VI. Capitul.
Philipp glossiert über die Action. Zwei Strauchdiebe bekommen auf dem Schloß zu Ocheim eine gesalzene Suppe.

[582] Es machte sich ein jeder über diese drei Scenen, so kurz sie waren, dennoch seine eigene Auslegung. »Ihr Schelmen«, sprach Philipp zu uns, »habt die Sach klug genug ausgesonnen, nun höret, was ich von dieser Action halte.

Erstlich habt ihr durch die erste Scen zu verstehen geben, daß ein Verliebter zuweilen nicht recht bei Sinnen noch sein eigen sei, dahero er sogar auch denjenigen nicht bescheiden kann, der ihn um den rechten Weg fraget. Die andere Scen hat mich gelehret, daß man den Præcedenzstreit und die Hartnäckigkeit im Kopfe meiden soll, da man am Schneider und Weber genugsam spüren können, daß jeder Narr seine eigene Mücken hartnäckicht defendieret. Aus der dritten[582] Scen lernet man, daß den einfältigen Mägden nichts Heimliches zu vertrauen, weil sie solches, indem sie es am besten zu verschweigen meinen, am allermeisten eröffnen und ihre eigene Schande nicht decken können. Diese drei Hauptstück habe ich aus eurer Comœdie. Obs andere auch gefasset oder gemerket haben, wo ihr ausgewollet, gehet mich nicht an. Ihr habt die Wände mit Fleiß eingeworfen. Sonsten helfe nichts davor, die Kerl müßten nolentes volentes mit dem übrigen auch heraus. Aber vor diesmal genug, ein andersmal werdet ihrs länger machen.«

Andere hatten hiervon andere Gedanken, nachdem einer oder der andere von dergleichen Sachen zu judicieren gewohnet und geschickt war. Etliche meinten gar, sie wären dadurch geschimpft und aufgezogen, wie es gemeiniglich unter einer Zusammenkunft herzugehen pfleget, da immer einer will klüger als der andere sein. Aber allem Grund nach so hat der ehrliche Philipp das Beste daraus geklaubet, weil diese drei Scenen nicht zum Schimpf oder einem Affront der Zuschauer, denn darzu hatten wir keine Ursach, sondern zur Lehre aufgesetzet worden, die man durch eine kleine Kurzweil den Zuhörern beizubringen gesucht hat. Sonsten hätten wir leichtlich Materia finden wollen, auf dem Schlosse zu Ichtelhausen eine große Opera auszuarbeiten, weil es uns am Vornehmsten, nämlich an der Zeit, keinesweges gemangelt hat. Ja, es wäre um ein geringes zu tun gewesen, so hätten wir den ehrlichen Adrian Bleifuß mit seinem »Helft mir! Helft mir!« in die Action gebracht, welches er sich auf keinerlei Weis, so gelehrt er auch sein wollte, zu einer Injuria konnte ausgerechnet oder zugezogen haben.

In einer solchen Gestalt verlief sich das Beilager zu Ocheim, und Herr Dietrich erzählte uns, wie mit allernächstem etliches Frauenzimmer, über dem Gebirg wohnend, sich durch ihn in ebendieser Gestalt, wie er zu uns gekommen, überreden und durch seine Wahrsagung dahin persuadieren lassen, allerehestens, und zwar auf den Dritten des folgenden Monats, nacher Grundstett zu dem Wetterbilde zu reisen und daselbst ihre Fragen abzulegen. Durch dieses bekamen wir neue Gelegenheit, ihn wegen der Pferde zu fragen, welche[583] er allerehestens nacher Oberstein zu schicken versprach. »Für Haber und Heu«, sagte er, »begehre ich nichts, jedoch will ich, wie ihr nicht verargen könnet, für meine Mühe, euch klug zu machen, einen absonderlichen Recompens verhoffen. Aber dieses bitte ich, saget niemandem von der bewußten Sache wegen des Frauenzimmers. Es sind etliche darunter, welche, allem Ansehen nach, um ihre Liebste fragen werden. Darum so lasset es gut sein. Was sie mich fragen, das will ich merken. Denn das Rohr, so in die Mauer gemachet ist, geht durch einen Kanal bis hinter den Altar, und da höre ich alle Wort so deutlich, als ihr mich hier reden höret. Alsdann setzet euch aufs neue darüber, machet eine Comödie, gleichwie ihr heute getan. Ich will sie auf meinem Schlosse gastieren. Da werdet ihr sehen, was für einen Spaß wir genießen wollen.« Damit klopfte er mich und den Friderich, zu welchen er diese Worte geredet, auf die Achsel. Er sagte beinebens, daß er die Frau Philippin, welche auch darum wüßte, zu sich hinter das Bild wollte stehen lassen, damit sie daselbst gleich ihm alle Fragen verstehen und sehen könnte, daß alle Sachen aufs beste und lächerlichste zugehen.

Wir fragten ihn weiter, wer der kleine Kirchner sei und warum es unter den Ziegeln, auf welchen wir mit der Nase gelegen, so abscheulich gestunken; auch durch was für ein Werk das Bild die Augen so sehr hin und wider gedrehet und die Zunge ausgeschossen habe. »Ihr Herren,« sprach er, »ich stund dahinter. Die Augen sind meine Augen, und die Zunge ist meine Zunge gewesen. Unter die Ziegel legten wir ungearbeitete Bockhäute, und der kleine Mann ist mein Page gewesen, welchen ich zu diesem Werk ausgekleidet habe. Da ihr auf der Erde laget, drehete ich mich durch eine Abseitspforte aus der Kapell, zog die Uhr auf und eilete samt dem Page davon. Auf der Reise kam ich zur Frau Philippin, und dieser erzählete ich die ganze Geschicht, wie es zu Grundstett zugegangen, sonst hättet ihr mich gar für einen Dieb halten können, der euch, unter dem Schein eines Possens, die Pferde mausen wollen. So aber habe ich euch, unter dem Schein des Diebstahls, eine heilsame Lehre beigebracht,[584] daß man durch die Leichtgläubigkeit nicht allein in geistliches, sondern auch in weltliches Unglück falle. Damit nehmet fürlieb!«

Diese und dergleichen Reden trieben wir gar vergnüglich durch das ganze Abendessen. Mir aber war bei allen diesen angestellten Eitelkeiten, ob es wohl eine lächerliche Invention wäre, das Frauenzimmer bei dem Wetterbild wacker auszunehmen, dennoch nicht gar wohl, sondern wünschte mich vielmehr bei mir selbsten samt meiner Sophia, die dazumal große Zahnschmerzen fühlete, wieder heim in mein Schlößlein, daselbsten meinen neuen Einsiedler-Orden wieder anzufangen. Dannenhero fügte ich mich zu dem Pfarrer dieses Dorfes, der zwar nicht gar gelehrt, aber doch ein frommer und geistreicher Mann war, mit ihm bald von diesem, bald von jenem redend, und wie gar eine große Blindheit es sei, seine Tage in stetem Wohlleben zuzubringen, weil schwerlich zwei Himmelreich aufeinanderfolgen könnten.

Indem ich wegen des gestrigen Schwärmens noch aller schlaftrunken war, legte ich mich samt Philippen, ehe noch die Abendmahlzeit vollendet war, zu Bette, weil er gleichwie ich gestern zu weit in die gläserne Schriften gesehen hatte. Unsere Weiber aber schliefen in einer absonderlichen Kammer beisammen, weil seine Frau an dem Tanz ein Bein übersprungen und meine Sophia verstandenermaßen die Zahnschmerzen, welche unter allen Krankheiten fast die übelste ist, heftig fühlete.

Herr Friderich machte es nach unserem Abschied auch nicht lange, welches die Alte von Ocheim als seine Schwiegermutter gar gerne sah. Denn dadurch konnte sie ein ziemliches als an Brot, Wein, Bier und Lichter ersparen. So wurden auch durch unsern frühzeitigen Feierabend viel Gläser und Krüge ganz behalten, welche sonsten, wie bei dergleichen Gelegenheiten zu geschehen pfleget, trefflich hätten herhalten müssen. Der Advocat und etliche andere blieben etwas länger beisammen, teils im Brett, teils in der Karte spielend, unter welcher Action die Studenten allerlei Sonaten strichen, die uns trefflich eingeschläfert haben.[585]

Endlich erwachte ich plötzlich aus dem Schlaf und wußte nicht warum. Kurz darauf wurf jemand mit einem Stein wider das Kammerfenster, und allem Ansehen nach bin ich eben zuvor durch einen dergleichen Wurf ermuntert worden. Ich stund auf, zu sehen, was es bedeutete, und als ich das Fenster eröffnet, rufte ein Kerl: »Monsieur, wohnt nicht hier Herr Barthel auf der Heide?« Durch diese Frage dachte ich was Absonderliches zu erfischen, wurde dahero begierig zu hören, was es bedeuten sollte, und sprach: »Ja, er wohnt hier und liegt in dieser Kammer.« – »Ach, Monsieur!« sagte er wieder, »Er lasse mich ein, ich und mein Kamerad wissen sonst nicht, wo aus. Alsdann wollen wir mit mehrerem berichten, wie und wo wir den Advocaten angepacket und ihn weidlich gezauset haben.«

Diese Rede des Kerls war mir höchst angenehm, denn, wie ich leichtlich schließen konnte, so waren ebendieses diejenigen Strauchdiebe, welche den Advocaten Bleifuß, so sich dermalen hier zu Ocheim aufhielt, auf der Straßen angegriffen, dadurch er bewogen worden »Helft mir! Helft mir!« zu rufen. Oh, gedachte ich, ihr Narren! Ihr seid weit irrgegangen und kommt eben an den rechten Ort. Damit machte ich die Sache in aller geheim geschwind auf dem Schloß kundig, und wurden die zwei Bursche in der Finster zum Tor hereingelassen und in ein Zimmer geführet, aus welchem sie nicht leichtlich entspringen können. Es ist nicht zu beschreiben, wie der Advocat gepfnauset und für Zorn geschaumet, als er erfahren, was es mit diesen Leuten für eine Beschaffenheit hatte. Er suchte sich aus einem Holzstoß schon die allergrößten Prügel hervor, diese Schelmen abzuklopfen, wie sie es denn mehr als wohl verdienet hatten. Damit kleideten sich diejenigen an, welchen es eine sonderliche Herzensfreude war, wenn sie einen andern abklopfen und ihm das Wammes über den Buckel messen konnten.

Wilhelm, welchem damit ziemlich gedienet war und der auch dem Barthel auf der Heide trefflich nachreden konnte, machte sich im Dunkelen ins Zimmer und sprach zu ihnen: »Seid ihr diejenigen, so den Advocaten abgeprügelt haben?« – »Ja, Herr,« sprach der erste, »wir sinds und haben getan,[586] was Ihr uns geheißen.« Indem eröffnete er die Tür und sprach: »Gebt doch ein Licht herein!« Aber er tat es nur darum, auf daß unter diesem Rufen wir alle in Strümpfen heimlich hineinschleichen konnten. Darauf redete er weiter und sprach: »Wie hat sich der Schelm angestellet, als ihr ihn attrappieret, und wo habt ihr ihn angegriffen?« – »In ebendiesem Wald«, sagte einer unter ihnen, »haben wir ihm aufgepaßt, dahin uns Euer Gestreng beschieden haben; er kam auch endlich, und weil er zu Pferd war, hätten wir ihm, wo es die Nacht nicht verhindert hätte, das Ausreißen nicht verwehren können. Derohalben griffen wir ihn an, rissen ihn vom Pferd und hieben ihm eine Flenke da, die andere dort über den Buckel.« (Der Advocat, so auch mit in der Stube, wollte immer für Zorn zerspringen.) »Ist er denn«, fragte Wilhelm weiter, »so verzagt gewesen, daß er sich nicht gewehret hat?« – »Ha!« sagte der andere, »was wollte sich der Flegel gewehret haben, er bat uns immer um des Himmels willen, ihm das Leben zu schenken.«

Der Advocat konnte sich auf dieses Wort des Referentens nit länger enthalten, sondern rufte: »Es ist erlogen, ihr Hundsnasen! harret, ich will euch ...!« Mit diesem fiel ich ihm mit der Hand übers Maul, aber den fremden Burschen fing anders an zu träumen, weil ihnen die Sprach des Advocatens gar zu bekannt war. »Herr Barthel,« sprachen sie, »wer hat geredet?« – »Das werdet ihr bald sehen!« antwortete Herr Wilhelm und ließ darauf zwei große Lichter bringen und etliche Laquayen aufstehen, welche sich mit guten prügeln und Peitschen versehen sollten.

Diese Anordnung und Zubereitung verstörete die beiden Gesellen ganz aus ihrem Concept, und als sie ihres Irrtums gewahr worden, stelleten sie sich mit Gewalt auf den Sprung. Sie waren so verzweifelt keck, daß sie ihre Klingen, sich zur Wehre stellend, entblößten. Aber Philipp und andere, absonderlich aber der Advocat, schmissen ihnen solche nicht allein mit langen Prügeln bald aus den Fäusten, sondern sie noch darzu zur Erden. »Still!« sprach Herr Wilhelm, »lege keiner Hand an! – Ihr Kerl, wer hat euch gedinget, diesen Advocaten zu prügeln?« Sie antworteten nichts. Er sprach[587] weiter: »Ich frage euch noch einmal: Wer hat euch darzu bestellet?« Sie schwiegen aber einmal. »Ha, ha!« sagte er, »wollet ihr nichts sagen, so wollen wir prügeln!« Damit fiel einer mit den Händen, der andere mit einem Stecken, der dritte mit Pantoffeln zu und zerzauseten die beiden Kerl dergestalten, daß sie voll Schweiß und Blut in der Stube herumgaukelten und sich für großer Dummheit des Hauptes nicht in die Höhe heben konnten. Das Frauenzimmer, welches durch den Tumult erwecket, grausam erschrocken mutmaßend, als wären unsere Leute einander in die Haar geraten, kam halb nackicht und bloß zugelaufen. Herr Friderich selbst samt seiner Amalia erschien mit bloßem Raufdegen, als er aber der Sache Beschaffenheit verstanden, lachte er darzu und ging wieder zurück. Das mitleidige Weibsvolk aber brachte Balsam und Schlagwasser, den Geprügelten zu Hülfe zu kommen, und es war mir bei dieser Sache nicht gar wohl, weil es nicht viel anders aussah, als hätte der Advocat dem einen den Hirnschädel eingeschlagen.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 582-588.
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