XVIII. Capitul.
Wolffgangs endliche Lebensresolution. Er kommt unverhofft zu der davongelaufenen Beschließerin.

[754] Wer war froher als ich? Das Geld war kaum so bald eingesacket, als ichs mit Genehmhaltung des Abts, dahin ich wegen des Studentens reiten wollte, schon resolviert, dem Armut auszuteilen. Sprengte also quer Feld gegen das Kloster, und mein Knecht log allen Leuten wegen des Gespenstes das Maul so voll, daß er hätte erschwarzen mögen. In dem Kloster war ich gar willkomm und angenehm, weil ich selten ohne Geschenk hineinkam und den Geistlichen zuweilen auf dem Land im Grünen einen Schmaus ausrichtete. Aber sie sagten mir stracks anfangs, daß an dem Studenten, so schwer er auch wägte, dennoch kein Quintlein Pfaffenfleisch wäre. Er hätte all seine Zeit vor seiner Zelle mit Meisenfangen zugebracht, und nachtszeit hätte er sich belieben lassen, auf die Obstbäume zu steigen und die Kirschen herunterzufressen. So viel sie auch abgenommen, so müßte er ehedessen unter lutherischen Leuten gewesen sein, dieweil er stets mit den Brüdern wegen der guten Werke disputiert und ganz nichts auf das Fasten gehalten. Wenn er mit einem oder dem andern wäre aufs Land geschicket worden, daselbsten[754] einen Kranken zu trösten, so pflegte er die Mägde von einem Winkel in den andern herumzutreiben, und wenn er von seinem Obern wäre gestraft worden, war er so keck, ihm Schläge anzubieten, wie er sich denn öfter als zwanzigmal in dem Kloster mit dem Conventdiener gerauft, weil er ihm nicht so voll wie den andern eingeschenket hat. Er hätte auch einmal die Glocken, mit welcher man die Brüder zur Metten aufzuwecken pfleget, mit Heu ausgestoppet und die Pfeifen in der Orgel mit Papier verpappt. In der Kirche selbsten hätte er sich hintenher ein Katzenschwänzlein angeheftet, darüber er die Leute aus der Andacht verstöret und sie in ein leichtfertiges Gelächter bewegt. Alle solche frevle Stücklein hat man an ihm billig abstrafen müssen. Er aber wollte sich dazu nicht verstehen, noch sich dem Gehorsam völlig unterwerfen, wäre also, wie alle liederliche Vögel zu tun pflegen, davongeloffen, und das Convent wüßte keine Ursach, ihm nachzusetzen, zumalen es ohnedem noch ein Probierjahr und seine Gottlosigkeit jedermann zur Genüge bekannt sei.

Diese Antwort der Pfaffen gefiel mir besser, als wenn sie mir, wie sie sonst pflegten, eine Correction wegen meines Lebens gaben, und also hatte ich keinen Scheu, weil die Sache so gar nichts importierte, ihnen zu bedeuten, daß ich den Studenten wüßte, wo er sich dermalen aufhielte. Darum baten sie mich nur um das heilige Kleid; daraus ich wohl abnehmen konnte, daß das heilige Kleid vor sich selbst nichts nützte, wo man nicht vielmehr ein frommes Leben zu führen sich äußerst bemühte. Der Wolf frißt auch die gezeichneten Schafe; also bringt weder Gürtel, Kleid noch Scapulier, sondern ein frommes und christliches Leben zum Himmel.

Die achttausend Ducaten samt den andern Münzen anbelangend, wollte sie der Abt vor sich selbst lieber in dem Kloster als anderstwo angewendet wissen, welches ich mir vorhin leicht hätte einbilden können. Er sagte, daß er itzo eine neue Kapell bauete. Weil ich aber wohl wußte, woher er zu solcher die Intraden bekommen, entschuldigte ich mich und setzte anbei, daß ich solches Geld nach Ausspruch[755] des Studentens dem Armut und nicht einem solchen Kloster, das ohnedem überflüssig reich wäre, vermachen sollte. Aber der Abt wendete wieder ein, daß es der Student dem Kloster vielleicht nur zum Nachteil, also aus bloßem Hirn erfunden und daß das Kloster nicht so reich sei, wie man insgemein davon ausgäbe. In summa: der Abt wußte sich so arm zu machen, daß nichts darüber, und weil er ein guter Orator war, hatte er gute Gelegenheit, mich durch alle Figuren auf seine Meinung zu ziehen.

Ich sagte endlich, daß ich mich darüber besinnen und die Sache bei mir selbsten recht gründlich überlegen wollte, schied also aus dem Kloster, nachdem mich fast jeder Geistlicher mit einem hübschen Bildlein von der allerschönsten Klosterfrauen Arbeit beschenkt hatte. Mit diesem kam ich nach Haus und brachte dem Studenten die Post, welche ich aus Spaß so grausam machte, darob er käsweiß geworden. Endlich sagte ich ihm die Wahrheit und hieß ihn die Kutte ausziehen, welche er willig und gern vom Halse zog, weil er in derselben allgemach voll Läuse geworden. »Sehet,« sagte ich, »wie angelegen ich mir sein lassen, den Abten wegen Eurer zu besänftigen.« Und als ich ihm vortrug, was sie wegen seiner vor Klagen angeführet, auch daß der Abt selbsten in dem Argwohn stünde, als hätte er dem Kloster zum Nachteil das Geld an ein anders Ort, aus bloßem Widerwillen gegen demselben, auszuspenden vorgebracht, machte er ein großes Kreuz vor sich und sprach, daß des Abten Gewohnheit sei, alle Sachen zum übelsten aufzunehmen, und daß er oftermalen von Herzen zörne, wenn die Leute an ein anders Ort häufiger als in sein Kloster opferten. »Sie werfen mir vor,« sagte er, »daß ich die Kirschen von den Bäumen abgebrochen; aber davon schweigen sie still, daß etliche unter ihnen in ebensolcher Arbeit von dem Baume und also die Ärme abgefallen haben.« Über dieser Erzählung hieß ich ihn stillschweigen, vermahnend, daß man von der Geistlichkeit, wer und wo dieselbe auch sei, nichts Böses reden, noch viel weniger ihre Fehler unter das gemeine Volk bringen solle.

Damit fing ich vor mich selbst an zu scrupelieren, wie solche Hauptsumma am besten angelegt würde. ›Stiftest du einen[756] Spital,‹ sagte ich zu mir selber, ›so ist es mit den alten und erlebten Leuten sehr gefährlich. Denn wie bald geraten die Alten in Zank, darüber könnte einer den andern leichtlich mit seiner Krucken totschlagen. Kommt Krieg ins Land, so werden dergleichen Häuser am ersten zerstöret und Schanzen daraus gemacht. Die Güter werden hernachmals unter den Vornehmen im Volk verteilet, und zwackt da einer was und dort wieder einer was von dem Almosen hinweg, welches ihnen aber endlich bekommet wie dem Hund das Grasfressen. Denn indem solche Leute durch dergleichen Mittel reich und groß wollen werden, geraten sie meistenteils an Bettelstab, und geschieht es gleich nicht zeitlich, so müssens die Nachkommen oft in einer unverhofften Sache genugsam erfahren, wie übel ihre Pfenninge gesammlet worden.‹

Endlich wurde ich bei mir eins, auf diesem Schlosse ein ewiges Almosen vor die arme Leute zu stiften. Ich legte nämlich das Geld auf Viehzucht und etliche Weinberge, davor wurf mirs alle Jahr Interesse, weiß nicht so viel, ab, daß ich dreißig Rinder schlachten konnte. Dieselben schlug ich alle auf einen Tag, gab davon jedem Bettler, so viel derer auch im Lande zusammenkommen möchten, ein Pfund Fleisch, zwei Pfund Brot und eine halbe Kanne Wein. Dieses Spend teilete ich jährlich an meines Vaters Namenstag aus, also wunderte sich die ganze Welt über meine große Freigebigkeit. Und als der Student verstanden, wasmaßen ich entschlossen wäre, noch vor hereinbrechendem Winter in dem Wald, da wir uns ehedessen miteinander gebadet hatten, eine Klausen aufzuschlagen und also wieder einen Eremiten abzugeben, bat er mich um eine Recommendation an den Sempronio, mit welchem er entschlossen war, in den Krieg zu gehen. Ich widerredete ihm solches Vorhaben und tat ihm einen Vorschlag, auf mein altes Schloß zu ziehen, allwo ich ihn zum Verwalter desselben Orts machen und in allem nach seinem Willen wollte handeln lassen, doch also, daß er mich, gleich dem alten Soldaten, wöchentlich mit gewisser Speis und Trank versähe. Durch eine solche Condition war ihm nicht allein wohl geholfen, sondern auch trefflich[757] gedienet. Also machte ich ihn zu einem halben Freiherrn, und er hat sich auch überaus häuslich angelassen.

Nach dem ritt ich nach St. Andre, daselbsten all dasjenige einzukaufen, was etwan zu meiner Einsiedlerei möchte vonnöten sein. Als ich dort in die Stadt und vor die Corps de guarde (sonsten Gordegardi) kam, sah ich den ehrlichen Andreas Nobiscum auf dem Esel sitzen. Er war voller Lumpen, und sein Kleid war von so vielerlei Farben zusammengenähet, daß ich nicht eigentlich wissen konnte, unter was vor eine Compagnie er gehörte. »Du ehrlicher Vogel,« rufte ich zu ihm hinauf, »kommen wir da aufs neue zusamm? Wer hat dich geheißen, öffentliche Schandlügen wider mich und mein Schloß zu Steinbruch aufzusetzen? Wart, ich will hingehen und deinem Officier klagen, was ich wider dich weiß!«

Wie ich weiterging, so kam ich bei dem Rathause zu einem Gefängnis, allwo mich eine Weibsperson um eine Beisteuer und Almosen bat. Ich sah mich gegen ihr um und hatte einen billigen Abscheu vor ihrer häßlichen Gestalt wie auch zum Teil vor dem garstigen Loche, darinnen sie gefangen saß. »O liebster Herr Wolffgang,« sagte sie, »erbarmet Euch meiner!« Wie ich sie nun etwas mehrers betrachtete und mich verwunderte, wie sie mich kennen mußte, so war es die ehrbare Beschließerin, welche mit dem Andreas Nobiscum so fein hausgehalten hatte. »Ha, ha!« sprach ich, »fängt man die Vögel so in der Welt? Wie bist du daher gekommen, und was ist dein Verbrechen?« Sie erzählete mir hierauf, daß noch eine bei ihr innen säße, mit welcher sie zwei Kirchen bestohlen und vier Straßenraub samt einem Mord begangen hätte, und also würde sie ihrem Mutmaßen nach bald abgetan werden. Ich entsatzte mich über dieser grausamen Erzählung, gab ihr einen Groschen und wunderte mich, daß alle Schelmenstücke zu seiner Zeit müßten gestrafet werden. Der gute Andreas erschrak so sehr über meiner Gegenwart, daß er im Gesicht ganz erblaßte, er wäre gern in eine andere Gasse und mir aus dem Wege geritten, aber sein Pferd war hierzu viel zu ungeschickt. Ich unterließ aber, weil ich ihm schon einmal verziehen, ihn weiter anzuklagen, sondern kaufte meine Notwendigkeiten ein und machte mich wieder aus der Stadt.[758]

Ob nun zwar der Weg an sich selbst kurzweilig zu reisen und wegen der gangbaren Straße allezeit volkreich war, kam er mir doch ziemlich langweilig vor, in Erwägung, daß ich dazumal, von einsamen Gedanken gleichsam überschüttet, auf andere Sachen wenig achthaben konnte. Das Verlangen, bald zu Hause zu sein, spornte die Pferde trefflich an, und in diesem schnellen Ritt fiel der Page zweimal von seinem ungerischen Renner, um so viel desto leichter, je weniger er all sein Leben lang zu Pferd gesessen. Ich aber war mit meinem guten Schimmel jederzeit voraus, also daß sie mich dazumal alle beide in einem Walde verloren, indem sie sich zu weit an einem Scheidewege auf die linke Hand gewendet. Der Knecht, welcher das Reiten besser als der Page gewohnet, wollte durch eine schleunige Nachfolge seinen Fehler aufheben, und weil ihm der Page unmöglich folgen konnte, geschah es, daß sie alle beide aufs neue verirreten und nur die Meinung hatten, mich einzuholen. Also kam ich alleine nach Haus und wunderte den Knecht, welcher sonsten dieser Straße auch in der allerdunkelsten Nacht mächtig war. Indem kommt des Page Pferd ganz ledig in das Schloß gelaufen, darob ich keine geringe Furcht empfunden habe, denn die Straße war nicht allzu sicher. Weil aber die Unerfahrenheit im Reiten ins Mittel kam, konnte ich leichtlich mutmaßen, daß er, von dem Pferd gleichwie zuvor abgestürzet, auf der Straße wäre liegengeblieben, aber es ist allen beiden recht lächerlich gegangen.

Der Knecht kam bei anbrechendem Morgen vor das Tor, welcher mir nach seiner Ankunft erzählet, daß er die Nacht in dem Wald unter einer großen Eiche sein Lager in zusammengerafftem Laube genommen. »Aber mitten in der Nacht«, sagte er, »fiel ein natürlich Gespenst mit großem Geräusche den Baum herunter, welches mich nicht allein in eine unermeßliche Furcht, sondern sogar zur schnellen Flucht gebracht, also bin ich in dieser Angst endlich hiehergekommen. Wo aber der Page geblieben, ist mir noch zur Zeit unbekannt, weil er, mir nachzufolgen, viel zu schlecht beritten war.« Ich erzählte ihm hierauf, daß er ohne allen Zweifel müsse auf der Straße geblieben sein, indem sein Gaul mit bloßem Zaum ohne Sattel und Stegreif angekommen wäre[759] und weil der Knecht selbsten die eigentliche Gegend ihres Irrtums nicht wußte, war es vergebens, den Page an einem ungewissen Orte suchen zu lassen.

Indem kommt der Page zum Schlosse eingegangen und klagte über seine große Müdigkeit. Er erzählete umschweifig, wie er vom Pferd gefallen. »Denn,« sprach er, »als ich Feuer geben und durch den Pistolschuß dem Knecht einziges Zeichen geben wollen, wirft mich das Pferd aus dem Sattel, und ich hatte genug zu tun, daß ich nicht in einen Sumpf stürzte, an welchem ich dazumal ganz nahe hingeritten bin. Ich lag lang auf der Straße, ehe ich mich recht besinnen konnte. Bin also endlich wieder zu mir selbst gekommen; und wo mich heute morgen nicht ein Bauer auf den rechten Weg geleitet hätte, war ich ohn allen Zweifel noch weiter in dem Wald verirret. Nichts ist mir Wunderlichers auf dieser Irre begegnet, als da ich mich zur Versicherung auf einen Baum begab, weil ich mich vor dem wilden Vieh ziemlich geforchten habe. Als ich nun daroben einschlummerte, geschah es ohngefähr, daß ich den Stamm herunterpurzelte, und indem ich voll Schröckens erwachte, sah ich jemand, der sich an diesem Ort gelagert hatte, nach aller Möglichkeit davonfliehen, weiß aber nicht, ist es ein Mensch oder Gespenst gewesen; aber das ist gewiß, daß es sich, gleichsam als voll Furcht und Zittern, aus dem Staube gemacht.«

Diese Rede des Pagens machte den Knecht ganz schamrot; und ich dachte, mich an solcher Erzählung krank zu lachen, weil der Knecht ein erschröckliches Gespenst gesehen zu haben vorgab, da ihn doch dieser elende Jung in eine so unverhoffte Zagheit und von dar in eine plötzliche Flucht gejaget hatte. Also geht es noch manchem Eisenfresser. Sie geben ungescheuet aus, was sie vor Berge übersteigen wollen, und wenn eine faule Birn, vom Baum durch den Wind abgeblasen, neben sie zur Erde fället, so erschrecken sie, daß ihnen das Herz ineinander fähret. Und weil der Jung aus Oberösterreich und zugleich von guten Einfällen war, mußte er mir zur Vertreibung meiner häufigen Grillen erzählen, wie sein Vaterland beschaffen und was ihm sonsten darinnen begegnet sei. Welches er also anfing und vollendete:

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 754-760.
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