VIII. Capitul.
Carl Heinrich von Zweydig kommt durch die Liebe in ein wunderlich Bad.

[172] Der Bär sucht Honig mit der Pfot',

Drum stechen ihn die Bienen tot.


Auf das gegebene Zeichen wurden wir durch zwei Hofherren in die Tafelstube begleitet, und nach gesprochenem Gebet satzten wir uns zu Tische. Die Compagnie hatte sich diesen Tag etwas verstärket, deswegen gab es trefflichen Spaß und mangelte nur an den Spielleuten, die zweifelsohne wieder zu Hause arrivieret. Aber ein Laquay, welcher mit seinem Herrn erst vor zwei Stunden durch ein nächstgelegenes Dorf geritten, der vermeldete, daß er sie in der Dorfschenke angetroffen, allwo ein Edelmann mit einer Bauermagd hätte Hochzeit gehalten. Die Rede des Laquayes kam mir ziemlich verdächtig vor, deswegen fragte ich seinen Herrn, welcher ebenfalls berichtete, was zuvor sein Diener erzählet. Er setzte hinzu, daß der Bräutigam Faustus hieße, und hätte kein Mensch erfahren können, warum er ein so hochwichtiges Werk mit einer Bauersmagd vorgenommen, da doch das ganze Land voll Adel steckte, und deswegen müßte er hierzu absonderlich sein verleitet worden. Erst[172] fingen wir an, uns rechtschaffen zu verwundern. Ich, Isidoro und Ludwig machten ein Kreuz hin, das andere wieder her, denn es ist unmöglich zu beschreiben, wie sehr uns diese Zeitung bestürzet. »Es ist nicht anders,« sagte der vorige Edelmann, »die Hochzeit ist geschehen, und allem Ansehen nach wird er mit der Braut schon zu Bette sein. Es ist schad vor den rechtschaffenen Menschen. Ich konnte an ihm nichts verspüren als absonderliche Höflichkeit, und wie ich von seinen Dienern verstanden, so ist er bei vortrefflichen Mitteln. Die Ursache, warum er das Bauermägdlein geehlichet, haben sie mir nicht sagen wollen, vielleicht weil es ihnen von ihrem Herrn verboten worden.«

Diese Erzählung zerstörte all unsere Lust, denn wir sahen augenscheinlich, daß den Faustus eine grausame Raserei ergriffen, indem er eine solche Sache unterfangen, die entweder nicht bestehen oder aber in eine grausame Reue könnte verkehret werden. Denn eine unbesonnene Heirat schließen bringet keine andere Früchte als eine schamhafte Reue, die nimmermehr in dem Herzen auszulöschen ist. Man verlegt sich dadurch den Paß zu höherer Promotion, und wer zumal ehrgeizig ist, dem fährt der Teufel darnach gar über den Hals.

Der Irländer sagte hierauf gegen uns über: »Monsieurs, es ist wahr, daß man niemals blinder als auf der Liebesstufe gehet, da man doch auf solcher alle Vorsichtigkeit anwenden sollte, damit man nicht irregehe. Verfehlet man den Weg auf dieser, so ist kein Mensch unter der Sonnen, welcher wieder auf den rechten Weg zu bringen weiß. An einer Heirat kann man ein großes Stück der Glückseligkeit übersehen, und ich glaube, daß diese einzige Furcht, die Sache übel zu treffen, so unzählig viel alte Junggesellen macht. Doch ist es besser, daß Faustus sich an eine Bauermagd verehlichet, als ob er sich um eine Person beworben, die seinem Stand zu hoch wäre, wie denn erst einem vom Adel in Italien geschehen, der deswegen das Leben lassen müssen.« Auf solches bat ihn das Frauenzimmer, die Geschicht zu erzählen, und weil er sich hierzu verbunden erkennete, erzählete er dieselbe folgendermaßen:[173]

»Ihr Herren,« sagte er, »dieses ist der Anfang, welcher uns vor Augen stellet die große Gefahr Carl Heinrichs von Zweydig, eines Teutschen vom Adel. Er verbrachte seine Jugend unter ziemlich bösen Buben, und ist nicht zu zweifeln, daß er dahero gleich anfangs verführet und verderbt worden. Sein Herr Vater ging ihm noch in jungen Jahren mit Tod ab, und dahero hatte er desto bessere Gelegenheit, seinen Wegen nachzugehen, weil die gelinde Mutterzucht nichts als einen schlechten Gehorsam der Kinder nach sich zu ziehen pfleget. Ein solches Leben führte unser Carl bis ins funfzehente Jahr, und weil er von Natur mit einem fähigen Kopf begabet war, hatte er das Seine noch ziemlichermaßen gelernet, also daß er auf eine Schul getan wurde, sich daselbst so viel zu versuchen, bis er würdig wäre, auf eine hohe Schul zu reisen. Er war ein Jüngling von absonderlicher Schönheit des Leibes, und war kein Schüler, welcher sich nicht glückselig geschätzet, seiner Gesellschaft zu genießen, teils wegen seines hohen Adels, teils wegen des gespickten Beutels, mit welchem ihn die Mutter ohne Unterlaß beschenkte.

Man hielt ihm zu Hause einen eigenen Præceptor, aber sie wußten nicht, daß sie das Schaf einem Wolfe anvertrauet hatten, weil nach wenigen Wochen solche Stücklein an den Tag gekommen, die dermalen auszulegen weder die Enge der Zeit noch auch die billige Abscheu erduldet. Der Præceptor wurde aus dem Hause gejagt und dem Carl anstatt dessen ein Hofmeister zugegeben ein Mensch, welcher sich ehedessen in den Ländern durch unterschiedliche Reisen sehr bekannt gemachet, aber er hatte den absonderlichen Fehler an sich, daß er gerne soff, und durch dieses Übel hat er sowohl an sich selbst als an dem Untergebenen mehrer versäumet, als er verantworten können.

Man schickte sie in Italien, daselbsten die Sprache samt andern Exercitien zu lernen, und wurde zu Ende dessen Verona erwählet, welches ist eine herrliche und absonderlich dazumal von dem teutschen Adel sehr weit berühmte Stadt. Der Hofmeister versprach allen Fleiß anzuwenden, damit sie nicht allein bald, sondern wohl geschickt wieder zurückkommen möchten, zu Ende dessen er allerlei Vorschläge tat,[174] wie und auf was Weise das Studium sowohl als die andern Exercitien anzugreifen wären. Hiermit schieden sie beide, mit einem Diener vergesellschaftet, davon und ließen die weinende Mutter in tausend Sorgen, welcher es schon vorging, wie es mit ihrem Sohne würde gespielet werden.

Die vierte Woche bekam die Mutter Briefe von dem Hofmeister, wie sie per Posto glücklich angekommen, und also gab sich das traurige Weib in etwas zufrieden und war um nichts sorgfältiger, als wie sie ihrem Sohne die Wechsel gewiß übermachen, daraus zu sehen, wie lieb sie ihn gehalten, indem sie ihre ganze Freude an der Vergnügung ihres einzigen Sohnes gesuchet. Indessen hatte sich aber weder [der] Hofmeister noch der adelige Jüngling in Italien keinesweges gebessert, denn einer geriet durch seine Völlerei in den schändlichen Müßiggang, und dieser suchte nichts, als sich in den öffentlichen Hurenhäusern bekannt zu machen, gestaltsam sie beide zu ihrem Verderb die beste Gelegenheit an der Hand hatten, weil sie weder an Geld noch einzigem andern Mittel nicht den geringsten Abgang litten.

Julia di Foro, eine schöne, aber auch zugleich sehr hohe Standesperson, welche ihresgleichen in Verona nicht hatte, sah unsern Carl etlichmal bei ihrem Quartier vorbeireiten, weil er sich wenigst in der Woche zweimal auf der Reitschule einzufinden pflegte. Sie war eine Dam von sonderlicher Eingezogenheit, aber doch darneben so verliebt, daß es nicht sattsam kann entworfen werden. Sie verwunderte sich über die Tapferkeit des Teutschen vom Adel und forschte endlich um sein Geschlecht, welches aber so heimlich und verdeckt zugegangen, daß weder der Hofmeister noch der von Zweydig darum ein einziges Wort gewußt.

Eines Abends, als er von der Tafel aufstund, allwo er bei einem andern Teutschen zu Gast gewesen, wird er durch einen Laquay gerufen, welcher ihm ein Schreiben überlieferte, dessen Inhalt in dem bestund, daß er sich innerhalb zwei Stunden aufs längste in dem und dem Palast ganz alleine einfinden sollte, weil sich daselbsten ein seiniger Landesmann ganz incognito aufhielte. Carl von Zweydig wußte nicht, daß es ein verdecktes Essen sei, sondern kleidet sich[175] sauber an und erscheinet nach dem Inhalt des Briefes in dem benannten Palast, ehe noch eine Stunde vorbeigegangen, fragt auch daselbst um den Teutschen, und weil er noch etwas trunken war, führte ihn eine Magd in ein kleines Stüblein, sich indessen darinnen so lange aufzuhalten, bis sie seinen Landesmann würde gerufen haben.

Nach einer Viertelstunde erscheinet die Magd samt dem sogenannten Teutschen, welcher aber niemand anders war als eben die vorerwähnte Italienerin Julia di Foro. Sobald sie da hineingekommen, gehet die Magd hinweg, und die verkleidete Dam schleußet die Tür zu, fängt auch an, mit dem von Adel so viel zu parlieren, bis er mit Verwunderung verstehet, daß sie sich in ein Mannskleid gestecket, ihren Palast verlassen und in diesem Hause keinem Menschen als der vorigen Magd bekannt sei. Wenn er derowegen wollte verschwiegen sein, sollte ihm freistehen, ihren Leib nach seinem Belieben und Wohlgefallen zu gebrauchen. Wäre Zwey-dig wohl erzogen und in der Hurerei gleichsam von der ersten Kinderstufe nicht so unverantwortlich verführet gewesen, wäre er nimmermehr von seinen bösen Affecten überwunden noch von einer so scheinheiligen Huren gefangen worden. Er legte alsobald seinen Degen ab und verübte mit dieser Schändlichen allen Greuel, der mehr zu beweinen als zu beschreiben ist. Er läßt es nicht dabei, sondern fähret eine geraume Zeit fort, der Julia ihre böse Begierden zu sättigen, weil er genugsame Proben abgeleget, daß kein verschwiegenerer Mensch als er auf Erden leben könnte. Aber hierinnen hatten sie sich beide betrogen, weil sie vor demjenigen nichts verbergen konnten, welchem auch die Gedanken des Herzens bekannt sind.

Man hat hernach von dem Hofmeister erfahren, daß er diesem Leben über acht Monat nachgegangen, unter dem Vorwand, einem Teutschen zuzusprechen, welcher sich wegen einer Mordtat gerne wollte verborgen wissen. Und so sehr er sonsten dem Spielen obgelegen, hat er doch von der Stund an dasselbe auf die Seite gesetzet und sei stets melancholisch gewesen, vielleicht wegen der Ursache, die ich schon gemeldet habe.[176]

Es trägt sich zu, daß ein junger Freiherr durch Verona reiset, welcher unserm Carl mit absonderlicher Vertraulichkeit zugetan war. Sie verbrachten zwei bis drei Tage in großer Lust, und es war keine Ehre mehr übrig, welche dem Freiherrn nicht erwiesen worden, bis ihn endlich Zweydig zu Pferd begleitet, weil der Fremde willens war, wieder in Teutschland zu gehen. Indem sie an den Ort kommen, wo Zweydig seinem Untergang so eiferig nachgehangen, vertrauete er dem Verreisenden alle seine Heimlichkeit und vermeldete, daß er in diesem Hause die schönste Dam von der ganzen Welt bedienete und sich also vor den glückseligsten Menschen unter der Sonnen zu schätzen hätte.

Der Freiherr verwunderte sich selbst, und indem kommen sie vor den Palast, darinnen Julia di Foro mit noch anderem vornehmen Frauenzimmer wohnete. Sie stund dazumal gleich an einem Fenster, mit etlichen unter ihren Gespielinnen vergesellschaftet, und fragte zu Verhehlung ihrer Schandtat, wer diese zwei Cavalier wären. Damit aber der Freiherr sehen sollte, daß Zweydig nicht gelogen, als machte er daselbst mit Zurücksehung gegen dem Fenster ein Reverenz, und der Freiherr lächelte in gleichen gegen das Frauenzimmer, daraus Julia geschlossen, sie sei von dem Zweydig verraten.

Das geschah am halben Abend, und es stunden nicht vier Stunden an, als Zweydig von der Dam aufs neue berufen war, welcher, seiner vorigen Freiheit zu genießen, ganz froh hinging und sich im geringsten nichts Übels befürchtete. Er wurde gar geschwind in den Palast eingelassen, aber ehe die Tür wieder zugeschlossen war, hatte er schon zwei Stoßklingen in den Leib, daß er ohne einziges Wortsprechen tot zur Erden fiel, allwo er sich noch ziemlich hin und wider geworfen. Dieses war der Ausgang seiner unreinen Liebe, welche selten anders zu belohnen pfleget.

Julia ließ noch in selbiger Nacht den toten Körper auf die offene Gasse werfen, und weil er vor ihrer Tür gefunden worden, schöpfte die ganze Stadt keinen geringen Argwohn. Endlich kam der Hofmeister hinter etliche heimliche Briefe, und weil ihm gleich seinem Untergebenen nachgestellet[177] worden, machte er sich heimlich davon und brachte der Mutter nichts zurück als die schmerzliche Botschaft von dem entleibten Sohne, welche ihr fast die Augen aus dem Kopfe weinete.«

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 172-178.
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