X. Capitul.
Gefährlicher Duell. Der Schreiber Andreas Nobiscum wird wunderlich gefangen.

[682] Wir redeten beinebens viel von dem neuen Hofleben unsers Philipps, und wie es ihm daselbst gedeihen würde, hielten es auch vor sein großes Glück, weil ihm der Fürst mit Gnaden sehr zugetan war. »Wer diese bei Hof hat,« sprach Dietrich, »der kann nicht verderben, und wer dem Fürsten im Schoß ruhet, diesen kann das Wachen seiner hinterlistigen Feinde nicht aufwecken. Philipp weiß wohl, wo der Fuchs zu beißen ist, er wird seiner nicht vergessen; aber wenn ich an seiner Stelle gewesen, wäre ich mein eigen geblieben. Die Freiheit ist doch allem Reichtum so weit als die Sonne den Sternen vorzuziehen. ›O aurea libertas, cuius januæ non sunt clausæ!‹ sagte jener Philosophus, als er einen eingesperrten Vogel, der nicht singen wollte, betrachtete. Denn in einem solchen Gefängnis, ich will sagen: zu Hof, gehet Lust, Freud und Mut hinweg und gleichsam in die Fessel. Ich habe keinen Magen, aufgewärmte Suppen zu fressen, noch Gesundheit[682] genug, mich einem andern zu Gefallen vollzusaufen. Das heißet: ad nutum principis stare, alles geschwinde tun und verrichten, was ein anderer haben will. Doch wollen wir ihn künftig besuchen und sehen, was er vor ein Lied zu Hofe singen gelernet hat.«

Auf solches erzählete uns Sempronio seinen Zustand, daß er wäre begehrt worden, eine Compagnie anzunehmen und Hauptmann zu werden, eröffnete beinebens, wie es ihm im vergangenen Bauernkrieg gegangen und wie Wunderliches ihm auf unterschiedlichen Parteien geglücket hätte. Solchergestalten merkten wir wohl, daß unsere gepflogene Gesellschaft bald dörfte getrennet werden, weil einer da-, der andere dorthin in Dienste berufen und zu ansehnlichen Verrichtungen gefodert worden. Denn Philipp war bei Hof ein vornehmer Minister, Christoph, als Gottfrids Bruder, wollte in Welschland reisen. Herr Dietrich wollte sich außer Landes auf ein bessers Gut setzen oder mit Christoph in Italien passieren, und Sempronio war willens, verstandenermaßen unter die Fahne zu gehen; mein Vater Alexander war nunmehr gestorben, und also stund die alte Bündnis und Nachbarschaft nur noch zwischen mir und meinem zukünftigen Gevatter, dem redlichen Gottfriden, daß es also schien, gleichwie wir die ersten in dieser Gesellschaft gewesen, also würden wir auch wieder die letzten sein. Nichtsdestoweniger mußte jeder seinem Fato, aber nicht wie die Stoici eines defendierten, nachfolgen, so ungern wir auch durch dasselbe unsere gute Gesellschaft zerstöreten.

Nach allen diesen Gesprächen und noch mehr mit untergelaufenen Discursen, die ich wegen Ungelegenheit des Gewitters und zum Teil wegen häufiger Verwechslung nicht wohl merken noch dieselbe allhier beitragen können, bekamen wir endlich außer einen Walde Herrn Gottfridens Schloß zu Gesichte, allwo ich noch selbigen Abend in Beisein vieler vom Adel und anderer vornehmen Stadt- und Landleute zu Gevatter gestanden und bei der Taufe einen Zeugen dieser christlichen Handlung abgegeben, dabei es hernachmals trefflich lustig und herrlich zugegangen. Wir trafen allda an den Herrn Carander, als Sempronii Schirr-Gevattern samt[683] dem Advocaten, von welchem schon öfters ist Meldung getan worden, weil er einen perfecten Schmarutzer abgab und sich nach seiner Art meisterlich zutun konnte. Er erzählte noch immer von seiner Victori wegen des Barthels auf der Heide, und wenn er einen oder den andern Punkt absolviert, so rufte er mich allezeit zum Bestätiger seiner Relation an. Gottfrid bedauerte nichts mehrers, als daß er den ehrlichen Philipp nicht bei dieser Fröhlichkeit haben konnte, weil er, wie sein Brief lautete, unmöglich von Hof abkommen konnte. Er wollte aber seine Schuldigkeit auf ein andersmal in acht nehmen und die alte brüderliche Freundschaft nach allem Vermögen beobachten. Indessen wünschte er ihm Glück zu seinem jungen Prinzen. »Siehest du,« sagte Gottfrid, »Philipp kann seine Höflichkeit nicht lassen und wird es zu Hof erst recht lernen, welcher eine Schul ist, darinnen einer den andern anzuspornen pfleget. Es scheidet alles von uns, und das Glück will nicht mehr leiden, daß wir, wie bis anher geschehen, mit so großer Vergnügung einander lieben sollen. Dennoch, wenn man betrachtet, daß die Entferntheit des Orts die Affection nicht mächtig genug sei aufzuheben, so bin ich sicher, daß dennoch einer gegen dem andern in unauslöschlichem Angedenken wird verbunden bleiben. Mein Bruder gehet mit nächstem in Italien. Ich aber und du bleiben im Lande, und gleichwie wir die ersten Freunde gewesen, also wollen wir auch die letzten sein.« Ein dergleiches Gespräche führten wir dazumal mit großer Annehmlichkeit, weil man sich bei einem Glas Wein, absonderlich in einer solchen Gelegenheit, ziemlich vertreulich herauszulassen gewohnet ist.

Nichts wunderte und ergetzte mich mehr, als daß ich den ehrlichen Jäckel allhier zu Unterbinningen, so hieß das Schloß, angetroffen, welcher, wie er sagte, von Gottfriden verschrieben worden, ihm bei dieser Festivität die Zimmer auszumalen und noch andere neue Inventiones hinzuzutun. Weil demnach sein Meister, bei dem er unweit von hier in einem Schlosse arbeitete, wegen großer Unpäßlichkeit nicht ausgehen, viel weniger einen solchen Weg hätte unter die Füße nehmen können, sei er hiehergeschickt worden, nach seinem[684] Vermögen dasjenige zu verrichten, was etwan am nötigsten wäre.

Hiemit erzählte er mir, wie es ihm seit seines Abscheidens aus meinem Schlößlein gegangen und daß sich sein Lehrmeister gedoppelt mehr auf den Dienst warten ließe, als ich sonsten wäre gewohnt gewesen. »Jedennoch muß ich«, sprach er, »bis dahin in Geduld stehen, denn ich bin nicht bei ihm, die Hoffart, sondern die Kunst zu lernen, deren er gewachsen genug ist. Vor diesem ist er auch sehr geliebet worden, nachdem ihm aber der Stolzteufel zu reiten angefangen, heißen ihn etliche aus Verachtung Meister Reibstein.« – »Ja,« sprach ich, »mein lieber Jäckel, das ist nichts Neues in der Welt, man findet dergleichen Leute einen ganzen Haufen. Aber ihre Einbildung ist eben das Mittel, vermittelst welchem sie ihren Aestim, welchen sie sonst wohl verdienten, bei ihrem Nächsten ganz auslöschen. Solche Gesellen sind gleich den Gassenärzten, die da auf ihrem Theatro mit hundert Briefen prangen. ›Sehet, ihr Herren,‹ sprechen sie, ›dieses Testimonium ist von Augsburg, dieses von Orasel, diese Attestation ist von Venedig!‹ Da wollen sie in allen Teilen der Welt berühmt und bekannt, geehret und gelobet sein. Solche werden billig Prahler genennet, weil sie ihren Ruhm nur so lang verhalten können, bis sie sehen, daß man nichts Lobwürdiges von ihnen redet. Alsdann fangen sie selbst an, sich herauszubrüsten und entweder mit Worten oder mit närrischen Mienen alle dasjenige augenscheinlich zu entdecken, was sie von sich selbst in ihrem Herzen halten.«

In diesem Gespräche führte uns Gottfrid in sein neues Zimmer, allwo der Jäckel mit gutem Fleiß ringsumher etliche feine Sinnenbilder gezeichnet und gemalen hatte. Eines unter diesen war, wie er sagte, auf die Geburt des Vincenzens – so hieß das getaufte Knäblein – gerichtet, in welchem nächst einer Kirche etliche Obstbäume voll Früchte stunden. Ober der Kirche waren folgende Buchstaben geschrieben, als: V, V, V, V, V, V, V, das waren sieben V. Keiner unter uns getraute sich dieses auszulegen. Darum eröffnete der Jäckel den Verstand dieser sieben Buchstaben und sprach, daß es hieße:[685] Viel Vincenz von Vnterbinningen, viel Vater vnser. Daraus die Anwesende, absonderlich aber diejenige, welche ihn noch nicht recht kannten, seinen Verstand und klugen Invention zu verwundern anfingen.

Ich wußte wohl, daß er nicht allein seinem Pinsel, sondern auch anderen Sachen genugsam gewachsen wäre. Darum fragte ich ihn, wie etwan, absonderlich aber mit den Fremden, eine hauptsächliche Lust vor diesmal anzufangen wäre, daraus man etwas zu lachen hätte. Da war er behend zu der Antwort und hieß uns Christophens Pagen, so ein überaus schöner und weibischer Knab war, in einen Frauenzimmerhabit verkleiden. Solchen, als man ihn in der Stille herausgeputzet, satzten wir unter uns an die Tafel, und Christoph gab ihn vor seiner Frauen jüngste Schwester aus. Da ist unmöglich zu sagen, wie sich absonderlich etliche Junge von Adel, die ihr ganzes Herkommen mit einem Pergamentbrief aufweisen konnten, aber in natura nur aus der löblichen Handwerkszunft entsprungen waren, in dieses Ding verliebet haben. Es drang sich gleich in der erste ein jeder mit seinen Dienstleistungen in ihre Freundschaft, und war fast keiner, welcher sich nicht heimlich ihre Liebe wünschte. Daher ist leicht zu gedenken, wie uns, als die um den Betrug wußten, bei dieser Sache zumut gewesen, absonderlich, als sich ihrer zwei um der Eifersucht willen auf die Fuchtel gefodert und also künftigen Morgen hinter einem Busch bei dem nächst gelegenen Wald auf Leib und Leben schlagen wollten.

Dieser Poß, ob er wohl lustig und an sich selbst kurzweilig war, brachte doch keine geringe Gefahr der Veruneinigten mit sich, weil keiner unter beiden konnte befriedigt, viel weniger von dem bevorstehenden Duell abgehalten werden. Sie eileten demnach des andern Morgens, sobald es ein wenig tagete, samt einem zierlichen Comitat hinaus auf eine weitschichtige Heide, welche mit einem kleinen Bächlein entschieden zu Sommerszeiten dem Vieh sehr bequem war. In dieser Weide hatte es ein angenehmes Wäldlein, hinter welchem sie sich, weil es ohnedem gelindes Wetter war, bis auf das Hemd ausgezogen und also wie zwei wilde Katzen,[686] erstlich mit Fäusten, hernachmals aber mit der Fuchtel, aneinander angefallen haben. Der eine, so einen herrlichen Degen focht, jagte seinen Gegenteil ziemlich in dem Kreis herum, und weil bald da, bald dort noch ein Kühpflaster lag, geschah es, daß sie alle beide unversehens in den Bach fielen, aus welchem man sie mit großer Gefahre, doch nicht ohne stillem Gelächter der Zusehenden hat herausreißen müssen.

Sie fuhren nichtsdestominder in ihrem Hauptstreit fort, und fingen erst alle beide an, ihre Lectiones, welche sie von dem Fechtboden weggetragen, zu weisen. Der eine zwar etwas besser als der andere, weil er durch etliche wohl angebrachte Stöße genugsam gezeiget, wie fix und fertig er mit der Frankenat umzuspringen wußte. Durch diesen Vorteil beschädigte er seinen Gegenteil in die rechte Seite, welcher, voll Wut und Zorn, wie ein Verzweifelter von sich stieß und seinen Verletzer eben mit der Münze bezahlte, wie er von ihm empfangen hat. Man sah augenscheinlich, daß in dieser Furi ein großes Feuer entstehen dörfte, wo nicht beizeiten so gefährliche Flammen ausgelöschet würden. Und weil sattsame Exempel am Tage waren, daß mancher ehrlicher Kauz aus angestellter Kurzweil sein Leben machte ich mir samt den andern, die an dieser Invention Ursach waren, kein geringes Gewissen. Eilete also mit bloßer Fuchtel hinzu und sprach zu ihnen: »Was nützet Euer so heftige Verbitterung wider- und gegeneinander? Schätzet Ihr Euer Heil und Seligkeit so gering, daß Ihr keinen Scheu traget, solche um ein kahles Frauenzimmer in die ewige Flamme zu stürzen? Und wer weiß, wer diejenige ist, um welche Ihr Euch so übermäßig bemühet? Ihr habt beide Ehre genug eingeleget und genugsam gewiesen, daß einer dem andern wohl gewachsen sei. Nun biete ich im Namen der gesamten hier Versammelten vom Adel Friede und Stillstand. Stecket Eure Klingen, mit welchen Ihr bis dahero tapfer und unerschrocken gefochten, wieder zur Scheide, gebt einander die Hände und lasset ferner weit Euren Zorn nicht spüren, sondern verwechselt solchen vielmehr mit einer angenehmen Freundschaft und brüderlicher Einigkeit.«[687]

Unter solchen Worten, ob sie wohl wenig und kurz waren, geschahen doch noch viel und gefährliche Stöße, also daß der eine, in die Brust verletzet, gleich einem toten Menschen dahin und in die höchste Ohnmacht sank. Dazumal war das Lachen zu verbeißen. Eilete demnach alles zu, damit dem Beschädigten in diesem Zustand möchte behülfliche Hand geleistet werden. Der Täter raffte gleichsam in einem Augenblick seine Kleider zusammen, und so geschwind er konnte, so geschwind eilete er von dem Fechtplatz hinweg, weil er den Blessierten schon vor tot hielt. Also spielte er das Reißaus und trat erst nach erhaltener Victori die Flucht an, war auch allem Ansehen [nach] viel erschrockener, da er seinen Feind überwunden, als da er ihn zu bestreiten angefangen. So erschrecket das muntere Gewissen. Wenn sie uns unsere Missetaten vor Augen stellen, da kleistern sich die Augen erst auf, wie man an diesem Fechter genugsam sehen konnte, denn er eilete über die Heide, daß es zottelte, und sah sich mehr als tausendmal zurücke, da er doch keinen einzigen Verfolger hatte. Wir konnten ihm auch nicht nacheilen, sondern mußten vielmehr auf die Cur des Verletzten Achtung geben, welchen wir mit Balsam und kostbaren Stärkwassern bestrichen, dadurch sich seine Geister erholet haben. »Ach wie heiß! wie heiß! wie heiß!« rufte er, ganz schwach lallend. Er griff endlich selbst um eine Handvoll Wasser, mit solchem seine Wunde zu kühlen, und weil seine Brust voll Blutschweiß war, eilete ich hin zu einem Haufen abgefallenen Waldlaub, mit solchem das Unreine abzutröcknen.

Indem ich so unter dem Baum herumscharre und mit den Händen das Laub zusammenraffe, kam mir eine Handvoll Haare in die Fäuste, und da ich etwas besser an mich zog, raufte ich den ehrlichen Vogel, nämlich meinen gewesenen Schreiber Andreas-mit-uns oder Nobiscum, hinter dem Baum hervor, welcher am Leib und an seinen Kleidern überaus schlecht bestellet war. Ich hielt ihn in der erste vor ein angekleidetes Männlein, mit welchem man auf dem Feld die Hirschen und anderes Vieh erschrecket, dachte also, es wäre solches Strohmännlein vielleicht dahin verzettelt oder sonsten[688] von den Hirtenjungen, die in dieser Gegend die Kühe zu hüten gewohnt wären, dahin getragen und zu ihrem Spiel gebraucht worden. Aber ich sah, daß er die Augen auftat und sich so wunderlich anstellete, gleich als hätte er, wie die Ratzen zu tun pflegen, den ganzen Winter geschlafen.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 682-689.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die kurzweiligen Sommer-Täge
Die kurzweiligen Sommer-Täge

Buchempfehlung

Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden

Warum Gott Mensch geworden

Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.

86 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon