VI. Capitul.
Sie kommen in die Schloßkapelle, finden daselbst einen andächtigen Einsiedler beten. Abschrift zweier Grabschriften über einen Hofmann und Geizhals.

[514] Es war ziemlich warm, als wir insgesamt auf das Schloß des Herrn Wilhelmens nach Abstorff ritten, und weil die ganze Reise auf die verkleidete Amalia, die sich noch beständig den Fidius hieß, abgesehen war, kann der geneigte Leser leichtlich betrachten, wie tausendfältige Gelegenheit wir hatten, uns untereinander den langen Weg zu verkürzen. Wir kamen endlich in später Nacht nach Abstorff, allwo wir trefflich kühle Zimmer angetroffen, in welchen wir unsere erhitzte Glieder wieder in die vorige Bewegung gebracht. Die Mahlzeit, auf welche er uns eingeladen, war stattlich bereitet, und es hat nicht viel gefehlet, so hätten wir unsers guten Vorsatzes vergessen und uns so wohl, als zuvor öfters geschehen, mit unnötigem Gesäufe angefüllet. Nachdem nun bei der Tafel allerlei kurzweilige Gespräche vorgelaufen,[514] studierte unterdessen der Schloßverwalter auf die Oration, welche er heute nachts vor dem Bett der Amalia, im Namen der ganzen adeligen Gesellschaft, insonderheit aber wegen Herrn Friderichs ablegen sollte.

Amalia wußte nichts darum, daß ich und ihr geliebter Friderich ehedessen allhier auf dem Schlosse zu Abstorff hinter ihre Kundschaft geraten, darum fing ich an, wie ich von einem künstlichen Altar gehöret hätte, so hier in der Schloßkapellen sollte anzutreffen sein. »Er ist«, sprach ich gegen Herren Wilhelmen, »in dem ganzen Land weit und breit berufen, und weil ich ein großer Liebhaber solcher ungemeinen Schildereien bin, muß ich das Kunststück noch vor der Abendruhe zu sehen bekommen.« Die anderen Gesellschafter, welche wohl wußten, wo mein Begehren hinzielete, verlangten von dem Besitzer ein gleichmäßiges, und also führte er uns mit etlichen Fackeln in sein Schloßkirchlein, in welchem ein andächtiger Einsiedel, der nächst dem Schlößlein in einer Steinklippe seine Wohnung hatte und nach seiner Gewohnheit alle Abend in dieser Kapelle sein andächtiges Gebet verrichtete. »Dieser Mensch«, sprach Wilhelm, »betet mehr als wir alle miteinander. Seine Einfalt hat ihm von der Wiege an zur sonderlichen Glückseligkeit gedient, weil er dadurch zur wahren Demut angeleitet worden, von welcher die Gelehrten nunmehr ganz oder doch aufs wenigste weit entfernet sind. Er hat noch meinem seligen Vater für einen Schreiber gedient und für all seinen Lohn die einzige Bitte getan, daß er nach meines seligen Vaters Tod besagte Steinklippe zu seiner Wohnung und dieses Kirchlein zu seiner Andacht gebrauchen möchte, welches ich ihm vermög meines Vaters Testament alle Nacht offenstehen lasse. Der Segen, welchen ich durch mein Almosen, so ich ihm reichen lasse, in meiner Haushaltung spüre, ist allerdings groß und merklich. So hütet er mir auch beinebenst die umliegende Weinberge und schreibet allerhand Sachen, dadurch ich meine Andacht ermuntere. Mein Pfarrherr, welchen ich in dem Dorfe habe, ist nicht halb so andächtig als er, darum ist er ihm wegen seines frommen Lebens, und daß die Leute mehr auf den Einsiedler als auf ihn halten, sehr aufsätzig und heißet ihn[515] auf offener Kanzel einen Faulenzer, der seiner Profession nicht nachzugehen trauete, sondern sich wie ein dummes Vieh in dem Berg aufhielte. Aber dieser Auflagen geschehen ihm nur deswegen von dem Pfarrer, weil er ihn an seinem exemplarischen Leben weit übertrifft.

Er hat mich oft vermahnet, ich sollte diesen Müßiggänger abschaffen, hat mir auch deswegen vom Bischof einen Befelch gebracht, aber ich habe in meinem Gegenbericht in die bischöfliche Canzeley geschrieben, daß, wenn sie einen Pfaffen im ganzen Bistum hätten, der mich durch sein frommes Leben mehr als dieser fromme Schreiber erbauen könnte, sollten sie ihn herausschicken, alsdann wollte ich nicht allein ihn, sondern den Pfarrer darzu, der es tausendfältig mehr verdienet hätte, davon- und zum Dorfe hinausjagen.«

Als er solches von dem gegenwärtigen Menschen redete, machte sich dieser mit einem andächtigen Reverenz aus dem Kirchlein, allwo er allgemach zwei Stunden gebetet und also durch unsere Ankunft aus seiner damaligen Andacht ist verstöret worden. Da fing ich an seiner Person an, meinen ehemaligen Zustand zu betrachten. Denn er zog in einem geflickten Rock daher, gleichwie ich einen anhatte, darum gab ich ihm eine Handvoll Groschen, sich damit Bücher, Licht und dergleichen nötiges Hausgeräte zu schaffen, welches er ohnedem von Wilhelmen zur Notdurft genoß. Herr Wilhelm führte uns nach diesem allenthalben in der Kapelle herum, allwo er uns neben den vorigen Sachen noch etliche Grabschriften und dergleichen alte Steine gewiesen, auf welchen allerlei Figuren eingehauen waren. Ich und Philipp zeichneten die meisten von denselben in unsere Schreibtafeln, weil ich sonsten zu einen seichten Kopf hatte, ihren Inhalt in einer so kurzen Zeit zu fassen. Und solchergestalten führte er uns allenthalben so lange in dem Kirchlein herum, bis er uns endlich zu dem Altar brachte, welches das eigentliche Conterfey der gegenwärtig und in Mannskleider versteckten Jungfrauen Amalia war.

Sie kannte das Bildnis im Augenblick, hatte aber weder Ursach noch Herze zu fragen, wie es anher gekommen, ob es ihr schon aus ihrem Wohnzimmer zu Ocheim von dem berufenen[516] Barthel auf der Heide ist gestohlen und entfremdet worden. Wilhelm fragte einen um den andern, wie uns das Bild gefiele, und es war keiner, der dessen Zierlichkeit nicht auf das höchste erhoben, absonderlich aber ist es von dem Friderichen gepriesen worden, und mußte die Amalia selbsten eine solche Copey loben, dessen Original sie im Wesen selbst war.

»O schönes Bildnis,« sprach Herr Friderich, »sooft ich meine Augen zu dir erhebe, fället meine Hoffnung zu Grunde. In deiner Erblickung erfreuet sich zwar mein Herz, aber es weinen doch auch zugleich meine Augen wegen einer gewissen Ursache, die nur einer unter uns auflösen kann.« Wir taten alle, als wüßten wir nicht, was Herr Friderich redete, dannenhero mußten wir uns über der plötzlichen Entfärbung der Amalia recht kurzweilig verwundern, welche den Schalk so trefflich zu bergen wußte.

Nach diesem legte man uns in abgeteilte Kammern, und wurde der Amalia samt ihrem Diener ein besonderes Zimmer eingegeben, auf daß unser Vorhaben desto füglicher möchte vollzogen werden. Herr Friderich und Wilhelm spieleten indessen in der Karte, weil sie præcise um zwölf Uhr in der Nacht mit dem Schloßverwalter zur Amalia ins Zimmer eintreten und ihre Proposition, welche in einem Heiratsvortrag bestund, wollten ablegen lassen. Ich aber und Philipp lasen diejenigen Grabschriften hindurch, die wir zuvor in der Schloßkapelle abgeschrieben hatten, damit wir unsere Exemplarien miteinander communicieren und etwan dasjenige verbessern möchten, was wir aus Unvorsichtigkeit in der Nacht nicht wohl aufgezeichnet hatten. Hiermit las ich die erste, die war eines Hofmannes und hieß also:

›Leser, stehe still! Hier liegt ein Fuchs mit einem glatten Balg und ohne Schwanz, ich sage: ein falscher Hofmann. Er ist so ein großer Abstemius von der menschlichen Einfalt gewesen, daß er sich vielmehr zu der unvernünftigen Tier Arglistigkeit vergesellschaftet hat. Darum heiße ich ihn einen Fuchs, willst du ihn aber einen Esel heißen, so stehet es dir frei, denn er trug auf beiden Seiten. Die Esel finden sich auf der Mühl ein, dieser bei Hofe, allwo die Zungen der[517] Hofbedienten ein stetes und unruhiges Geklapper machen. Er bauete sich als ein arglistiger Fuchs viel Löcher in die Erden, aber desjenigen, darein er dermaleins nach dem Leben sollte geworfen werden, vergaß er dermaßen, daß ich zweifle, ob man ihn hier unter diesem Steine antreffen würde. Indem er den Fuchsbalg angezogen, zog er zugleich die menschliche Bescheidenheit aus, und hat also sein Lob mit einer ewig währenden Schande verwechselet. Er war als ein guter Fuchs jederzeit der näheste an seines Fürsten Pelz, und sein Balg war so groß, daß man leichtlich zwölf dergleichen Röcke könnte ausgefüttert haben. Seine Wissenschaft anbelangend, so mußten auch diese noch bei ihm in die Schule gehen, die sonsten die größten Schmeichler waren.

In der nassen Facultät war er dreifacher Magister, denn es gingen wenig Tage durch das Jahr, an welchen man ihn nicht dreimal rauschig gesehen hat. Solchergestalten mästete er mit Fressen, Saufen und Schlafen den Leib, aber die Seele trocknete er wie einen Zaunstecken aus. Er hielt viel auf die Demut, aber nur anderer Leute, und lobte nichts mehrers als die Höflichkeit, aber nur diese, die ihm von andern Hofleuten erwiesen worden. Und eben also liebte er auch die Freigebigkeit derjenigen, so sich bei ihm mit Finanzen zugeschmeichelt haben. Er hat gewußt, daß der Mensch täglich etwas tun müsse, darum stiftete er auch alle Tage ein neues und sonderliches Schelmenstück. Er war niemand günstig als sich selbst, und war so ein großer Liebhaber des Friedens, daß er sich die Zeit seines Lebens mit niemanden geschlagen hat. Er war ein unkluger Baumeister, denn er bauete all sein Datum auf einen sandigen Grund, dessen der ganze Hof voll liegt. Er gab seinem Nächsten die Hand, nicht als ein Zeichen seiner Aufrichtigkeit, sondern daß er ihm solche gar aus dem Leibe samt dem Arm herausreißen möchte. Aber die Gunst, die er die Zeit seines Lebens häufig genossen, konnte ihm doch im Tode nicht so viel geben, daß er noch ein einziges Stündlein leben möchte, seine Sünden zu bereuen, also hat ihm der Tod den Fuchsbalg samt seiner Haut über die Ohren abgerissen, und er ist von dem höllischen Löwen[518] als ein arglistiger Fuchs in tausend Stücklein zerfleischet zur Höllen geführet worden. Leser, wenn du dich in gleichem Zustand befindest, ziehe die Haut aus, ehe dir auf eine gleiche Weise mitgefahren wird.‹

Die andere war auf einen Geizhals und hieß also: ›Hier liegt ein Geizhals. Frage nicht nach seinem Namen, sondern begnüge dich, daß ich das Laster beschreibe. Dieser hat mehr verdienet, von Menschen mit Steinen zu Tode geworfen als nach seinem Tode mit einem Leichenstein bedecket zu werden, weil er das mit Recht und Unrecht zusammengeraffte Geld unaufhörlich an den Probierstein strich und sich über der Armen Schweiß erfreuete. Er kann mit Recht ein Wolf wegen seiner räuberischen Begierde genennet werden. Die Geldsucht ist die Circe gewesen, so ihn in ein wildes Tier verwandelt hat. Die unbarmherzigen Raben sind noch barmherziger und fallen nur das tote Aas an, aber die Geizigen schinden auch von den Lebendigen.

Er hatte gutes Glück bei seinem Leben und wäre recht glückselig gestorben, wenn er nicht das Geld mehr als Gott geliebet hätte. Sein Wahlspruch war: plus ultra, immer mehr. Er war gleich arm, da er alles, als da er nichts hatte. Obgleich alles sein gewisses Maß hat, war doch die Begierde dieses Geizigen unmeßlich. Zu der Einnahme und Einmahnung war er allzu fertig, aber zu der Ausgabe fast unbeweglich. Die Wucherer und Geizhälse gleichen den Weibern, welche mit empfindlicher Freude empfangen, aber mit unaussprechlichen Schmerzen wieder ablegen. Fragest du, worzu ihm das Geld nütze gewesen, so antworte ich: zum Zählen! Er hat niemand, auch sich selbst nichts Gutes getan und war in der Wahrheit nichts anders als ein reicher Bettler, der nur den Besitz seiner Güter, nicht aber den Gebrauch derselben hatte. In seinem Alter verjüngte sich sein Geiz, und je weniger Weges er übrig hatte zu reisen, je mehr Reisegeld suchte er. Da aber der nicht karge Tod bald die Rechnung schloß und die Güter so leichtlich teilete, die er mit großer Mühe vermehret hatte, hat sein Sterben diejenigen am meisten erfreuet, welche am meisten sich betrüben sollten, das ist: seine Erben. So schlecht ist der Geizhälse[519] Lohn! O verdammliches Laster! reise fort, Vorüberreisender, reise fort! fleuch die verfluchte Geldbegierde, die eine stete Heuchlerin des Gemütes ist, und nimm zugleich diese Lehre mit auf den Weg: daß ein Geiziger vor seinem Tod nichts Gutes tue.‹ Diese beide Grabschriften, die ohne allen Zweifel von guten Köpfen mußten ausgearbeitet sein, verkürzeten uns eine ziemliche Zeit, bis wir auch ein Trischak mit den beiden zu spielen angefangen haben.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 514-520.
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