traurig ist, dennoch noch niemalen so fröhlich gesehen habe.«

Herr Friderich redete hierauf ein und anders mit mir, aber wir fehleten weit von dem Zweck, als sich hernachmals im Ausgang gewiesen hat. Darum ließen wirs gut sein, weil endlich der Spott und Verlust so groß nicht war; nur die einzige Begierde, hinter diese Invention zu gelangen, ließ uns keinen Fried, und konnten vor großem Verlangen, die Sache auszukundschaften, kaum einen fröhlichen Bissen essen, noch ein gutes Glas Wein, wie sichs gebühret, mit einem angenehmen Gusto zu uns nehmen. Der dritte Tag nach unserer Ausreise brachte uns nach Ichtelhausen in das Schloß des Friderichs, welcher sich in dem Einritt allenthalben nach seinen Gebäuen umsah. Er fund alles in gar gutem Esse, außer daß sich wenig Hühnergeflügel, Tauben und ander dergleichen zahmes Federvieh allda befand, welche allem Ansehen nach der Verwalter mit seiner Familia müßte aufgezehrt haben. »Wenn es nur in meiner Gesundheit genossen,« sprach Friderich, »so mag es noch passieren!« Also stiegen wir ab und wurden von dem Verwalter, welchen[550] man wegen seines gesoffenen Tobak und Brandeweins weiter riechen als sehen können, mitten in dem Schloßhofe bei einem großen Taubenhaus empfangen. »Das Taubenhaus ist ganz,« sprach Friderich, »und man siehet an demselben nichts zerrissen, wo sind aber die Tauben hingeflogen?« Auf diese Rede sah uns der Verwalter etwas genauer an, als er gewahr wurde, daß mein Gesell seine Herrschaft sei. Er machte darauf ein großes Kreuz vor sich; weil aber dem Friderich nicht gelegen war, seinen berauschten Worten Audienz zu geben, eilete er mit mir in die Hofstube, welche so sehr nach Tobak stank, daß einem der Rauch daumensdick in die Nase fuhr. Die Leute, so darinnen saßen, sahen aus wie die, welche unter den Köpfen sitzen, und es mangelte nur an einem Bader, so hätten wir uns alle können schröpfen lassen.

Des Verwalters seine Kinder, derer er ein Stück oder achte beisammen hatte, saßen hinter dem Ofen, Birn und Äpfel bratend, und weil diese aus Unvorsichtigkeit zu weit an die Kachel gerücket, stank es nicht viel anders, als hätte man eine Katze auf glühenden Kohlen gebraten. »Warum«, sprach Friderich zu einem Tisch voll Bauren, »seid ihr allhier zusammengekommen und was ist euers Tuns?« – »Herr,« sagten sie, »der Herr Verwalter hat uns die vorige Woche zu einer Steuer ansagen lassen, und weil wir ihm solche so bald eingegeben, lud er uns heute auf eine Mahlzeit.« – »So«, sprach der Friderich, sich gegen mir wendend, und klagte seinen Zustand. »Siehest du,« waren seine Wort, »wie es zuzugehen pfleget, wo kein Herr im Hause ist? Nun merke ich, wo mein so häufiges Geflügel hingekommen. Er hat es, diesem Zeugnis nach, mit den Bauren verfressen.« Hiermit gingen wir auf die Getreidböden und fanden daselbst drei Parteien, welche mit Schaufeln einsackten. »Was machet ihr da?« sprach der Friderich, »und wem soll diese Arbeit?« – »Sie soll«, antworteten die Knechte, »dem Herren Hausverwalter. Wir schütten die Säcke ein und führen sie hernachmals in die Mühl. Von der Mühl müssen wirs auf sein Gut nach Rodingen bringen.« – »Geschicht das oft im Jahr?« sprach Friderich. »Dreimal,« antwortete der Knecht, »und wenn wir[551] mit dem Getreid Feierabend haben, so geht es über das Obst, als Äpfel, Birn, Zwetschgen, Nüsse und dergleichen.« Indem kommt der Verwalter über die Treppe heraufgegangen, weil er uns mit einem Trunk Wein zu bewillkommen willens war. Und obschon Herr Friderich große Ursach und billigen Zorn gehabt hätte, ihn wieder über die Treppe hinunterzustoßen, gab er ihm doch noch zum Überfluß ein freundlich Gesicht und lobte ihn, daß er die Knechte nicht feiern, sondern immer eine Arbeit nach der andern angreifen ließe. »Ihr habt uns Wein gebracht,« sprach Friderich, »nun bringt uns auch Brot!« Damit sprang der Verwalter wieder über die Treppe hinunter, und die Knechte erzähleten uns weiter von seiner Haushaltung und erwähneten unter andern, daß er oftermalen zwei Malter Korn den Bettlern geschenkt und einsmals an einem Feiertage zwei Schweine ins Spital nacher Ollingen verehret hätte.

Hierauf gingen wir in Stall, und da ehedessen zwölf wohlgemästete Ochsen und dreißig Kühe gestanden, fanden wir derer kaum sechse, und alles so schlecht und schläferig bestellet, daß es recht verdrießlich anzusehen war. Kein Brunn lief mehr, kein Mist war im Hofe, in summa, man fand im ganzen Schloß etwan zwei Mägde, und dieses war die ganze Haushaltung des Verwalters, welcher doch dabei, gleich als hätte er alles gar wohl und löblich verrichtet, sich gedünken ließ. »Ihr sollet«, sprach Friderich zu ihm, als er uns das Brot brachte, »heute nach dem Mittagsessen mit Eurem Inventario vor uns beiden in der Gerichtsstube erscheinen, damit wir Abrechnung und eines oder das andere miteinander reden mögen, wie liederlich bis dahero allem Ansehen nach ist hausgehalten worden.« – »Euer Gestreng,« sprach der Verwalter, »es soll nach Ihrem Belieben von mir fleißig geschehen, von Punkt zu Punkt will ich antworten und von Ziffer zu Ziffer meine Rechnung ablegen.« – »Schweigt still,« sagte Herr Friderich, »Ihr seid voll!«

Damit gingen wir in unser zubereitetes Zimmer, allwo sich ein Schreiber, der allgemach gehöret, was der Friderich mit dem Verwalter geredet hatte, bei uns einfand, der den Verwalter folgends gar zur Bank hieb. »Es ist ein Gesell,« sprach[552] er, »den ich Euer Gestreng und Herrlichkeit nicht genugsam beschreiben kann. Alles lässet er in Grund verderben, und was er mit großem Nutzen bessern könnte, das lässet er nachlässig eingehen. Man kann gedenken, wie ein so großes Hauswesen mit so wenigen Leuten, als er hältet, versehen kann werden! Ich bin noch ein junger Kerl, aber gleichwohl, so mir ein so pertinentes Stück Gut zur Verwaltung anvertrauet wäre worden, wollte ich doppelten Profit geben, da der Verwalter nicht einen geben kann. Er säufet sich stets voll Tobak und Brandwein, und wenn jemand Fremdes an das Tor kommet, so gibt er die schlimmsten Wort, als man von einem Menschen hören mag. Mit den Bauren macht er sich so gemein und vertraulich, daß in ihrer viel Herr Bruder heißen, und wo er nur die geringste Gelegenheit weiß, mit ihnen zu schmausen, so geht es auf den alten Kaiser los, und lässet sich von mir, so sehr ich ihn auch vermahne, dennoch zu keinem besseren Weg leiten. Was noch über dieses ist, so ist seinen Kindern die Äpfelkammer so gemein, daß sie fast täglich darinnen nach ihrem Gefallen herumhausieren. Er heizet ein, gleich als wollte er das Schloß anzünden, und gleichwie er mit dem Holz, also gehet er auch mit anderen Mobilien um, die er billig sollte in reservo halten. Darum, haben Euer Wohledel Gestreng und Herrlichkeiten etwan eines besseren und getreueren Hauswirts vonnöten, bitte ich, meine Person vor einem anderen hierzu zu befördern. Meines Orts verspreche nicht allein allen gehorsamen und schuldigen Respect, sondern eine erwünschte und nützliche Hauswirtschaft nach Vermögen anzurichten, meine Tagerechnungen nach Verlangen wöchentlich oder jährlich richtig abzulegen und mich in allem so zu demonstrieren, wie es die billige Observanz und meine Schuldigkeit erfordern wird!«

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 548-553.
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