II. Capitul.
Zank zwischen den Spielleuten.

[135] Die Titulsucht reißt trefflich ein,

Die Esel wollen Pferde sein.


So gut der Koch vorher gegaukelt hatte, so gut richtete er darauf an. Die Tafel wurde mit den raresten Speisen besetzet, die man dazumal in allen Elementen antreffen könnte. Und gleichwie nach der Liebe keine größere Ergötzlichkeit als die Musik zu finden, als wurden hierzu von etlichen Schlössern gewisse Leute verschrieben, die das Ihrige mit sonderlicher Anmutigkeit verrichteten. Der Gaukler konnte auf der Laute spielen, und dannenhero tat er doppelten Dienst, erstlich den Augen, vors ander dem Gehör. Nach solchem begehrte ich, daß die Spielleute abwechseln sollten, auf welches mich Caspia in die Seite gestoßen, vermeldend, daß man sie nicht Spielleute, sondern Stadt- und Kunstgeiger heißen müßte, in Erwägung, daß sie solchen Titul von einem Ehrbaren und Hochweisen Rat erlanget. »Aber was ist es mehr,« gab ich zur Antwort, »ob ich sie Spielleute oder Stadtpfeifer heiße, es ist ein Titul so gut als der andere. Man sagt: Der Kerl spielt eine gute Geige. Ist das gut, so ists auch gut, daß ich sage: Er ist ein guter Spielmann. Streicht er gut, so ists ein guter Streichmann, fiedelt er, so ists ein Fiedelmann, geigt er, so ists ein Geigmann, in summa, ich wüßte hierinnen keinen Grund zu finden, warum Spielmann ein unehrlich oder disreputierlich Wort sein sollte, nur daß es die alberne Narren nicht leiden wollen.

Einem Stadtrichter schadet es weder an seiner Ehr noch Reputation, wenn schon der vornehmste unter den Bettlern[135] auch Richter genennet wird, und niemand ist so närrisch, der sie nicht an dem Stand unterscheiden kann. Also auch die Spielleute untereinander sind wohl zu erkennen, welche im höhern und welche hergegen im niedrigen Grad Spielleute sind. Diejenigen, so in Städten auf dem Chor dienen, ihre Noten verstehen und noch mehr, was zu der Sach gehören möchte, das sind die vornehmsten Spielleute, da heißt es nach den Worten der Schrift selbsten: ›Spielet dem Herrn‹, und solchergestalt kann man sie auch aus der Schrift bestreiten, daß sie Spielleute sind.

Dergleichen vornehme Spielleute wohnen gemeiniglich in einer Stadt und führen unterschiedliche Namen. In Österreich werden sie genennet Stadttürmer, wie auch zum Teil in ganz Bayerland. In Reichs- und Seestädten heißt man sie Stadtmusicos, zum Teil auch Stadtpfeifer. Die Kunstgeiger heißt man in etlichen, aber gar wenigen Orten Hemmauer. Dieser Titul ist in einer Reichsstadt aufgekommen, denn als es daselbsten eine Zeit bei unterschiedlichen Freudenfesten gar viel aufzuspielen gab, hatte man dergleichen Leute eine große Zahl vonnöten, wurden dahero aus dem Städtlein Hemmau, drei Meil Weges davon, etliche Spielleute hingeholet, welche sich hernachmals daselbst haußässig niedergelassen, und ihre Nachfolger behalten noch auf diesen Tag den Titul Hemmauer. Dieses ist also der philologische Weg und Grundstraße, auf der man zu dem Ursprung der Hemmauer gelangen kann.

An etlichen Orten werden die Stadtpfeifer auch Ratsmusici genennet, aus der Ursach, weil sie ordinarie bestimmet sind, um gewisser Zeit auf dem Rathause oder bei demselben zu erscheinen und auf ihren Instrumenten abzublasen. Daß man sie aber in Österreich Stadttürmer nennet, geschieht darum, weil sie insgesamt auf dem höchsten Turm der Stadt zu wohnen pflegen, und dieses ist vor diesem so gemein gewesen, daß noch viel Städte den Gebrauch haben, ihre Musicos oder Stadtpfeifer auf dem Turm abblasen zu lassen.«

Es war ein Irländer an der Tafel, der hatte den Discurs kaum angehöret, als er sagte: »Monsieur, Er redet recht. An dem Titul ist wenig oder gar nichts gelegen, wer seine Sach verstehet,[136] den weiß man schon zu respectieren, er mag genennet werden, wie er will. Und wer nichts verstehet, der kommt auch in keine Consideration, er habe einen Titul, so herrlich und groß er auch sei, und fundamentaliter davon zu reden, so ist es insgemein unter allen Menschen eine rechtschaffene Eitelkeit, denjenigen Namen fliehen wollen, von dem man seine Nahrung hat.

Ich weiß fürwahr nicht, ob es nicht viel besser gesagt sei Spielmann als Stadtpfeifer. Denn die Sach gründlich auszuforschen, kann ich die Häscher nicht unbillig Stadtpfeifer nennen, ratione dessen, weil sie in der Nacht alle Viertelstunden pfeifen. Solches geschieht öffentlich in der Stadt, und daraus folget diese unwidertreibliche Schlußrede: Wer in der Stadt pfeift, der wird billig ein Stadtpfeifer geheißen. Der Häscher pfeift in der Stadt, ergo wird er billig ein Stadtpfeifer geheißen. Sagt jemand, es sei ein anders von dem Namen, ein anders von der Condition reden, so sage ich, daß es in diesem Discurs nicht angehe, ratio est, weil wir hier von nichts als dem Wort Spielmann reden und nicht von dem Amt und Condition, ihrer Bestallung und Verrichtung. Dieselbe ist nach Unterschied der Städte auch unterschiedlich. Es ist klar, daß die Welt ungleich ist. Mancher Schüler hat ein besser Ingenium als sein Præceptor, also ist mancher Spielmann künstlicher als mancher Stadtpfeifer, ich sage: mancher. Also setzet auch mancher Kantor besser als mancher Kapellmeister, und daraus sehen die Spielleute abermal, daß der Name eine Sache nicht gut machet, wo es an der Kunst fehlet.

Man erzählet von dem hauptsächlichen Musico Adam Krüger, daß er sich einsmals gleich einem Schiffknecht verkleidet und auf einer Orgel gespielet habe. Die umstehenden Musicanten merkten wohl, daß diese keine Schiffersgriffe wären, und unerachtet seine äußerliche Gestalt grob genung aussah, erwiesen sie ihm doch eine solche Reverenz, die man billig keinem Schiffknecht erwiesen hätte. Dahero, wer vor groß will gehalten werden, der muß auch große Dinge tun, denn es ist nichts Garstigers auf Erden, als ein Künstler sein wollen und sich der Stümpelei nicht erwehren können.[137]

Und was wollen denn endlich die Leute durch ihren Titul suchen? Ich kenne gar viel, die sich wegen dessen wie die Hunde herumgebissen und mit den Zähnen geknirschet haben. Ohne ist es zwar nicht, daß ein jeder gern bei dem Titul bleibet, welchen er von den Obern empfangen, ja, es gibt ihrer wohl gar viel, die damit nicht zufrieden, sondern noch ein mehrers suchen. Aber wer seinen Titul betteln muß, den weiß ich fürwahr nicht, wie man sie auf lateinisch heißen solle als eleemosinarios superbitatis. Ist zwar schlimm Latein, aber dergleichen Leute Profession ist nicht viel besser. Kann also schlimme Sachen nicht gut geben, welches die klare Vernunft mit sich bringet.

Ja, wenn ich wissen sollte, daß sie mit mir wegen meiner Rede streiten wollten, so würde ich ihnen in allen Sachen gar recht geben und die Kunstgeiger mit ihrem Titul wohl tausendmal begrüßen. Kunst heißt auf lateinisch ars, und dahero könnte ich sie ohne große Mühe noch darzu Ars-Geiger nennen, wenn ja die Leute so artig wären, sich viel mausig zu machen.

Aber gleichwie unter den Großen, also heißet es auch unter den Kleinen: nemo sua sorte contentus. Ja, ich habe einen Bettelrichter gekennet, welcher sich verlauten lassen, sich in seinem Stand nicht länger zu schleppen, sondern allerehestens sich um eine höhere Scharsche zu bewerben.« Hierauf rufte der Irländer gegen die Musicanten: »Wohlauf, ihr Herren Spielleute, machet euch lustig! Wo ihr das Rechte treffet, so schenke ich euch einen Ducaten!«

Diese Worte schnuppten ihnen nicht ein wenig in die Nase, dahero fingen sie an und sangen zwischen ihren mitklingenden Instrumenten folgend Lied:


Stadtpfeifer hier, Stadtpfeifer dort,

Wir sind Stadtpfeifer mit einem Wort.

Stadtpfeifer dort, Stadtpfeifer hier,

So heißen uns wackre Cavalier.


Der Irländer mußte des Possens lachen, und ich sah mich gegen die Kerl rücklings um; weil auch Isidoro, so gegen uns über saß, wohl gemerket, auf was es angesehen sei, fing[138] er an und sagte: »Ihr Herren Brüder, singet mir nach!« Hierauf sang er uns folgende Worte vor, die wir ihm nachschreien mußten, gleich denjenigen, so das neue Jahr zu singen pflegen.

Das Gesang hieß also:


Spielleute hier, Spielleute dort,

Ihr seid Spielleute fort und fort.

Spielleute dort, Spielleute hier,

Wir bleiben doch wohl Cavalier.


Auf solches nahmen die Schergeiger wieder aus und sangen:


Spielleute hier, Spielleute dort,

Spielleut ist gar ein garstig Wort.

Spielleute dort, Spielleute hier,

Wir sind Stadtpfeifer für und für.


Nach diesem entrüstete sich Isidoro in etwas und sang:


Spielleute hin, Spielleute her,

Was habt ihr Kerl vor ein Gescher?

Wollt ihr keine Spielleut sein,

So schlag'n wir euch die Stieg hinein.


Als unsere Gegenpart wieder aufs neue anfangen wollten, wischten wir mit umgekehrten Bänken über sie her und jagten sie samt ihren Geigen und Schalmeien zu dem Zimmer hinaus, denn was hatten wir Ursach, uns bei dieser Freude wegen eines einzigen Wörtleins zu zanken, dadurch doch ihrer Kunst nichts benommen noch zugetan wird? Ja, ich selbsten erzürnte mich so sehr über die Gesellen, daß ich ihnen noch einen Bierkrug über das Fenster auf die Baßgeige hinuntergeworfen. Und weil unter uns etliche vor diesem geigen gelernet, holeten wir allerlei Instrumenten zusammen, und spielete eine Partei nach der andern ein Stücklein vor der Tafel, darüber wir mehr Kurzweil empfunden als von der besten Harmonie, die man zwischen Nova Zembla und dem Toten Meer antreffen mögen. Denn zur Lust ist eine rauschende Musik viel bequemer als subtile Ohrenkitzeleien, die weder fressen noch trinken lassen.[139] Denn man soll hören, schmecken und riechen zugleich, durch welches man den Geist mehr quälet als erquicket.

So war auch zu unserm Vorteil der Seiltänzer noch zurück, welcher uns mit seinen Schwänken Ergötzlichkeit genug verursachte. Hiermit fing man an zu schwärmen, daß es taugte, so viel man Gläser ausleerte, so viel schoß man Pistolen zum Fenster aus, und die Spielleute schickten einen Jungen herauf, welcher ihren Recompens abholen sollte. Aber wir jagten den Jungen so gut als seine Principalen davon und sagten ihm, wo sie sich nicht beizeiten packen würden, sollten ihnen die Laquayen mit guten Knitteln den Weg zum Tor hinaus leuchten.

Dieses gab uns Gelegenheit, von der Sache ein mehrers zu reden, und der Irländer fuhr fort und sagte: »Es ist schon wahr, Ihr Herren, daß der Landesgebrauch nicht ein wenig bei der Sache tut. Sie schämen sich nur deswegen, Spielleute genennet zu werden, weil es schon in einem schlimmen Ruf ist und nur diejenige also genennet werden, die sich da auf allen Bierbänken sehen und hören lassen, die da auf jeder Strohhochzeit eines herabfiedeln und zuletzt mit einem Stück Semmel davonlaufen. Und dahero kommt es, daß sie sich billig davor scheuen, ob es schon in dem Grund ein gut Wort an sich selbst ist, und wer den ›Hercules‹ gelesen, der wird wissen, daß sie Pompeia, des Statthalters zu Padua Ehegemahl, auch also nennet, und zwar am 62. Blatt in der 35. Zeile. Aber die Ursach ist, wie gesagt, nur der Mißverstand. Als zum Exempel: das Wort Tyrannus war vor diesem ein herrlicher und schöner Titul, welcher nur vor große Herren kam, aber heutzutage ist es umgekehrt und keine geringe Beschimpfung vor solche Leute, die sich doch zuvor durch ebendiesen Titul so großgemachet.

Das Wort Amtmann gebraucht man in dem Land ob der Enns im schlimmen Credit, und wird insgemein der Scherg also genennet. Aber wer weiß nicht und wem ist wohl unbekannt, daß ebendieser Name in Sachsen eine hohe Scharsche sei, nach der sich auch gar viel mit großen Schenkungen bei den Höfen einfinden und doch wohl mit einer Handvoll Ducaten leer ausgehen. Das Wort Einspännier hält man[140] etlicher Orten in grobem Verdacht, und man darf im Bayerland nur zu einem Edelmann sagen: Morgen wird der Einspännier kommen, so bleibt er gewiß nicht auf dem Loch sitzen, sondern suchet bald, wo der Zimmermann den exitum ex Israel gelassen habe. Entgegen ist das Wort Einspännier eine gute Scharsche an etlichen Orten, und dringen sich auch gar viel mit Schenkaschien darzu. Das Wort Dirn ist ein alt und gutes Wort, bedeutet eine Hausmagd, die in dem Haus arbeitet oder kochet, doch wenn man eine Nürnbergerin eine Dirne heißet, siehet man bald ein katzenhaftiges Kragell, weil sie sich lieber dörfte herumschmeißen als eine Dirne wollen nennen lassen. Darum ist es an diesem Ort so, an einem andern wieder anders beschaffen, und wir hätten ihnen zu Gefallen sie wohl Stadt- oder gar Königreichspfeifer heißen können, so sie den Titul nur nicht mit Gewalt von uns hätten herauszwingen wollen.

Man weiß wohl, wie man einem Kerl, was Standes und Profession derselbe auch sei, begegnen solle, aber wegen eines solchen Pfeiferlings in einer Privat-Compagnie solche Narrenpossen anzufangen, ist nichts Bessers wert. Nur nicht viel disputieret, sondern die Kerls bei dem Wamsärmel genommen, sie zu der Tür hinausgeworfen und damit ihre Wege laufen lassen. Damit ist der Handel richtig.«

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 135-141.
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