I. Capitul.
Zendorii Gefängnis auf dem Schloß der Veronia.

[12] Wer ohne Schuld kommt in die Band,

Kommt ohne Strafe aus dem Land.


Es war allgemach Mitternacht, als ich mich ganz ledig außer dem Schloß befand, darinnen ich bis dahero mit tausend Sorgen und Grillen gefangen gesessen. Einesteils verwunderte ich mich über meine unverhoffte Begebenheit, andernteils über den Zettel, welcher mir durch eine Gräfin in das Gefängnis geschickt worden. Aber über dieses alles nicht so sehr als über der großen Sorgfalt und Treu des Jägers, welcher alle Kräften angewandt, mich meiner Fessel zu befreien. Die finstre und dunkele Nacht taugte mir zu einem vortrefflichen Deckmantel, meine Person dahinter zu verstecken, deswegen eilete der Jäger mit mir zu dem Dorfe hinaus, und weil wir große Sprüng getan, hatten wir nicht viel Zeit, uns zu unterreden, so sehr mich auch verlangte, der Sache auf den Grund zu kommen. Ich hatte nunmehr die Landstraße erreichet, deswegen heißet mich der Jäger geschwinde forteilen, damit ich mich durch mein längers Aufhalten nicht aufs neue in die Fessel brächte und also das letztere ärger als das erste machte. Hiermit eilete er zurück und ließ mich ganz bestürzet an der Straße stehen, voll Verlangen und Begierde zu wissen, wie und aus was Ursachen ich in dieses Gefängnis gesetzet worden.

Ich machte mir wohl hunderttausend vergebene Einbildungen, aber es taugte keine zur Sache, weil ich dadurch mir meine Verwunderung vielmehr verstärkte als solche verringerte, und aus dieser Ursach wurde ich leichtlich gezwungen[12] zu glauben, daß meine Verweilung keine geringe Gefahr nach sich ziehen dörfte. Derohalben fing ich an zu laufen, so gut es meine Beine vermochten, welche allgemach von dem Eisen angegriffen und beschunden worden. Solchergestalten verbrachte ich einen ziemlichen Teil der übrigen Nacht, also zwar, daß ich mich bei anbrechendem Tage in einer weitschichtigen Irre befunden und nicht gewußt, in welcher Gegend ich dazumal herum wandelte.

Die Glieder waren mir ziemlich matt, teils wegen der zuvor angelegten schweren Banden, teils auch wegen meiner schnellen und continuierlichen Flucht. Dahero eilete ich auf ein nächstgelegenes Dorf, daselbst ein wenig auszuruhen und mich wiederum auf die rechte Straße zu fragen. Ich erhielt gar leichtlich, was ich verlanget, und nachdem ich in dem Dorf ausgeruhet, wiesen mich die Bauren über die Höhe eines Berges, allwo ich auf diejenige Straße zu gelangen versichert wurde, dahin sich mein bekannter Weg erstreckte.

In solchem Fortwandeln verwunderte ich mich ohne Unterlaß meiner Geschicht und konnte die Gedanken auf keine Art noch Weise aus dem Kopfe verjagen, bis ich endlich einen adeligen Sitz vor mir sah, welcher trefflich altväterisch gebauet und aufgeführet war. Ich hatte meines Erachtens noch eine gute halbe Stunde dahin, deswegen suchte ich mein Testimonium hervor, mich mit demselben auf den Ort zu machen und um ein Viaticum zu betteln, welcher Gebrauch bei den Trivial-Studenten ein gemeines Handwerk zu sein pfleget, damit sie sich von Ort zu Ort promovieren. Hiermit richtete ich meinen Weg auf das Schloß zu, und weil die Bettler nichts umzugehen pflegen, achtete ich es nicht gar groß, ob ich eine halbe oder viertel Meil Weges von der Landstraß abgewichen.

Nach einer kurzen Zeit traf ich an den Ort und wischte mit meinem Testimonio hervor, dasselbe dem Torwärter bestermaßen zu recommendieren, gestaltsam ich zu meinem Behuf die stattlichsten Worte hervorbringen und demselben um das Maul schmieren konnte, damit er mich bei dem Edelmann anmelden möchte. Aber ich fand den Gesellen ganz in einem andern Laun, und weil er dazumal den Dorfbettlern[13] das Brot austeilete, kann es sein, daß er sich in seinen nötigen Amtsgeschäften nicht gerne zurückhalten noch verwirren lassen. Er sagte mir auch mit widerwärtigen Mienen, daß der Herr dieses Schlosses schon vor sechs Jahren gestorben sei, und die Edelfrau, so solches besäße, wäre dermalen über Land verreiset.

Wie ich nun gesehen, daß ich die Insul bonæ spei vorbeigesegelt, ging ich meinen Weg wiederum zurücke, zumalen mir der Torwärter zum Überfluß nachgerufen, daß man einem so wohl Bekleideten kein Almosen zu geben schuldig wäre. Ich sollte davor meinen Caputrock verkaufen und vor solchen ein Stück Brot schaffen, das wäre besser vor den Magen als ein Gansflügel. Über solche Wort des ehrvergessenen Rotbarts wollte ich mich nicht viel bekümmern, zumalen ich ohnedem von Natur dahin incliniert, über solche Narrenpossen zu lachen, welche mir an diesem Ort weder schaden noch nachteilig sein konnten. Ging dahero immer meinen Weg von dem Schlosse hinweg und stackte das Testimonium wieder in meine Tasche.

»Domine, Domine, Domine, allo he, Domine, Signor, Monsieur!« rufte ein junger Edelmann, so ober dem Tor an einem Fenster ganz ausgezogen stund, und als ich mich umgesehen, meinte er mich. Er deutete mir wohl zweinzigmal mit dem Haupt und winkte mit der Hand, was er nur winken konnte. Ich nahm den Hut herunter, machte mein Reverenz und ging eilends zurück an das Tor, allwo ich ihn fragte, was seines Begehren sei. »Saprament, Domine, per Dieu,« sagte der Edelmann, »wett der Teufel, was macht der Herr da?« Ich erstaunte über diese Rede nicht ein geringes und hielt den Menschen vor rechtschaffen wahnwitzig. Auf dieses verlor er sich an dem Fenster, und da ich aus Meinung, als wär es nur Vexierung, fortgehen wollte, kam dieser Junge vom Adel zu mir herunter und führte mich mit sich über eine lange Treppe hinauf. Ich ließ es immer gut sein, und weil ich einmal in eine unordentliche Verwirrung geraten, trug ich keinen Scheu, mich ferner in dergleichen Begebenheiten zu verwickeln. Wir kamen in eine ziemlich enge Stube, darinnen dieser seine Bibliothek stehen hatte.[14] Daselbst empfing er mich sehr höflich und sagte, daß ihm die Zeit seines Lebens kein solches Wunder als in Ansehung meiner Person zugestoßen, derohalben solle ich mir belieben lassen, niederzusetzen, und wies mir einen absonderlich wohlausgewirkten Sessel. Nach solchem trug er mit eigener Hand einen Krug spanischen Wein herauf und erwies mir allerlei Höflichkeiten, über welche ich mich rechtschaffen verwundert.

»Monsieur!« sagte er, »ich sehe es Ihm an, daß Ihn seine widrige Gedanken heftig peinigen, darum, ist es Ihm nicht zuwider, mir sein Anliegen zu offenbaren, so lebe Er versichert, daß ich solche Affection vor ein absonderliches Stück seiner Höflichkeit erkennen werde.« – »Mein Herr,« gab ich zur Antwort, »die Gedanken, welche mich gänzlich eingenommen, verhindern mich anitzo, höflich zu sein. Damit ich aber nicht vor undankbar angesehen werde, finde ich mich verbunden, mein Geschicke zu eröffnen demjenigen, welcher mich aus unbekannter Freundschaft nicht allein unverschuldet, sondern über dieses ausdermaßen freundlich tractiert. Vom Anfang meiner Geburt und geführten Schuljugend würde dieser Tag zu wenig sein, meinem Patron ausführlichen Bericht abzustatten, und weil sich solches Leben nur mit lächerlichen, zum Teil kindischen, zum Teil auch eitlen Historien verwickelt, schreite ich vielmehr zur Erzählung einer Sache, die mich vor ungefähr fünf Tagen in einen recht abenteuerlichen Stand gebracht.

Ich bin von Profession ein Student und habe auf unterschiedlichen Universitäten Philosophiam gehört. Zu Ende dessen nahm ich meine Reise in mein Vaterland vor, daselbsten meine Beförderung zu suchen, weil mir zu solcher schon vor langen Jahren gute Hoffnung gemacht worden. Ich bin etwas arm von Mitteln, aber nichtsdestoweniger von gut und ehrlichem Namen. Mein Vater war ein Mesner in einer berufenen Thumkirche, und weil ich lustigen Humors war, nennte ich mich Zendorio, nur darum, weil ich meinem Vater als ein Jüngling die Lampen und Kirchenkerzen auf den Altären habe anzünden helfen. In solchem Zustande geriet ich auf die [=der] neulich vorgenommenen Reise, aus Überfallung[15] der Nacht, in einen an der Straße gelegenen Gasthof. Ich versah mich nichts Übels, sondern legte mein Felleisen in eben die Kammer, dahin mich eine Magd schlafen gewiesen. Nächst meinem Bette stunden noch drei andere, aber ich sah nur in einem einen Kerl schlafen, welcher aber, wegen ausgezogenen Habits, ganz nicht zu erkennen war. Ich bin sonst von Jugend auf ein trefflicher Liebhaber zu schwätzen, weil aber dieser Mensch schon tief eingeschlafen, wollte ich ihn nicht aus seiner Ruhe verstören noch aufwecken, und aus dieser Ursach unterließ ich auch, mit der Magd zu scherzen, welche ich sonsten weidlich wollte in der Kammer herumgejagt haben. Ich schlief ein, und wenn es keine Narrheit wäre, einen so wackern Cavalier mit Traumerzählungen aufzuhalten, so wollte ich wohl eine Stund lang allerlei Vorstellungen daherbringen, welche mir dazumal in dem Schlaf lebhaftig vorgekommen.

Endlich erwachte ich, als es schon heller Tag war, und weil sich mein Weg noch eine ziemliche Ecke erstreckte, wollte ich aufstehen und mich ankleiden. Aber, tausend gute Jahr, wie zersuchte ich mich an meinem Kleide? Ich guckte auf und unter alle Bettstätte, aber da war nicht der geringste Fleck, geschweige was anders von meinem Kleide zu sehen noch zu hören, ja sogar die Schuhe waren nicht mehr anzutreffen, sondern ich befand mich vor diesmal in der Kammer ganz dismundiert und entkleidet. Ich wollte den Fremden in der Kammer fragen, aber er war allem Ansehen nach schon lange hinweg; und was das Allerwunderlichste war, so hat dieser sein Kleid in der Kammer gelassen und vielleicht das meinige anstatt desselben angezogen. Erstlich glaubte ich, es wäre dieser Fehler in der Finstern vorgegangen, weil ich viel hundert Exempel gehöret, da wohl ärgere Stücke durch und vermittelst der Finsternis sind practicieret worden, aber ich erfuhr leider darnach allermeistens, auf was dieser Betrug angesehen gewesen.

Monsieur! Ebendieses Kleid, so ich am Leibe trage, war demjenigen zuständig, welcher statt dessen das meinige in der Kammer angezogen und damit davongegangen. Der Verlust meines Gewandes war endlich so übermächtig groß[16] nicht, dahero ließ ich mich leichtlich von dem Wirt bereden, dieses davor an den Leib zu werfen und damit meine Wege zu gehen. Ich tat es, und als ich gleich einem Cavalier etwan eine Stunde außer des Gasthofes in einen Wald kam, ergriffen mich nächst einem Brunnen ihr vier bewaffnete Männer, welche, weil sie verlarvet waren, ich nicht erkennen können. Sie redeten kein Wort, sondern eileten mit mir einem Schlosse zu, aus welchem ich heute nacht so wunderlich losgelassen als geschlossen worden. Man satzte mich in ein finster Gewölb, und allem Ansehen nach war es eine Diebesstube, weil darinnen nichts als grausame Tormenten zu sehen waren. Ich halte, es sei gar eine Marterkammer, und dahero kann mein Herr leichtlich gedenken, wie mir zumut gewesen. Sobald sie mir eine Kette an das linke Bein geschlossen, sperrten sie mir auch eine Leibkette samt einem Halsring an und sagten, ich sollte mich nur so lang gedulden, bis der Graf wieder nach Haus käme, alsdann würde mir der Kopf zum längsten auf den Achseln gestanden haben.

Wahrhaftig, so unschuldig ich mich wußte, so war mir doch bei der Sache nicht allzuwohl. Ich gedachte wohl auf tausend Schelmstücklein, die ich hin und wieder sowohl öffentlich als heimlich, absonderlich aber mit Frauenzimmer begangen. Dahero mutmaßte ich immer, es dörfte eines oder anders sein offenbar worden, davor ich nun meine Laudes empfangen würde. Meine Speise bestund in schlechtem Brot und Wasser, und war zu diesem allem noch das Übelste, daß mir der in der Kammer mein Felleisen mit sich genommen, in welchem ich noch bei sechs Taler nebenst anderm weißen Zeug und etlichen Autoribus verschlossen hatte, dadurch ich mir bei so beschaffenen Zeiten aufs wenigst etwas Bessers zu essen schaffen können. Der Schergenknecht sagte mir bei solcher Ankunft, daß morgen das Examen vorgehen würde, aber ich verließ mich auf mein gutes Testimonium von der Universität, welches ich jederzeit in mein Hemd gewickelt hatte, und aus dieser Ursach konnte mir solches von dem Fremden in der Kammer nicht genommen werden. In solchen herumschweifenden Gedanken fühlte ich in den Schubsack des neu angezogenen Kleides und fand darinnen[17] einen ziemlichen Particul alter Groschen, bis ich endlich in die acht Reichstaler zusammenbrachte.

Die Unschuld, welche in diesem Gefängnis meine höchste Trösterin war, ließ mich in keine übermäßige Schwermut fallen, dahero achtete ichs sehr wenig, es möchte hinauslaufen, wie es wollte. Der andere Tag bricht heran, und ich konnte dieselbe ganze Nacht vor wunderlichen Gedanken kein Auge zutun, dahero schlummerte ich gegen Morgen ein wenig ein, wurde aber bald der Ruhe verstöret, weil ich jemanden klopfen gehöret. Ich wußte nicht, wars an der Tür oder an dem Fenster, legte mich demnach wieder hinum, und weil ich ganz allein war, kam mich schier eine Furcht wegen eines an dem Ort herum wallenden Gespenstes an, welches in den Gefängnissen nichts Neues ist. Ich hörte noch einen stärkern Schlag, und als ich mich umsah, wars an dem Fenster, welches mir zum Rücken stund. Es brauchte gar geringe Mühe, dasselbe zu eröffnen, dahero guckte ich hinaus und sah mit großer Verwunderung auf dem Felsen darunten einen Jäger mit einem langen Blasrohr stehen, durch welches er zu mir herauf geredet, ich sollte mir die Zeit nicht lang werden lassen, noch mich mit vergeblichen Sorgen umsonst quälen und martern, morgen wollte er mir tief in der Nacht aushelfen und mich sicher davonbringen. Nach solchen Worten schied der Jäger die steinichte Klippen wieder hinweg und verlor sich gar bald unter dem Gesträuße an dem Berg, denn das Schloß liegt an derselben Seite etwas höher als vornen, und der Fels gedünkte mich wohl bei zwanzig Klafter hoch zu sein. Der Jäger aber stund nicht gar drei Klafter unter meinem Fenster, zu welchem einer wohl hätte ausspringen können, so es nicht die Fessel und die absonderliche und grausliche übrige Höhe verhindert hätten.

Mein Herr betrachte doch nur, was ich aus der Rede des Jägers schließen können, indem mir seine Worte lauter Böhmische Dörfer waren! Ich sollte daraus einen Trost empfangen, und er machte mich nur betrübter, er sollte mich unterrichten, und ich wurde nur desto verwirrter, mit einem Wort: ich wußte gar nicht, wie abenteuerlich mit mir gefangenem Menschen gespielet wurde. Sowenig ich die vorige[18] Nacht geschlafen, sowenig konnte ich auch diese ruhen, bis der Jäger des andern Tages, aber etwas früher als zuvor, mit dem Blasrohr an das Fenster kam und mir dasselbe aufzuschließen befahl, denn er wollte mir mit seiner Armbrust einen Brief von der Gräfin hinaufschießen. Wunderlicher Zufall! ich war hierzu leichtlich zu bereden, und als ich das Fenster eröffnet, schießt er mir ein kleines Brieflein, an einen Stein gebunden, ins Gefängnis, nach welchem er sich davongemachet und mir sichere Erlösung zugesagt, sobald sich nur die Nacht würde genähert haben.

Mit unzähligen Grillen brach ich das Brieflein auf und fand mit ungemeiner Verwunderung diesen Inhalt darinnen, welcher von Wort zu Wort unfehlbarlich also hieß: ›Monsieur, sein zugestandenes Elend legt mein Herz ins Grab, wenn ich durch seine Schmerzen meine eigene Wunden fühle. Er sei versichert, daß der Jäger redlich mit Ihm umgehen wird, sollte es aber mißlingen, bitte ich nochmals mit vielen Tränen, Er leugne so lang, als Er kann, und erzeige in dem Werk, daß ein beständiger Liebhaber sich nicht scheuet, alle Marter auszustehen, zu verschweigen dasjenige, daraus der Geliebten alles Unheil entstehen kann. Er lebe wohl und ertrage die Fessel mit Geduld in gewisser Sicherheit, daß ich leben und sterben werde – Seine getreueste Veronia.‹

Dieses war der kurze, doch nachdenkliche Inhalt des von dem Jäger hineingeschossenen Briefleins, welchen ich augenblicklich in Stücken zerrissen und samt dem Stein wieder über das Fenster hinabgeworfen. Indem kommt der Kerkermeister zu mir in das Gewölbe, etliche Ketten abzuholen, weil er vorgegeben, er müßte noch vor Mittag etlichs Hurengesind über dem See anpacken und solches auf Befehl der Landrichterin mit sich gefangen anhero bringen. Ich fragte diesen wegen meiner Begebenheit, und ob ich ihm gleich ein gutes Trankgeld angeboten, wollte er doch mit der Sprache nicht heraus, entweder weil ihm solches verboten oder aber sonsten unbekannt war. Er hatte wohl acht Springeisen auf dem Arm, weil er vorgegeben, daß sich die ehrbare Compagnie fast in die zwölf Personen beloff, unter welchen eine alte Frau die Rädelführerin und Principal-Person sein[19] solle. Dergestalten ging er mit einem kleinen Jungen, mit vielen Ketten behangen, von mir hinweg und hatte vielleicht den Jüngling deswegen mit sich genommen, auf daß er seinen ruhmwürdigen Qualitäten dermaleins nachfolgen und sein wohlerlerntes Handwerk auf die Nachwelt fortpflanzen könnte. Ich hatte mir indessen durch einen Wächter, derer continuierlich viere vor meinem Kerker stunden, ein gut Mittagmahl bestellet und etliche Krammetsvögel in der Dorfschenke braten lassen, weil ich mein Geld an diesem Ort nicht anders anlegen konnte. Derohalben lud ich sie zu Gast, und der eine ließ einen Krug Bier herholen, welchen wir mit schlechter Reputation ausgesoffen, denn dergleichen Leute halten wenig von Gesundheiten und dergleichen Höflichkeiten, und ich hatte von dieser Gasterei keinen andern Nutzen, als daß ichs endlich von ihnen herausbrachte, daß sie ebendiese gewesen, so mich vorerzähltermaßen bei dem Brunnen in dem Wald angepacket und mit sich an diesen Ort gebracht hatten.

Solchergestalten speisete ich diejenigen, so mich in meinen Fesseln bewachten, und gleichwie sie ohne Ehrerzeigung gekommen, also gingen sie auch ohne Dank davon, und war ihr meister Trost, indem sie mir versprachen, daß auf das längste in vier Stunden eine gute Compagnie zu mir würde eingeschlossen werden, damit ich nicht so gar ohne Ansprache und alleine läge. Einen solchen Häschertrost mußte ich dazumal wider meinen Willen annehmen und habe wohl hundertmal gewünschet, nur zu wissen, welcher Teufel ein solch unverhofftes Spectacul mit mir angefangen. Ich wartete von einer Stunde in die andere auf das Examen, aber da hörte man kein Wort, viel weniger was anders von der Sache, bis endlich die Nacht herankam, in welcher ich, nach dem klaren Inhalt des Briefes wie auch nach den Worten des Jägers, gewiß sollte losgemachet werden.

Dazumal habe ich sehr klug getan, daß ich eines sowohl als das andere gegen die Wächter verschwiegen, und bin um so viel glückseliger gewesen, je unwissender ich in dieser Sache herumgeführet wurde. Ich hatte ein wenig Brandwein zu mir genommen, deswegen überfiel mich ein großer Schlaf,[20] und auf eine solche Weise legte ich mich auf das zubereitete Stroh, ob mich schon die Fessel an den Beinen aufzuschörfen angefangen, weil ich dergleichen Banden ganz ungewohnt war. Es schlug zwölf Uhr auf der Schloßglocke, als ich unverhofft aus dem Traum erwachte und mich ziemlich forchte, sowohl wegen der Gespenster als auch wegen des Jägers, welcher mich aus den Ketten schließen sollte; denn weil mir von der ganzen Sache nicht der geringste Umstand wie auch das Schloß selbsten nicht bekannt war, hielt ich den Jäger vor einen halben Teufel, und ist nicht zu sagen, was ich mir vor wunderliche Imaginationes gemachet.«

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 12-21.
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