IX. Capitul.
Etliche Schüler machen eine artige Musik auf dem Schlosse.

[320] Was oftermals der Groß' nicht kann,

Darum nimmt sich der Kleine an.


Einen Violinisten verdrießt es nicht ein wenig, wenn ihm eine Saite unter währendem Spielen entzweireißet und abspringet, aber viel teufelhaftiger muß es einen Bräutigam verdrießen, wenn ihm seine Braut alsdann entwischet, wenn er sie mit beiden Händen zu umfangen vermeinet. Und wußte Monsieur Caspar nunmehr von allen beiden Teilen guten Bescheid zu geben, weil er zugleich ein Musicus und Bräutigam war. Er schickte seinen Kammerdiener auf die Straße, welcher mit vier berittenen Knechten der Braut nachjagen und die Abenteuer auskundschaften sollte. Aber sie konnten nichts sehen noch hören, so sehr sie auch hin und wider auf den umliegenden Dörfern Kundschaft eingeholet. In einer solchen Verrichtung kamen sie wieder zurück, und es fehlte nicht viel, der ungeduldige Caspar hätte sie alle fünf auf eben das Seil aufgehängt, welches wir ihm auf meiner Hochzeit so sehr mit Theriack beschmieret hatten. Er fragte denjenigen, so ihm die Post gebracht, wohl tausendmal um die Beschaffenheit, und indem er sich ganz vergeblich ängstigte, gibt sich die Jungfer Kunigunda zu erkennen, welche eben der Bot selbsten war und sich nur aus lauter Spaß in solche Kleider gestecket hatte.

Habe ich jemals ein großes Gelächter gehöret, so war es dasjenige, welches über dieser geschwinden Veränderung auf dem Schlosse erschollen. Hiermit ging es alles in floribus, und mich verdrießt es, alle Particularitäten umständlich zu entwerfen, weil ich viel andere Sachen vor mir habe, derer ich vor Vollendung des Tractats werde Meldung tun. Man war vor allen Dingen bemühet, lustige Spielleute aufzutreiben, aber der Ruf wegen unserer vorigen Disputation hatte sie alle so feige und eingezogen gemacht, daß wir sie viel weniger bekommen konnten als die Krambsvögel um Bartholomäi, welches Fest der Schneider Leib- und Namensfest pflegt genennt zu werden. Derohalben nahmen wir einen andern[321] Mann aus dem Dorfe, welcher ehedessen eine Ratsschul versehen, auch die Jugend daselbsten in litteris informiert hatte. Er brachte vier Schüler mit sich, so ihre Nahrung tonweise auf dem Land und absonderlich auf den adeligen Schlössern suchten. Die wischten augenblicklich mit ihren Geigen hinter den Mänteln hervor, und nach ihnen kamen zwei mit Trompetta-Marinen, welche rechten Landstürzern nicht gar ungleich sahen.

Beide Parteien stunden auf dem Saal gegeneinander und machten also ihre stümperhafte Kunst so gut, daß wirs schwerlich in sechs Dörfern besser würden angetroffen haben. Necessitas non habet legem, so hieß der erste Schüler, der andere, so die Violin strich, wurde Emendemus in melius geheißen, den dritten nannten sie Solamen miseri socios habuisse malorum; der vierte hatte den Namen Artem quæ vis terra alit, und der Musicus hieß Gallus in arbore sedens, gi gi li, gi gi li, dicens. In einer solchen Ordnung wiesen wir sie in die Küchenstube, allwo ihnen Stockfisch und gebratene Hasen vorgesetzet worden. Weil sie aber vorgaben, daß sie wegen gewisser Devotion geschworen hätten, von ihren Befreundten nichts zu essen, als wurden sie auf eine andre Art tractiert. Die zwei Trompetter-Mariner aber speisten wir absonderlich, und damit sie keine Läuse unter uns brachten, mußte der Pfisterer oder Schloßbeck ihre Kleider in den Backofen schieben und visitieren, ob sie nicht heimliche Puffer und Stilett bei sich führten. Zumalen uns gar wohlbekannt, welchergestalten dergleichen Gesellen auf der Straße mit denjenigen zu hausieren pflegten, über welche sie getrauten, Meister zu werden, denn bei so beschaffenen Zeiten geigen sie manchem eine Sarabanda auf, daß er das Hupfen darüber vergisset.

Inzwischen erschienen alle diejenige, so mir zuvor die Ehre auf Herrn Ludwigs Schlosse gegönnet, neben vielen andern, die Monsieur Casparn aus sonderlicher Freund- und Bekanntschaft zugetan waren. Meine Liebste ließ ich, so kalt es auch war, auf einem Schlitten über Land herholen, und der Irländer ritt einen so schlimmen Weg, daß er hoch beteuerte, wie ihn der Schnee und der Wind bei einem Haar[322] erstickt hätten, so ihm nicht etliche Bauren zu Hülfe gekommen wären. »Ja,« sagte Monsieur Ludwig, »so wars auch mit meinem Säckel beschaffen, hätten die Bauren nicht das Beste getan, er und ich wären mit Butzen und Stengel verdorben.« Vielem Frauenzimmer war fast die Nase samt den Ohren abgefroren, und es war keine zugegen, welche dazumal von ihrer gefährlichen Reise nicht hätte können eine Beschreibung in Druck gehen lassen, so sie nur wie ich die Mühe auf sich wollten genommen und solche so fleißig und umständlich aufgezeichnet haben.

So kalt es aber war, so steckte doch Ergasto bei dieser Zusammenkunft voller Feuer und Glut und legte also einen ziemlichen Grund zu einer andern Mariage, darzu wir ihm alle verhülflich sein wollten. Ich schreibe es dem Frauenzimmer nicht zum Schimpf nach, aber wahr ist es, als sie vermerket, daß ich in dieser Sache Unterhändler war, kamen gar viel zu mir und baten mich heimlich, ihre Person vor einer andern zu recommendieren und an den Ergasto zu bringen. Ob er schon von keinen absonderlichen Eigenschaften war, so hatte ihn doch eine jede gern, und war an ihm nichts zu wünschen, als daß er ein Türk gewesen, denn durch dieses Mittel hätten sie ihm endlich noch alle können zuteil werden. Ich aber nahm flugs einen Schüler, welcher die beste Stimme hatte, und lernte ihm folgende Tagweise:


Ein' alte Magd, ein altes Pferd,

Taugt keines nichts auf dieser Erd.

Hätt' ich ein Mann, ich wäre froh,

Wär kurz od'r hoch,

Und solls auch einer sein von Stroh.


Ich lieg die ganze Nacht betrübt,

Weil mich kein Mensch auf Erden liebt.

Hätt' ich ein' Mann, ich gäbe drum

Ein' große Summ'.

So heißt es ab'r: Silentium!
[323]

Ein Mann, der tät mir ja so not

Als wie das liebe täglich Brot.

Nehmt mich, Ergasto, ich bin reich,

Ich bitte Euch,

Auf daß der Schmerz von mir entweich.


Diese drei Strophen mußte mir der Schüler geschwinde auswendig lernen, indessen sollte mir der Musicus eine Melodia auf die Verse machen. Aber der Schüler sagte mir, daß er nichts von der Composition verstünde. Deswegen war mein Vornehmen wieder mit Dreck versiegelt und hätte es auch unterwegen lassen müssen, so der Schüler nicht selbsten etwas erdichtet und der Sach ein Färblein angestrichen hätte. Weil er auch den Baß fiedelte, strich er auf den Saiten das Fundament oder den bassus ad organum, wie ihn die Musici heißen, welches in der Not perfect genug kam, denn es ist besser eine Laus in dem Kraut als gar kein Fleisch. Und also war der Schüler Cantor, Organist, Tenorist und Calcant zusammen, und wenn ich ihn wegen seiner behenden Hülfe nicht verschonte, hätte ich ihn noch einen Bachanten darzu geheißen.

Als ers nun perfect singen konnte, erwartete ich der Nacht, in welcher Zeit das Beilager zwischen den neuen Eheleuten sehr prächtig vollzogen worden, welches ich nur darum nicht beschreib, daß ich dem Leser das Maul nicht wässerig mache. Denn, ob ich schon versprochen habe, nicht die geringste Particularitäten zu überschreiten, so habe ich doch Erlaubnis genug, dasjenige vorbeizugehen, welches dem Leser nichts anders verursacht als ein Verlangen nach dem Leib, dessen bloßer Schatten verletzen kann. Weil ich auch in den vorigen Büchern bei dergleichen hochzeitlichen Zusammenkünften die Tugenden und Laster der Vornehmen genugsam zu betrachten vorgestellt, ist es nicht unbillig, daß man auch den gemeinen Leuten, welche sich bei solchen Hochzeiten einzufinden und aufzuwarten pflegen, ein wenig den großen Bart putze.

Ich wollte zwar von dem Musico und den Schülern wie auch von den Trompette-Marinern viel Dicentes machen und sie[324] abscheulich durch die Hechel ziehen, wenn ich nicht wüßte, daß ihre absonderliche Schwachheiten ohnedem weltbekannt wären und man fast auf allen Bierbänken von ihnen plauderte und schandierte. Und was hätte ich davon, ob ich sie gleich durch alle Figuren in der Rhetorik beschriebe. Denn es ist keine Kunst, einem Menschen seine Fehler vorzuwerfen, aber dieses kostet Mühe, seinem Nächsten einen Weg zu zeigen, wie er sich bessern könne. Wer einen Esel schlägt und ihm nicht dabei weiset den Weg, wohin er gehen solle, der ist ein ärgerer Esel, als welchen er schlägt. Und dieses Laster hängt vielen Satyricis gleich einem Härlein an der Feder, indem sie nur schmälen auf die Laster und aufdecken den Irrweg der Menschen, nicht zeigend noch weisend auf den Weg der Besserung noch instehenden Tugend. Eine solche Züchtigung hab ich viel mehr als die Pest geflohen, weil sie nicht bessert, sondern die Gemüter der Bestraften nur widerwillig gemacht, und also ist durch ein Übel noch ein größers entsprungen, und die Laster haben in Ermanglung des Lichts ihrer Finsternis nachgefolget eben auf dem Pfad, da sie erst eingetreten.

Ein solcher Satyricus bin ich nicht und wollte mir viel lieber die Feder in die Brust als auf das Papier stoßen, weil sich in derselben vielleicht mehr Laster als in allen denjenigen befinden, welche ich durch die Federspitze angegriffen. So gäbe ich auch durch solches Aufziehen meinem Zweck keinen geringen Stoß, welchen ich bloß dahin gesetzet, alle Lesende durch dieses Buch zu ergötzen in einer solchen Zeit, welche das Gemüt des Menschens durch bloßes Ansehen kann traurig und betrübt machen. Aus dem Grund dieses Obgesetztens erhellet klar und zur Genüge, was ich gesuchet und bis zum Ende des Buches zu suchen willens bin. Dannenhero schreite ich ohne spanische Schritte zum fernern Verlauf, damit ich sowohl die Materia als auch meine Feder einmal möge auf die Seite legen, welche vielleicht dem Leser viel eine größere Ungeduld in dem Lesen als mir in dem Schreiben verursachet hat.

Herr Carander, Faustus und Celinda kamen noch vor der Copulation auf das Schloß. Dahero ward die Freude um so[325] viel desto größer, je bessere Freundschaft sie gegen uns getragen. Man machte sich allenthalben mehr denn lustig, und der Schreiber empfing mehr Ehre als wir alle, weil er nächst der Braut und dem Bräutigam die Oberstell besaß. In dieser Lust verschwand der Tag, und in der folgenden Nacht marschierte ich mit dem abgerichteten Schüler heimlich in den Schloßhof, allwo er mir hinter einer Wasserpumpen das obgesetzte Lied absingen und den Baß darzu fiedeln müssen. Es war dazumal noch kein Mensch zu Bette, unerachtet man wegen der großen Kälte nicht lang auf dem Tanzsaale bleiben können und allgemach zwölf Uhr geschlagen hatte. Dannenhero entstund in den Zimmern ein großes Gelächter, und leuchteten gar viel mit den Lichtern aus den Fenstern, damit sie den Sänger sähen und kennenlernten. Aber wir duckten uns, so weit wir konnten, hinter die Wasserpumpe, obschon die Baßgeige noch bei einem Zipflein – wenn anders die Baßgeige ein Zipflein haben kann – hervorguckte.

Ludwigen und Isidoro gefiel das Lied so wohl, daß sie ganz verstohlens in ihren Nachtkleidern zu mir in den Hof kamen, und also mußte der Schüler von vornen anfangen und dasselbe aufs neue heruntersingen. Etliche unter dem Frauenzimmer hielten es vor Scherz, etliche vor eine grobe Kurzweil, etliche gar vor einen Hauptschimpf. Also findet jede Sache gewisse Leute, von welchen sie gelobt und von welchen sie im Gegenteil wieder geschändet wird. Absonderlich aber drang es denjenigen stark zu Herzen, welche sich am meisten dardurch getroffen befanden. Damit ich aber aus dem Verdacht kam, befahl ich dem Schüler, daß er nach Vollendung des Lieds sich in der Stille verborgen davonmachte und sich in seiner Kammer verschlossen hielte. Indessen sprangen wir drei unter währendem Gesang die Treppe hinauf und redeten gegen das Frauenzimmer hinüber, welche den Schüler bald einen donnerischen Bärnhäuter, bald etwas anders hießen.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 320-326.
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